Post on 06-Aug-2015
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Die Schuldfrage des Ersten Weltk
•
r1eges Historische Tatsachen Nr. 20
Dipl. Pol. Udo Walendy
- Wissenschaftliche Zeitschrift -
Dieses Heft ist vor Drucklegung juristisch dahingehend
überprüft worden, daß weder Inhalt noch Aufmachung
irgendwelche BAD-Strafgesetze oder maßgebende Rich
tersprüche verletzen oder sozialethische Verwirrung bei
Jugendlichen auslösen.
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-+++--+++- -+++-::::: "Es ist die allgemeine Herrschaft der Furcht, die das ::;:: -+++- -+++--+++- System der Bündnisse hervorgerufen hat; man hielt es für -+++-
::;:: eine Garantie des Friedens, es erwies sich nun aber als die ::;:: -+++- -+++--+++- Ursache des Allerwelts-Unglückes .... Diese allgemeine -+++--+++- -+++-::::: Furcht hat schließlich eine viel größere Katastrophe :;::: ::;:: heraufbeschworen, als man durch die Bündnisse je abzu- ::;:: ::;:: wenden hoffte." :;::: ::;:: Bertrand Russeii • I :;::: -+++- -+++-
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-+++- -+++-::::: "Im Verhältnis wie die Rüstungen aller Mächte zu- ::;:: ::;:: nehmen, erfüllen sie immer weniger den Zweck, den sich :::t -+++- -+++--+++- die Regierungen vorgesetzt haben. Wirtschaftliche Krisen, -+++--+++- -+++--+++- großenteils durch das System der Rüstungen hervorge� -+++--+++- -+++-::::: rufen, und die fortwährende Gefahr, die in dieser An- ::;:: ::;:: häufung von Kriegsmaterial liegt, verwandeine den be- :;::: :::t waffneten Frieden unserer Tage in eine zermalmende :::t ::;:: Last, die von den Völkern mit stets größeren Schwierig- :::t ::;:: keiten getragen wird. Es erscheint daher klar, daß, wenn :;::: :::t dieser Zustand andauert, er unfehlbar zu eben der Katas- :::t -+++- -+++--+++- trophe führen muß, die man abwenden will und deren -+++--+++- -+++--+++- Schrecken jedes denkende Wesen vorahnend schaudern -+++--+++- -+++--+++- macht." -+++--+++- -+++--+++- Zar Nikolaus II. -+++--+++- -+++--+++- in einer Zirkularnote an die Mächte -+++--+++- -+++-::::: vom 24. August 1898 **) ! -+++- * -+++- *
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1984
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*) ECDC Morel, aaOC Sc 201
**) ECDC Morel, aaOC Sc 141
V erlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung
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Serbien Seit 19 03, dem Zeitpunkt der Ermordung König
Alexanders und der Thronergreifung durch Peter Kara
georgewitsch, war Serbien, das sich erst kurz vorher aus der türkischen Oberhoheit befreit hatte, zum Zentrum
der großserbischen, gegen den Bestand der österreich
Ungarischen Monarchie gerichteten Bestrebungen gewor
den. Rußland unterstützte diese Ambitionen, versuchte
es doch, das Schwinden der türkischen Machtstellung auf dem Balkan durch eigene Hegemonie zu ersetzen. Ser
bien gehörte zu jenen kleinen Balkanstaaten, die ent
weder diese politische Zukunftsperspektive begrüßten oder aber die Hilfe Rußlands zur Durchsetzung eigener Expansionsziele in Anspruch zu nehmen trachteten.
Die innenpolitischen Verhältnisse Serbiens waren seit der Jahrhundertwende durch zunehmende Spannungen
innerhalb des Parlamentes - der Skrupschtina - bzw.
durch ungesicherte Mehrheiten gekennzeichnet und begünstigten eine schärfere Gangart gegenüber Wien. Einige
Dokumente mögen dies verdeutlichen:
So berichtete der russische Gesandte Hartwig an das Ministerium des Äußern am 2 . 6 . 1914 nach Petersburg:
" . . . . In letzter Ze it hat sich das Verhältnis zwischen der Regierung und den Oppo sitio nsgruppen auf Grund innerer Angelegenheiten versc härft . Tat sächlich war der durch den Kampf beso nders nach den durchlebten schweren Ere ignissen ermüdete Paschitsch geneigt, zurückzutreten; aber ausschließlich unter de m Einfluß meiner freundschaftlichen Hinweise auf den ungünstigen Eindruck, den se in Rücktritt vor Erledigung wich-tiger politischer Fragen auf die zaristische Regierung machen würde , hat er vo n einem so lchen Entschluß Abstand gen o m-men. Inzwischen hat sich die Lage der Dinge verschlechtert : die scharfen gegenseitigen Beschuldigungen in der Skrupsch-tina haben einen oppo sitionellen Blo ck geschaffen, der beschlo ssen hat , Obstruktion zu üben; zwei Tage hat dieser Block an den Sitzungen nicht te ilgeno mmen. Obwo hl die Regierung über ein Quorum verfügt , ist dasselbe doc h so gering, daß eine Arbeit unmöglich wird. Nach Erschöpfung aller Verständigungsmittel ist Paschitsch entschlo ssen , wenn auc h nicht heute o der morgen, die Auflö sung der Skrupsch-tina vorzuschlagen .. . . "
1) 2)
Welche innenpolitischen Probleme auch immer das
Gefüge des serbischen Staates belastet haben - Unruhen
und Kriege auf dem Balkan gab es zu jener Zeit ja zur
Genüge -, so war der Wille zum Rückerwerb der zu
Österreich- Ungarn gehörenden Provinzen Bosnien und Herzegowina doch bei allen politisch virulenten Kräften
vorhanden, wenn er sich z.T. auch nur getarnt Ausdruck
verschaffen konnte. Der deutsche Gesandte in Belgrad
weist in seinem Bericht am 6. Juli 19 14 auf die Art und
Weise solcher getarnten Zusammenhänge hin:
" . . . . Der Staat selb st , wenn er gleich , um Verantwortlichkeiten zu vermeiden, darauf halten muß, daß die Narodna Odbrana 3) ihren privaten Charakter bewahre , beschränkt sich indes keineswegs auf die Rolle des passiven Zuschauers. Unter harmlosen Titeln sind in das Staatsbudget gewisse Po sitionen aufgeno mmen, die der Narodna Odbrana zugutekommen. Bezüglich der Anschaffung von Flinten für Schüler, vo n Revolvern für F reischärler ist es noto risch, daß der Staat sie geliefert hat . Charakterist isch ist , daß als Zentralstelle für die Verausgabung vo n Staatsmitteln für solche Z wecke und die Abrechnung weder das Ministerium des Äußern, no ch das Kriegsministerium, sondern dasjenige für Kultur und Unterricht mitwirkt .
Mag daher die serbische Regierung noch so sehr ihren Ab scheu und ihre Entrüstung über die in Sarajewo begangene Bluttat kundgeben, mag sie noch so sehr ihre Unschuld beteuern und darauf hinweisen , wie sinn- und zwecklos dieses Verbrechen sei und wie es der Sache des Serbenturns viel eher geschadet als genützt habe , eines kann sie nicht ableugnen : Sie hat die Atmo s-
Unmittelbar vor dem Attentat auf den Öster
reichischen Thronfolger Franz-Ferdinand in Saraje
wo am 24. Juni 19 14 wurden in der Tat die
Auflösung der Skrupschtina und Neuwahlen für den 1. August verfügt.
1) Die Auswä rtige Po l i t i k Ser biens 1903- 1914, hrsg. vo n M.
lk.: Kron prinz Al exander v. Serbien, Oberbefehlsha ber der serbischen Streitk räfte; - r.: N i kola Pa schi tsch, serbischer Mi n i sterprä sident
Bo g h itschewitsc h , 3 B ä nde, Ber l i n 1928- 1931 Bd. I: Ge he i makten a u s ser b i sc he n Arch iven Bd. II: Dip lo mat i sche Akte n aus r u ss i sche n , mo nte neg r i n ischen u nd so nst ige n Arc h i ven Bd. II I: Serbien u nd der Welt k r ieg hier: Bd. II, S. 514, Do k . 928
2) Namen u nd Ä mter s iehe Seiten 30-31
3) "Na r o d na Odbra na" = " Vo l k swe hr" , e i n nat i o n a l i st i sc her Ge he i mb u n d , der d a s Z i e l ver fo lgte , a l le ser b i sc hen Bevö l keru ngse lemente i n e i ne m ser b i sc hen Gro ßsta at z u vere i n igen
4) Die Auswärt i ge Po l it i k Se r b i e n s 1903- 1914, Bd. II, aaO. S. 528-529, Do k. N r. 941
3
phäre geschaffen, in der solche E:x:plosionen des blinden Fanatismus allein möglich sind. In ihrem Lande und unter den Augen ihrer Behörden sind die Elemente großgezogen worden, die Serbien vor der ganzen gesitteten Welt bloßgestellt und auf eine Stufe wieder herabgedrückt haben wie der verabscheuungswürdige Königsmord des Jahres 1 903. v. Griesinger" 4)
Und diese Atmosphäre geht auf die langjährig guten
Beziehungen mit Rußland zurück, die Voraussetzung für
die Zerschlagung der Türkenherrschaft auf dem Balkan
sowie für die Selbständigkeit Serbiens waren.
Bekanntlich haben der Frieden zu San Stefano sowie der Berliner Kongreß im Jahre 1878 den ersten großen Einbruch in den jahrhundertelangen türkischen
Besitzstand auf dem Balkan gebracht. Serbien, Monte
negro und Rumänien wurden unabhängige Staaten. Bul
garien wurde tributpflichti ges Fürstentum gegenüber der
Türkei und erst 1908 selbständiges Königreich. Der
russische Gesandte Hartwig führte im Februar 1912 anläßlich des türkisch-italienischen Krieges ein Bündnis zwischen Serbien und Bulgarien herbei, dem sich Monte
negro und Griechenland anschlossen. Dieser Balkanbund erklärte im Oktober 1912 der Türkei den Krieg und
setzte ihrer Herrschaft auf dem Balkan ein Ende. Da die
balkanischen Verhältnisse ohnehin nicht nach national
staatlichen Gesichtspunkten geordnet waren, ergaben sich flir die Russen viele Ansatzpunkte, in Verfolg
eigener Ziele die Balkanstaaten für sich einzuspannen.
So förderte die Aussicht auf die Unterstützung durch
die russische Macht insbesondere bei den Serben immer
intensiver den Wunsch nach Vergrößerung ihres Terri
toriums kraft staatlicher Vereinigung mit den sprachlich
verwandten Völkerschaften in Bosnien und der Herze
gowina. Diese waren indessen seit dem Berliner Kongreß
1878 mit Zustimmung der europäischen Großmächte in
die österreich-Ungarische Monarchie integriert worden.
Eine solche außenpolitische Interessenverzahnung -
hier seitens Serbiens Territorialansprüche, dort seitens
Rußlands weiterer Einfluß auf dem Balkan und vor allem dem Bosporus - führte bereits lange vor Ausbruch
des Weltkrieges zu Sprachregelungen, die langfristig er
heblichen Zündstoff angereichert haben. In der diplomatischen Korrespondenz zwischen Rußland und
Serbien häuften sich die abfälligen Ausdrücke und Be
merkungen über die k. u. k. Monarchie,*) die verglichen
wurde mit einem Menschen, der sich bereits in Agonie befinde, oder mit einem Geschwür, das in der nächsten Zeit aufgeschnitten werden müsse. So liegt ein Schreiben Sasonows an den russischen Gesandten Hartwig in Belgrad vom 6. Mai 1913 bei den russischen Akten:
"Ich fürchte sehr das Umsichgreifen der Enttäuschung bei den Serben über das Ergebnis ihrer jüngsten heroischen Anstrengun· gen. Bei diesem u n s v o n a 11 e n S 1 a w e n v ö 1 k e r n s y m p a t h i s c h s t e n V o 1 k e bildet sich anscheinend die
Meinung heraus, daß es vom Schicksal verfolgt sei, daß sich Rußland ihm gegenüber teilnahmslos verhalte usw. Eine solche
* ) k. u. k. =kaiserliche (österre ichische) und kön igliche (ungarische)
4
Stimmung ist äußerst gefahrlich, und ich bitte Sie, Ihren ganzen Einfluß auf die serbische Regierung und die öffentliche Meinung anzuwenden, um sie zu zerstreuen. Zwischen Serbien und Bulga· rien im Zusammenhang mit der neuen Lage auf dem Halkan vollen Parallelismus herzustellen, ist unmöglich, und es ist nicht möglich, daß die Serben dies nicht einsehen. Bulgarien hat durch seine Siege seine nationalen Ideale zur Gänze verwirklicht. Weitergehen kann es nicht, ohne in Konflikt mit viel mächtigeren Nachbarn zu geraten. S e r b i e n a b e r h a t e r s t d a s e r s t e
S t a d i u m s e i n e s h i s t o r i s c h e n W e g e s d u r c h l a u f e n , u n d z u r E r r e i c h u n g s e i n e s Zi e l e s m u ß e s n o c h ein e n f u r c h t b a r e n K a m p f a u s h a l t e n , b e i d e m s ein e g a n z e Exi s t e n z i n Fr a g e g e s t e l l t w e r d e n k a n n . S e r b i e n s v e r h e i ß e n e s L a n d l i e g t i m G e -
h i e t e d e s h e u t i g e n Ö s t e r r e i c h · U n g a r n und nicht dort, wohin es jetzt strebt, und wo auf seinem Wege die Bulgaren stehen. Unter diesen Umständen ist es ein Lebensinter· esse Serbiens, einerseits die Bundesgenossenschaft mit Bulgarien zu erhalten, und andererseits sich in zäher und geduldiger Arbeit in den erforderlichen Grad der Bereitschaft für den in der Zukunft unausweichlichen Kampf zu versetzen. D i e Z e i t a r b e i · t e t f ü r S e r b i e n u n d z u m V e r d e r b e n s e in e r Fe i n d e , d i e s c h o n d e u t l i c h e Ze i c h e n d e r Ze r s e t z u n g a u f w e i s e n .
Erklären Sie all dies den Serben! Ich höre von allen Seiten, daß, w e n n i r g e n d e i n e S t i m m e v o II e W i r -k u n g i n B e l g r a d h a b e n k a n n , e s d i e I h r e i s t . Sagen Sie ihnen bei diesem Anlasse, daß wir ihre Interessen
nicht aus den Augen verlieren, und sie in Bulgarien energisch unterstützen. E i n B r u c h z w i s c h e n B u I g a r i e n u n d S e r b i e n abe r i s t e i n Tr i u m p f Ö s t e r
r e i c h s . Seine A g o n i e (? !) würde dadurch um viele Jahre hinausgeschoben werden ... " 5)
Am 13. Februar 1913 formulierte der serbische
Gesandte in Petersburg in einem Bericht an das Minis
terium des Äußeren in Belgrad:
"Im allgemeinen drückte er (Sasonow - d. Verf.) sich folgendermaßen aus:
'Rußland wird sich zwar mit allen Kräften bemühen, so viel als möglich von Albanien abzureißen, allein Rußland ist dabei nicht unmittelbar interessiert; Österreich-Ungarn aber betrachtet diesen Gegenstand als eine Lebensfrage, weil es durch die Schaffung eines großen Serbiens einen Mißerfolg (echec) erlitten hat. Prinz Hohenlohe sagte ihm, die Forderungen Österreichs seien zu drei Vierteln aus Rücksichten auf seine innere Politik diktiert. Rußland allein ist z w a r v i e I s t ä r k e r a 1 s ö s t e r r e i c h, a b e r, a n d e r S e i t e Ö s t e r r e i c h s s t e h t noc h
D e u t s c h l a n d u n d s o w o h l Fr a n k r e ich a l s E n g l a n d h abe n d u r c h I s w o l s k i u n d B e n ·
c k e n d o r f f R u ß l a n d e r n s t l i c h e rmah n t , i n d i e s e r i h n e n g l e i c h g ü l t i g e n Frage d e n
F r i e d e n n i c h t a u f s S p i e 1 z u s e t z e n . Rußland will daher keinen Krieg, und jedermann sträubt sich dagegen. Auf die Ansichten der 'Nowoje Wremja' und auf die einzelner Leute darf man nicht hören. Sasonow rät daher, unsere jetzige vernünf· tige Haltung zu bewahren, und appelliert an Sie:
'Wenn Paschitsch demissionieren sollte und wenn eine unnachgiebige Regierung ans Ruder käme, das wäre Österreich gerad� recht. Besser also, sich mit den gegenwärtigen großen Errungenschaften zufriedenzugeben, d a s n e u e S e r b i e n z u
5) Die Auswärt ige Politik Serbiens 1903-1914, aaO. Bd. II,S. 408-410, Dok. Nr. 807- Gesperrtdruck vom Herausgeber M. Boghitschewitsch
o r g a n i s i e r e n , u m d a n n s p ä t e r , w e n n d i e Z e i t g e k o m m e n s e i n w i r d , d a s ö s t e r r e i c h
u n g a r i s c h e G e s c h w ü r a u f z u s c h n e i d e n , w e 1-
c h e s h e u t e n o c h n i c h t s o r e i f ist wie das türkische. Eine Nation, die so hervorragende Eigenschaften gezeigt
hat wie die serbische, muß siegen.'
Das sind Sasonows Worte als Antwort auf meine Ausführungen auf Grund Ihres Telegramms Pov. br. 214 ... ". 6)
In diesem Zusammenhang verdient auch die später
noch zu erörternde Unterredung zwischen dem ser
bischen Ministerpräsidenten Paschitsch und dem Zaren
am 2. Februar 1 9 1 4 Beachtung. Der Zar erwähnte, er
hätte nur seine slawische Pflicht erfüllt, als er während
der ganzen Zeit der Balkankrise (19 1 2 - 1 9 1 3) seine
Armee an der Österreichischen Grenze aufmarschieren
ließ, um die Befreiung der Balkanstaaten nicht durch die
k. u. k. Monarchie hindern zu lassen. Der Zar wies auf
die mögliche Entwicklung hin, Bulgarien mit einigem
territorialen Zuwachs dahingehend beeinflussen zu
können, daß es "bei der Lösung der serbisch-kroatischen
Frage behilflich sein" würde. "Lösung der serbisch
kroatischen Frage" hieß jedoch ein Herausbrechen von
Bosnien und der Herzegowina aus der österreichisch
Ungarischen Monarchie. Paschitsch brachte daraufhin
"den Umschwung bei den Slowenen in Österreich-Un
garn" zur Sprache, "die jetzt einsehen, daß ihnen dieses Heil nur von Rußland oder Serbien kommen könne, und daß sie die Gelegenheit kaum erwarten können, ihre
Wünsche erftillt zu sehen."
"Und dann sagte ich ihm (Paschitsch dem Zaren, - d. Verf.), daß wie viele Gewehre wir haben werden, so viele Soldaten werden wir aus jenen Ländern bekommen . ...
Dann fragte er, wieviel Soldaten Serbien jetzt aufstellen könne. Serbien hat, sagte der Zar, die Welt damit überrascht, daß es 400.000 Mann marschieren ließ. Ich antwortete: Wir glauben, eine halbe Million gut bekleideter und bewaffneter Soldaten aufstellen zu können.
'Das ist genügend, das ist keine Kleinigkeit, damit kann man viel ausrichten.' ....
Sodann sprachen wir von anderen Dingen , nachdem ich gesagt hatte:
'Wenn es uns beschieden sein sollte, eine Tochter des Kaisers von Rußland zur Königin zu haben, dann wird sie die Sympathie des ganzen serbischen Volkes genießen, und sie kann, wenn Gott und die Verhältnisse es zulassen, die Zarin des südslawischen, serbisch-kroatischen Volkes werden. Ihr Einfluß und ihr Glanz wird die ganze Balkanhalbinsel umfassen.'
Der Zar hörte meine Worte mit sichtlicher Freude an . ... 'Für Serbien werden wir alles tun, grüßen Sie den König und
sagen Sie ihm: Für Serbien werden wir alles tun.' " 7) Daß die Doppelmonarchie reformbedürftig und eine
rechtliche Gleichstellung der zahlreichen Völkerschaften
erforderlich geworden war, hatte niemand besser erkannt, als der Thronfolger Franz-Ferdinand. Er setzte
sich für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Vielvölkerstaat und für eine größere Autonomie der
6) Die Au swärt i ge Po l i t i k Se r b iens 1903' 1914, aaO. Bd. I, S. 299, Dok. Nr. 276
7) ebenda Bd. I, S. 414· 421, Do k. N r . 399
fremdvölkischen Staatsgebiete ein, was sich vornehmlich
auf die serbisch-kroatischen wie auf die böhmisch
mährischen Gebietsteile bezog. Franz-Ferdinand plante
sogar ein gesondertes Königreich Illyrien. - Doch gerade
diese Reform von Wien aus war den "Großserben"
höchst unwillkommen. Ihre Machtträume sahen Anderes
vor: Führung, Machtstärkung und territoriale Aus
dehnung von Belgrad aus.
Professor Diwald ergänzt:
"Der serbische Ministerpräsident Nikolaj Paschitsch hat den politischen Leitsatz formuliert:
'Der einzige Daseinszweck Serbiens besteht darin, die süd
slawischen Provinzen von Österreich-Ungarn loszureißen.' In einer Denkschrift hat er detaillierte Vorschläge entwickelt,
wie man die österreichisch-ungarische Verwaltung in Bosnien 'diskreditieren und die Unzufriedenheit der Bevölkerung systematisch nähren' könne.
Wenn Österreich-Ungarn wirklich Wert darauf lege, mit Serbien in Frieden zu leben, dann müsse es den Anspruch aufgeben, eine
Großmacht zu sein.'' s)
Am 2 1 .7 . 1 9 1 4 unterrichtete der Österreichische Ge
sandte in Belgrad, Frhr. v. Giesl, seinen Außenminister
Graf Berchtold über die Lage in Serbien:
" ... . Ich stelle es als bekanntes Axiom hin, daß die Politik Serbiens auf die Abtrennung der von Südslawen bewohnten Gebiete und in weiterer Folge auf die Vernichtung der Monarchie als Großmacht aufgebaut ist und nur dieses eine Ziel kennt.
Niemand, der auch nur acht Tage in dem hiesigen politischen Milieu zu leben und zu wirken bemüßigt sei, wird sich dieser Wahrheit verschließen.
Infolge der jüngsten Ereignisse, welche die hiesigen politischen Stimmungen beeinflussen, und dazu rechne ich das Attentat in Sarajewo, den Tod Hartwigs und die Wahlkampagne, hat sich der Haß gegen die Monarchie noch vertieft.
Das Attentat in Sarajewo hat den Serben den bevorstehenden Zerfall der habsburgischen Staaten - auf welchen man schon
früher seine Hoffnungen setzte - als in kürzester Zeit zu erwarten, den Abfall der von Südslawen bewohnten Gebiete der Monarchie, die Revolution in Bosnien-Herzegowina und die Unverläßlichkeit der slawischen Regimenter - als feststehende Tatsachen vorgegaukelt und brachte System und scheinbare Berechti gung in ihren nationalistischen Wahnsinn.
Das so verhaßte Österreich-Ungarn erscheint den Serben nunmehr ohnmächtig und kaum mehr würdig, einen Krieg mit ihm zu führen - zum Hasse gesellt sich die Verachtung -; es fällt ohne Mühe als zermürbter Körper in den Schoß des in naher Zukunft zu verwirklichenden großserbischen Reiches.
Blätter, welche nicht zu den allerextremsten gehören, besprechen in täglichen Artikeln die Ohnmacht und den Zerfall der Nachbarmonarchie und beschimpfen ohne Scheu und Furcht vor Ahndung ihre Organe. Sie machen selbst vor der erhabenen Person unseres Herrschers nicht Halt. Sogar das Regierungsorgan weist auf die Zustände in Österreich-Ungarn als auf die einzigen Ursachen des fluchwürdigen Verbrechens hin. Die Furcht vor Verantwortung besteht nicht mehr. Das serbische Volk wird seit
Jahrzehnten durch die Presse erzogen, und die jeweilige Politik
hängt von der Parteipresse ab; eine Frucht dieser Erziehung ist die großserbische Propaganda und ihre abscheuliche Ausgeburt, das Attentat vom 28. Juni.
8 ) He l l mut D i wa l d , "Ge s c h i c hte der De utsche n " , Propy läen- Ve r l a g , o. J." +
Ort, S. 251
5
Ich übergehe die an Wahnwitz streifenden, von der 'Times' als 'tobsüchtig' bezeichneten Anklagen und Verdächtigungen anläßlich des Todes Hartwigs, überhaupt die lügenhafte Preßkampagne, welche aber die Serben in der Oberzeugung bestärken dürfte, daß die Regierung und die Vertreter Österreich-Ungarns vogelfrei sind, und Bezeichnungen wie Mörder, Lump, infamer Österreicher usw. für uns als schmückende Beiwörter gelten müssen.
Der Tod Hartwigs hat in der Erkenntnis der Schwere dieses Verlustes in der serbischen politischen Welt einen fanatischen Kultus des Verstorbenen ausgelöst, und man ließ sich dabei nicht allein von der
Dankbarkeit für die Vergangenheit, sopdern auch von der Sorge um die Zukunft leiten und überbot sich in slawischer Unterwürfigkeit vor Rußland, um sich dessen Wohlwollen für kommende Zeiten zu sichern.
Als dritter Faktor vereinigt die Wahlkampagne alle Parteien auf der Plattform der Feindseligkeiten gegen ÖsterreichUngarn. Keine der auf Regierungsgewalt aspirierenden Parteien will in den Verdacht kommen, eines schwächlichen Nachgebens gegenüber der Monarchie für fähig
gehalten zu werden. So wird die Wahlkampagne unter dem Schlagworte der Bekämpfung ÖSterreich-Ungarns geführt.
Der russische Zar Nikolaus II. nach seiner Gefangennahme durch die Bolschewiki 1917
kurz vor seiner Erschießung (seine gesamte Familie wurde erschossen)
Man hält die Monarchie aus inneren und äußeren Gründen für ohnmächtig, zu jeder energischen Aktion unfähig und glaubt, daß
die ernsten Worte, die schon an maßgebenden Stellen bei uns gesprochen worden sind, ni.rr Bluff seien . ... "
9)
Daß sich nicht nur die Serben und Russen über das
außenpolitische Veränderungsstreben der Belgrader
Führungskreise, ihrer Publizistik und der dortigen Ge
heimorganisationen im klaren waren, sondern auch die
westliche Diplomatie vor Ausbruch des Weltkrieges,
beweist u. a. ein Telegramm des britischen Botschafters
M. de Bunsen aus Wien an seinen Außenminister Edward
Grey in London vom 29. Juli 19 14, wobei nicht die drei Anfangssätze wesentlich sind, die im britischen Blaubuch von 19 14 unter der Nr. 7 9 veröffentlicht worden sind, sondern der hier nachfolgende vertrauliche Absatz, der in jenem Blaubuch offensichtlich nicht ohne Grund unterschlagen worden ist:
" .... Vertraulich. Französischer Botschafter berichtet seiner Regierung, daß ihn
Geständnisse des serbischen Gesandten I O) mit dem er bis zu dessen Abreise am 26. Juli in enger Fühlung war, überzeugt haben, Zustand wachsender Gärung in südslawischen Provinzen der Doppelmonarchie sei derart, daß österreichisch-ungarische Regierung genötigt gewesen wäre, sich entweder in Lostrennung dieser Provinzen zu fügen, oder eine verzweifelte Anstrengung zu
9) Die Auswärt ige Po l it i k Serbiens 1903- 1914, aaO., Bd. II, S. 542-543
Dok. Nr. 955
10 ) Jowanowitsch
6
machen, um sich die Provinzen dadurch zu erhalten, daß sie Serbien als Machtfaktor ausschalte. Serbischer Gesandter äußerte immer, die Zeit arbeite für Serbien, und er sagte französischem Botschafter, südslawische Provinzen wären innerhalb drei Jahren bereit, ohne daß Serbien auch nur den kleinen Finger zu rühren brauche. Österreich-Ungarn merkte, daß es nicht länger warten konnte, und entschloß sich zum Kriege, von dem es jetzt anscheinend nichts mehr abzuhalten vermag. Nach Ansicht französischen Botschafters geht daraus hervor, daß Konflikt nicht Folge deutscher Anstiftung ist; auch gehe nicht unbedingt daraus hervor, daß Deutschland europäischen Krieg wünscht, wie viele in Frankreich glauben. II)
(Gleichlautend an Botschafter)" 12)
Der serbische Ministerpräsident Paschitsch beurteilte die außenpolitische Lage Serbiens in einem Schreiben an seinen Generalstabschef Putnik am 3 1.7 .19 14, also kurz
nach Vorliegen der Österreichischen Kriegserklärung, wie
folgt:
Die Entwicklung der Ereignisse im austro-serbischen Konflikt hängt hauptsächlich von der Haltung Rußlands ab.
Rußland erklärte, daß es sich vor allem bemühen werde, die Frage auf friedlichem Wege zu lösen. Sollten die Österreichischen Truppen die Grenzen Serbiens überschreiten, so wäre es genötigt, zum Schutze Serbiens einzugreifen.
11) Im br it ischen B l aubuch vo n 1914 ist d ieser Ber icht unter Nr. 79 überno mmen, doch der h ier abgedru ckte Absatz i st im Blau b u c h
wegge lassen worden.
12) Die Au swärtige Po l i t i k Serbiens 1-903 · 1914, aaO. Bd. II, S. 560, Do k.
Nr. 972
Die Berichte unseres Petersburger Gesandten besagen, daß Rußland jetzt zu dem Zwecke unterhandelt und die Verhandlungen in die Länge zieht, um für die Mobilmac!tung und Konzentrierung seines Heeres Zeit zu gewinnen. Wenn es damit fertig ist, wird es Österreich den Krieg erklären.
Der Mobilmachungsbefehl (nach der ersten Nachricht für 13 Korps und nach der zweiten für 23 Militärbezirke) ist gegenüber der Österreichischen Grenze bereits veröffentlicht. Die Armee,
welche für den Kampf gegen Deutschland bestimmt ist, hat noch nicht mobilisiert, weil man Deutschland nicht herauszufordern wünscht. - Man glaubt noch, den allgemeinen Krieg vermeiden zu können, der ganz Europa hineinziehen würde, weshalb auch Rußland seine Haltung so einrichtet, um nur mit Österreich Krieg zu führen. Man rechnet aber auch mit der Möglichkeit, daß Deutschland gezwungen wird, in den Krieg zur Verteidigung Österreichs einzutreten, weshalb Rußland im geheimen auch Maßnahmen für die Mobilmachung gegen Deutschland trifft. Der russische Zar schrieb dem Thronfolger und sagte in dem Briefe u.a., daß Rußland unter gar keinen Umständen Serbien im Stiche lassen werde. Man wünscht den Streitfall oder Konflikt auf friedlichem Wege, ohne Blutvergießen, zu schlichten, jedoch unter
Franz Joseph 1., Kaiser von Österreich
und apostolischer König von Ungarn
der Wahrung der Würde Serbiens. Sollten diese Versuche scheitern, so werde es um das Schicksal Serbiens Sorge tragen. D a wir jetzt ohne Geld dastehen, s o haben wir u m Unterstützung gebeten, und heute haben wir die Depesche erhalten, daß uns zwanzig Millionen zur Verfügung stehen.
Meines Erachtens und nach meiner Beurteilung der politischen Situation kann der europäische Krieg nur durch sehr große Opfer seitens Österreichs vermieden werden, aber es besteht keine Wahrscheinlichkeit, daß sich Österreich zurückziehen und auf einen Ausgleich eingehen wird.
Deutschland, das zu Anfang fest zu Österreich stand (solange es noch glaubte, daß sich Rußland nicht einmischen werde), ist wankend geworden und wandte sich mit der Vorstellung, daß ein friedlicher Ausweg gesucht werden solle, an Rußland, denn es wünsche keinen Krieg. Vielleicht versucht Deutschland diesen Schritt nur zu dem Zwecke, um seinem Volk den Beweis zu liefern, wie sehr es sich um die Erhaltung des Friedens bemüht habe, und ihm dies nicht gelungen sei. - Wie man diesen Schritt deuten mag, so hat man doch den Eindruck, daß es mit Österreich unzufrieden sei, dieses jedoch unterstützen muß, weil nach einer Niederlage ÖSterreichs auch seine Position wesentlich geschwächt sein würde ....
" 13)
Kaiser Wilhelm II.,
Deutschlands oberster Kriegsherr in Felduniform
13) Die Auswärtige Politik Serbiens 1903 - 1914, aaO. Bd. I, S. 435- 436,
Dok. Nr. 416
7
Das Attentat
Trotz zahlreicher - selbst vo m serbischen Gesandten aus eigener Initiative ( ohne Auftrag) stammender -Warnungen hatte sich Erzherzog Franz Ferdinand mit seiner Gattin zu den Manövern der in Bosnien statio
nierten 2 Armeekorps begeben und stattete anschließend am 28.6.1914 der Stadt Saraj ewo einen o ffiziellen Be
such ab. Allseits war anerkannt , daß in der österreichisch- Ungarischen Monarchie Franz-Ferdinand der einzige führende Mann war, dem eine Aussöhnung der zahlreichen Völkerschaften dieses Vielvölkerstaates
hätte zugetraut werden k önnen und dessen außenpo li
tisches Ziel ein Dreikaiserbündnis zwischen Wien - Berlin - Petersburg als Garant für die Sicherung des euro päischen Friedens war.
Acht j unge , aus Belgrad eingeschleuste Bosniaken warteten, verteilt an verschiedenen Po sitionen der bekannten Fahrtroute auf die Attentatsgelegenheit. Ein erster Versuch scheiterte, der Pistolenschütze (Student ) Princip traf. Die Waffen stammten aus Serbien. Ein serbischer Zollbeamter hatte die Attentäter einschließlich ihrer Waffen über die Grenze gebracht , ein bosnischer Lehrer, Danilo Ilitsch) sie in Saraj ewo aufgeno mmen. Die großserbische Geheimgesellschaft "Schwarze Hand " , deren Ziel die Vereinigung aller Serben in einem großen Nationalstaat war und die unter Leitung eines Obersten im serbischen Generalstab , Dimitrjewitsch, stand , hatte die Attentatspläne entworfen und die Mittel zur Verfügung gestellt.
Die serbische Presse ko mmentierte das Verbrechen mit unverhüllter Freude , was in österrreich starke Empörung auslöste. Die Österreichische Regierung hat recht rasch die Zusammenhänge , die zum Attentat geführt haben, ermittelt. Zunächst war keine Mitwisserschaft der serbischen Regierung nachzuweisen. Jedoch die Tatsache , daß die Belgrader Behörden vom 28.6. bis
zum 23. 7 . keinerlei eigene Untersuchungen angestellt und Verhaftungen vorgeno mmen , auch keinerlei Erklärungen abgegeben haben , j a sogar den von Österreich ermittelten verantwortlichen Mittäter Dschiganovitsch haben entkommen lassen (er war in Wirklichkeit der Verbindungsmann zwischen dem serbischen Ministerpräsidentfm Paschitsch und den Verschw örern, was man damals allerdings noch nicht wußte ) , sowie die Haltung
der serbischen Presse hatten den Verdacht bestärkt , daß die serbische Regierung d o c h zeitig unterrichtet und das Attentat vo n ihr, wenn auch nicht direkt veranlaßt ,
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so doch gebilligt worden war. Nach Beendigung des Krieges ist dieser damalige Verdacht bestätigt worden.
Das serbische Kabinett , insbesondere Ministerpräsident Paschitsch und Innenminister Stoj an Protitsch , war in die geheimen Vorbereitungen eingeweiht gewesen.
Der britische Lord Arthur Ponso nby, ein hervorra
gender Exponent der Labourparty, verwies 1 928 in seinem Buch "Lügen im Kriege " auf die beachtenswerte Veröffentlichung eines führenden serbischen " Insiders ":
"Die Enthüllungen über die Mitschuld der serbischen Regierung an dem Verbrechen erschienen erst 1924, als unter dem Titel 'Nach Vidovdan, 19 14' ein Artikel von Ljuba J owanowitsch, dem Präsidenten des serbischen Parlaments, veröffentlicht wurde, der 1914 Erziehungsminister im Kabinett Paschitsch gewesen war. Einige Auszüge aus diesem Artikel, die von Bedeutung sind, mögen wiedergegeben werden.
'Ich erinnere mich nicht, ob es Ende Mai oder Anfang Juni war, als Paschitsch uns eines Tages mitteilte, daß gewisse Personen Vorbereitungen träfen, nach Sarajewo zu fahren, um Franz Ferdinand zu töten, der dort zu Vidovdan ( Sonntag, den 28. Juni) erwartet wurde. So viel sagte er uns anderen, aber er handelte in der Angelegenheit weiterhin nur mit Stojan Protitsch, dem Innenminister. Wie sie mir nachher sagten, wurde das Attentat von einer geheim organisierten Gruppe von Männern und den Vereinen patriotischer Studenten von Bosnien und Herzegowina in Belgrad vorbereitet. Paschitsch und wir anderen sagten (und Stojan Protitsch stimmte dem zu), daß er, Stojan, die Behörden an der Drina-Grenze anweisen sollte, den Grenzübertritt der jungen Leute, die Belgrad zu diesem Zweck verlassen hatten, zu verhindern. Aber diese Grenzbehörden waren selbst Mitglieder der Organisation, führten Stojans Befehl nicht aus und sagten ihm, was er uns nachher mitteilte, daß der Befehl zu spät gekommen wäre, da die jungen Leute die Grenze schon überschritten hätten. So mißlang der Versuch der Regierung, die vorbereitete Gewalttat zu verhüten.'
Das beweist klar und deutlich, daß das ganze Kabinett einige Zeit, bevor der Mord stattfand, von dem Anschlag wußte; daß der Premierminister und der Innenminister wußten, in welchen Gesellschaften er vorbereitet worden war; daß die Grenzwache stark hineinverwickelt war und unter dem Befehl derjenigen arbeitete, die das Verbrechen vorbereiteten." 14)
Gleiches bestätigte der britische Historiker E.D.
Morel, indem er auf das in Lausanne ( Schweiz) 1920 erschienene Buch des serbischen Ko mmandanten Lazarewitsch " La Main Noire " verwies. Lazarewitsch hat in diesem Buch die serbische Geheimorganisation "Schwarze Hand " analysiert und dargetan, d aß die führenden
14) Arthur Ponsonby, "Lügen im Kriege", London 1928, deutsche Ausgabe
Berlin o. J., S. 41 - 47
serbischen Staatsmänner - so auch Prinz Alexander und Ministerpräsident Paschitsch - Mitglieder dieser Geheimorganisation gewesen sind, von dem Mordanschlag gegen das Österreichische Thronfolgerehepaar zeitig gewußt, es begrüßt und auch die Befürwortung seitens der russischen Diplomatie erhalten haben. Wörtlich schreibt er:
"Durch diesen neuen Mord hofften sie, ihre Macht im Lande noch weiter zu verstärken. Sie rechneten auch mit dem Ausbruch schwerer Cnruhen in Bosnien, die das Vorspiel eines Angriffs auf Österreich gewesen wären und den Triumph der serbischen Aspirationen bcsc hleunigt hätten."' I s)
Joseph war 84 Jahre alt, der mäßigende Thronfolger beseitigt) beschlossen, das Attentat von Sarajewo für
eine energische Aktion gegen Serbien zu nutzen. Befürchtete er doch, daß eine weitere Duldung großserbischer Aktivitäten in Serbien nach dieser Herausforderung Ruhe und Sicherheit, ja den Bestand der österreichisch- Ungarischen Monarchie gefährden .
Arthur Ponsonby folgerte :
"Daß die Österreichische Re gierung zu der Einsicht kommen mußte, daß eine Weigerung, entweder Ciganovic zu finden o der anderen zu gestatten , ihn zu suchen, eine Schuld auf seiten der serbischen Regierung bedeutete und daß sie darum den Krieg erklärte, ist nicht verwunderlich." 14)
Leopold Graf Berchtold, österr.- Frhr. Conrad v. Hötzendorf, österr.-Erzherzog Franz Ferdinand im Kreise seiner Familie ungar. Außenminister ungar. Generalstabschef
----------------�-------------------------------------
Wien ermittelte zunächst von Bosnien aus und belastete auf Grund der gewonnenen Erkenntnisse die serbische Regierung mit der moralischen Verantwortung, da sie grenzübergreifende nationalistische Propaganda, Organisationen mit großserbischer Zielsetzung erlaube, nicht wirksam gegen Beamte einschreite, die sich in diesem, das friedliche Zusammenleben mit ÖsterreichUngarn störenden Sinne betätigten und so den Nährboden für die begangene Bluttat begünstige.
In der zweiten Hälfte des Juli, als Belgrad sich weigerte, Österreichische Beamte bei den Fahndungsmaßnahmen in Serbien gegen den flüchtigen Dschiganovitsch zu beteiligen, hat Außenminister Berchtold mit
seinen Beratern im Wiener Auswärtigen Amt und mit Militärkreisen um Conrad von Rötzendorf übereilt und
ohne jegliche anderweitige Absprachen (Kaiser Franz
15) E.D. Morel, "Truth and the War", London 1916, in deutscher
Ubersetzung herausgegeben von Hermann Lutz unter dem Titel:
"Ein gerechter Engländer über die Schuld am Kriege", Berlin 1920, S.
266 + 238
An zeitigen und zahlreichen Warnungen - auch deutscherseits - an einem unüberlegten, zu harten Kurs Berchtolds sollte es nicht fehlen. Selbst Kaiser Franz Joseph setzte sich anfangs für eine friedliche Lösung ein, änderte jedoch später resignierend seine Meinung.
Am 4. 7. entsandte Berchtold seinen Kabinettchef Hoyos mit einer Denkschrift nach Berlin, um erkunden zu lassen, ob Deutschland seinen Verbündeten Österreich- Ungarn bei dem V ersuch, Wiens Einfluß auf dem Balkan verstärkt zur Geltung zu bringen, auch um Bulgarien, Rumänien und die Türkei nicht in den russischen Machtbereich abgleiten zu lassen, gegen ein eventuelles Eingreifen Rußlands zu stärken bereit sei .
Kaiser Wilhelm II., bereits mit den Vorbereitungen für seine Norwegen-Reise an Bord der "Hohenzollern" befaßt, bemerkte, daß das Österreichische Programm "eine ernste europäische Komplikation" befürchten lasse, es aber "nicht unseres Amtes sei, dem Bundesge
nossen zu raten, was auf die Sarajewoer Bluttat zu tun sei. Darüber müsse Wien selbst befinden, wolle man doch
9
diesen Konflikt nicht international ausweiten." Immerhin könne man in Wien "auch in diesem Fall auf die
volle Unterstützung Deutschlands rechnen". Weder der Kaiser noch Reichskanzler Bethmann-Holl
weg konterten mit der präzisen Frage, was Österreich
Ungarn denn eigentlich gegen Serbien zu unternehmen
gedenke, - eine verhängnisvolle Unterlassung. War es
monarchisches Solidaritätsverhalten, war es bis dahin
sicherlich nicht unbegründetes Vertrauen in die Staats
kunst der Doppelmonarchie, war es einfach Unbekümmertheit oder auch nur die Hektik der verbliebenen Zeit zur Abreise oder auch politisches Unvermögen? Alles dies wird mitgewirkt haben. - Einen Blankoscheck für ein kriegerisches Unternehmen, in das womöglich
noch Rußland hineingezogen würde, hiermit an Wien
erteilt zu haben, dessen waren sich weder Kaiser Wilhelm noch Bethmann-Hollweg bewußt, dafür fehlten jedwede
militär-politischen Erwägungen.
Am 6. 7 . trat Kaiser Wilhelm II. seine Nordlandreise an (erst am 2 7 . 7 . kehrte er zurück), Großadmiral v. Tirpitz war und blieb im Urlaub in der Schweiz, Generalstabschef v. Moltke sowie Kriegsminister v. Falkenhayn fuhren Anfang Juli in Urlaub, keinerlei politische oder
militärische Initiativen wurden in Berlin ergriffen. Dennoch war es eine verhängnisvolle Unterlassung,
die auch solange nicht reguliert wurde, bis Wien durch
Schaffen neuer Fakten, die ihrerseits unerwartete Reak-
tionen Anderer auslösten, Verhältnisse einleitete, die in
Berlin ein "zu spät" erkennen ließen, weil bereits als nur
noch verbliebener Ausweg die Preisgabe deE: einzigen Verbündeten gefordert war. Dies wiederum schien aus Gründen des machtpolitischen Umfeldes in Europa gleichbedeutend mit der Preisgabe der eigenen staatlichen Existenzsicherheit.
Man hatte in Berlin - durch Untätigkeit, Sorglosig
keit, nicht etwa durch Anspornen oder aggressive Ziel
setzung! - eine Entwicklung reifen lassen, ohne darauf
Einfluß zu nehmen, die jedoch für das Reich größte
Gefahren brachte. Man hatte sich auch nicht bewußt
gemacht, welche internationalen Kettenreaktionen Ruß
lands Erscheinen auf dem Kampffeld bei den übrigen
europäischen Großmächten auslösen mochte. Denn daß
zu diesem Zeitpunkt der Zar in Petragrad (Petersburg)
bereits die Blankoschecks von Großbritannien auf dem
Umweg über die "Entente cordiale" mit Frankreich und auch von Frankreich mittels eines direkten Bündnisses und entsprechender Geheimabsprachen in der Tasche
hatte, war für Berlin überraschend.
Und die Lenker der Österreichischen Geschicke
tappten noch unbedarfter in das Verhängnis. Sie ver
ständigten nicht einmal den italienischen Verbündeten über ihre gegen Serbien beabsichtigten Schritte, so daß sich Rom berechtigt den Bündnisverpflichtungen entziehen konnte.
Genera lleutnant Er ich v. Falkenhayn, preu ß ischer Kri egsmi n i ster
G roßad mira l v. T i r p i tz, Staatssek retä r des deu tschen Reichsmar i n eamtes
Reichskanz ler Bethma nn-Hol lweg
10
••
Oster reich- Ungarn
Mehr als 3 Wochen nach dem Attentat in Sarajewo
am 24.7 . -, zeitlich unverständlich und inhaltlich nahe
zu unannehmbar, überraschte Wien die Welt - und somit
auch Deutschland - mit dem Österreichischen Ultima
tum an Serbien, - trotz des bereits Mitte Juli aus Berlin
in Wien eingetroffenen dringenden Rates, auf die Annek
tion serbischer Gebiete unbedingt zu verzichten. Inhalt: Das Attentat sei in Belgrad vorbereitet
worden und ein Ergebnis der von der serbischen Regierung gebilligten Propaganda. In elf Forderungen bestehe
die österreichisch-ungarische Regierung auf Abstellung
derartiger Umtriebe. Hierzu gehöre: Die serbische Regie
rung sollte sich in einer wörtlich vorgeschriebenen Erklärung von der südslawischen Bewegung per Amtsblatt
Publikation sowie Armeebefehl lossagen, entsprechende Organisationen auflösen, Propaganda gegen die Doppel
monarchie unterbinden, vor allem auch im Schulbereich,
diesbezüglich hervorgetretene Beamte entlassen und österreichisch-ungarische Organe sowohl an der Überwachung dieser Maßnahmen als auch bei der Untersuchung der Mitschuldigen am Atttentat in Belgrad beteiligen. Zur Beantwortung wurde eine Frist von 48 Stunden, bis 2 5 .7 ., 18 Uhr gesetzt.
Baron v. Giesl erhielt Anweisung, sich auf keinerlei Verhandlungen einzulassen, und mit dem Gesandtschaftspersonal unverzüglich Belgrad zu verlassen, falls das Ultimatum nicht vorbehaltlos angenommen würde.
Zeitpunkt, Text und Fristsetzung brüskierten die Staatenwelt Europas. Die Diplomatie der Reichsregie
rung war betroffen, riet zur Mäßigung, vermied jedoch
den Eindruck eines Eingriffes in die Souveränität Öster
reich-Ungarns und stellte das Bündnis nicht in Frage. Die
russische, britische und französische Diplomatie riet
offiziell Serbien zur Mäßigung bzw. zu einem Appell an
die Großmächte.
Zweifellos gehört zur Erklärung dieses Vorgehens der k. u. k. Monarchie die umfassende Vorgeschichte der balkanischen Verhältnisse, die sowohl einen innenpoli
tisch-reformerischen Charakter trugen als auch einen auf den Sturz des Vielvölkerstaates abzielenden. Doch die
Völker draußen in der Welt wußten davon nichts,
sondern reagierten nur auf kurzgefaßte Schlagzeilen,
vornehmlich der Presse. Der Österreichische Außenminister Graf Berchtold gab am 2 5 . Juli seinem Botschafter in Petersburg Anweisung, der russischen Regierung sein Handeln wie folgt zu erklären:
Wien 25. Juli 1914.
" In dem Augenblick, wo wir uns zu einem ernsten Vorgehen gegen Serbien entschlossen haben, sind wir uns natürlich auch der Möglichkeit eines sich aus der serbischen Differenz entwickelnden Zusammenstoßes mit Rußland bewußt gewesen. Wir konnten uns aber durch diese Eventualität nicht in unserer Stellungnahme gegenüber Serbien beirren lassen, weil grundlegende staatspolitische Konsiderationen uns vor die Notwendigkeit stellten, der Situation ein Ende zu machen, d a ß e i n r u s s i s c h e r F r e i b r i e f S e r b i e n d i e d a u e r n d e , u n g e-
s t r a f t e u n d u n s t r a f b a r e B e d r o h u n g d e r M o n a r c h i e e r m ö g l i c h e .
Für den Fall, als Rußland den Moment für die große Abrechnung mit den europäischen Zentralmächten bereits für gekommen erachten sollte und daher von vornherein zum Krieg entschlossen wäre, erscheint allerdings nachstehende Instruierung Euer Exzellenz überflüssig.
Es wäre aber immerhin denkbar, daß Rußland, nach der eventuellen Ablehnung unserer Forderungen durch Serbien und angesichts der sich für uns ergebenden Notwendigkeit eines bewaffneten Vorgehens, mit sich selbst zu Rate ginge und daß es sogar gewillt sein könnte, sich von den kriegslustigen Elementen nicht mitreißen zu lassen.
Dieser Situation sind die nachfolgenden Darlegungen angepaßt, die Euer Exzellenz im gegebenen Moment und in der Ihnen geeignet erscheinenden Weise und nach der von Ihnen zu ermessenden Opportunität bei Herrn Sasonow und dem Herrn Ministerpräsidenten verwerten wollen:
Ich setze im allgemeinen voraus, daß Euer Exzellenz unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein enges Einvernehmen mit Ihrem deutschen Kollegen hergestellt haben, der seitens seiner Regierung
gewiß beauftragt worden sein dürfte, der russischen Regierung keinen Zweifel darüber zu lassen, daß Österreich-Ungarn im Falle eines Konfliktes mit Rußland nicht allein stehen würde.
Darüber gebe ich mich keiner Illusion hin, daß es nicht leicht sein wird, für unseren unvermeidlich gewordenen Schritt in Belgrad bei Herrn Sasonow Verständnis zu finden.
Es gibt aber ein Moment, das seinen Eindruck auf den russischen Minister des Äußeren nicht verfehlen kann und das ist die Betonung des Umstandes, daß die österreichisch-ungarische Monarchie, dem von ihr seit Jahrzehnten festgehaltenen Grundsatz entsprechend, auch in der gegenwärtigen Krise und bei der bewaffneten Austragung des Gegensatzes zu Serbien keinerlei eigennützige Motive verfolgt.
Die Monarchie ist territorial saturiert und trägt nach serbischem Besitz kein Verlangen. Wenn der Kampf mit Serbien uns aufgezwungen wird, so wird dies für uns kein Kampf um territorialen Gewinn, sondern lediglich ein Mittel der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sein.
Der Inhalt des Zirkularerlasses, der an sich schon beredt genug ist, wird in das rechte Licht gerückt durch das Dossier über die serbische Propaganda gegen die Monarchie und die Zusammenhänge, die zwischen dieser Propaganda und dem Attentat vom 28.
Juni bestehen.
Auf dieses Dossier wollen Euer Exzellenz die Aufmerksamkeit des Herrn russischen Ministers ganz speziell lenken und dartun, es
ll
S i r Edward G rey, br iti scher
Auße n m i n ister
Geo rg V., Kö n i g vo n
G roßbr itan nien u nd Irla nd
sei eine in der Geschichte singuläre Erscheinung, daß eine Großmacht die aufrührerischen Umtriebe eines angrenzenden kleinen Staates durch so lange Zeit mit so beispielloser Langmut geduldet hätte wie Österreich- Ungarn jene Serbiens . . . . " 16)
Rußland wußte somit zeitig, daß Österreich keinen
Territorialgewinn erzielen wollte und vornehmlich ge
genüber Rußland schon gar keine Aspirationen hegte.
Doch der russische Ministerrat hatte bereits die ersten
Mobilmachungsmaßnahmen am 24.7 . beschlossen.
An diesem 2 5 . Juli lief das Ultimatum an Serbien aus.
Die serbische Regierung erteilte zeitgerecht Antwort
und zwar in einer allseits als außerordentlich geschickt
anerkannten Form: Eine Einschränkung der Pressefrei
heit bedürfe einer Verfassungsänderung, die beschuldig
ten Vereine würden aufgelöst, Mitwirkung Österreich
ischer Beamter bei den polizeilichen Nachforschungen
sowie Maßnahmen zur Unterbindung subversiver Um
triebe seien im Rahmen völkerrechtlicher Normen für
gutnachbarliche Beziehungen möglich; im übrigen möge
Wien konkrete Belege für feindselige Handlungen ser
bischer Offiziere und Beamter benennen und weitere Zweifelsfragen zur Regelung den Großmächten oder dem Internationalen Gerichtshof im Haag vorlegen. -Verhängnisvoll wiederum war jedoch, daß Serbien bereits eine Stunde vor Überreichung dieser sehr geschickten und daher weitere diplomatische Regelungen eröffnenden Antwort die allgemeine Mobilmachung angeordnet hatte.
Da bei allen Großmächten der damaligen Zeit Mobil
machung als gleichrangig mit Kriegserklärung galt, wurde
auch in Wien sofort die überreichte Antwort als wert-
16) Die Auswärtige Po litik Serbiens 1903- 1914, aaO. Bd. II, S. 554- 555, Dok. Nr_ 968
12
H. H. Asqu it h, br it i scher
Pre mier m i n i ster
loses, weil gar nicht ernst ge
meintes diplomatisches Papier
betrachtet, ganz gleich, wie
auch sein Inhalt sei. Die Mobi
lisierung Serbiens -zumindest
zu diesem Zeitpunkt - war
militärisch auch völlig sinnlos,
da Serbien mit oder ohne Mo
bilisierung der machtpoli
tischen Ausgangslage Öster
reich- Ungarns ohnehin aus
sichtslos unterlegen war, - so
fern es allein stand.
Der Österreichische Gesand
te verließ nach der Antwort
Belgrads unverzüglich die ser
bische Hauptstadt. Die diplo
matischen Beziehungen waren
abgebrochen.
Erst drei Tage später erhielt
Berlin den serbischen Text aus
Wien, doch war dieser bereits
via Belgrad vorher schon in der
Reichskanzlei eingetroffen. Es war der 27 . 7 . , der Tag, als
Kaiser Wilhelm II. abends von seiner Nordlandreise in
Berlin anlangte. Seine Reaktion:
"Ein großer moralischer Erfolg für Wien, damit fällt jeder Kriegsgrund fort, und Giesl hätte ruhig in Belgrad bleiben sollen! Darauf hätte ich niemals Mobilmachung befohlen!" 1 7)
Freilich hatte Wilhelm II. nur den Text, nicht die
serbische Mobilmachung berücksichtigt. -Immerhin; -
reagiert so ein "welteroberungssüchtiger Militarist"?
Da sich Rußland von vornherein für den Fall eines
serbisch-österreichischen Konfliktes für eine militärische
Unterstützung festgelegt hatte, war die serbische Mobil
machung (beschlossen am 2 4 . 7 .) mit der russischen
Teilmobilmachung gegen Österreich bereits synchron
geschaltet (im russischen Ministerrat ebenfalls am 24.7. beschlossen). - Reaktion in Österreich am 25 .7 .: Mobilisierung von 8 Armeekorps gegen Serbien. - Petragrad verkündet gleichzeitig die am Vortag beschlossenen vorbeugenden Mob.-maßnahmen, den Belagerungszustand
in PetrogTad und Moskau und verkündet die Kriegsvorbereitungsperiode für die europäischen Bezirke beginnend
mit dem 26. 7 .
Doch Berchtold in Wien, offenbar von dem Ge
danken gedrängt, durch nunmehr schnelles Handeln die
Einmischung der Großmächte ausschalten zu können,
erklärte - wiederum ohne jegliche Absprache mit
Deutschland - am 28. 7 . um 11 Uhr Serbien den Krieg
und ließ sogleich über die Donaugrenze in Belgraa
einmarschieren.
17) J. R. von Salis, "Die Ursachen des Ersten Weltkrieges", Stuttgart 1964, s. 58
Z u Sp ä t Unmittelbare Reaktion Rußlands : Mobilisierung
gegen Österreich, die sich zwar nur dem Begriff, nicht der Sache nach von der ohnehin schon angelaufenen " Kriegsvorbereitungsperiode" unterschied . Generalstabschef Januschkewitsch hatte von Anfang an den Standpunkt vertreten, daß eine Teilmobilisierung im Rahmen einer " Kriegsvorbereitungsperiode" in den militärischen Operatio nsplänen nicht vorgesehen sei , sondern derlei Maßnahmen auf die sofortige Gesamtmobilisierung hinauslaufe, zumal im Falle Österreich Deutschland dahinterstünde und deshalb keine Zeit zu verlieren sei .
Un mittelbar nach Kenntnis dieser Schritte Österreichs und Rußlands gab Reichskanzler Bethmann-Hollweg nach Petersburg am 2 9 . 7 . durch, daß "wir in Wien darauf hinwirken, zu erklären , keine Territorien erwerben zu wo llen , wir im übrigen weiter vermitteln , aber ein weiteres Fortschreiten russischer Mob. -Maßnahmen uns zur Mobilmachung zwingen würde und daß dann europäischer Krieg kaum noch aufzuhalten sein werd e . " Er wußte nicht , daß Rußland bereits von Wien spätestens am 2 6 .7 . die Zusicherung erhalten hatte , keine Gebietsansprüche gegenüber Serbien zu stellen.
Der Text dieses Telegramms war unglücklich und führte zu einem, womöglich auch nur vorgeschobenen, Mißverständnis . Deutscherseits lag der Gedanke zugrunde, daß "ein weiteres Fortschreiten " bzw . eine Ausweitung der ja seit dem 2 5 .7 . bereits akzeptierten russischen Teilmobilmachung gegen Österreich zu einer Allgemeinen - so mit auch gegen das Deutsche R eich gerichteten - Mobilmachung Deutschland zur Mobilmachung zwingen würd e . Sasonow dagegen bemühte sich , den Text so auszulegen, als sei damit bekundet worden, daß "ein Fortschreiten der russischen Teilmobilmachung gegen Österreich" bereits zu einer Mobilmachung Deutschlands führen würde. Der Versuch ist erkennbar, die o hnehin im Rahmen der russischen Gesa mtstrategie vorgesehene Allgemeine Mobilmachung Rußlands besser motivieren zu können.
Immerhin hat Sasonow mit dieser Textauslegung den drängenden Sucho mlinow und Januschkewitsch sekundiert , um dem zögernden Zaren am 2 9 . 7 . gegen 17 Uhr
die Unterschrift zur Allgemeinen Mobilmachung abzuhandeln . Das unmittelbar d anach eingetro ffene Antworttelegramm Wilhelms II , er würde seinen ganzen E influß aufbieten , um Osterreich zu veranlassen, durch sofo rtiges Handeln zu einer befried igenden Verständigung
mit ihm ( dem Zaren) zu kommen, bewog Nikolaus II , den Allgemeinen Mob . -Befehl wieder rückgängig zu machen . Doch das dauerte nur knapp 24 Stunden , dann war der Zar erneut dem Druck seiner Militärs erlegen und bestätigte , ohne das Vermittlungsergebnis Wilhelm s II . abzuwarten , am 3 0 . 7 . die kaum unterbro chene Allgemeine Mobilmachung für ganz Rußland . Den westlichen Verbündeten teilte Petragrad d iesen Beschluß jedoch zunächst nicht mit , um vor d er Weltöffentlichkeit Deutschland durch dessen nunmehr zwingend gewordene Schritte ko mpromittieren zu k önnen.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Zwischenzeitlich hatte Berchto ld in Wien einige Ver
handlungsvorschläge aus Berlin , London und Petragrad als durch die Kriegserklärung an Serbien überholt und nicht mehr realisierbar abgewiesen . In London, Paris und Petra grad glaubte man , daß die k .u . k . Monarchie eine derart waghalsige Politik nur unternehmen könne, wenn Berlin ihr dabei , w omöglich noch anregend , d en Rücken stärkte . Wilhelm II . und der Reichskanzler hingegen hatten vergeblich versucht darzulegen, daß sie in Wien allenfalls dringend raten, j edoch dort nicht befehlen könnten , da Österreich-Ungarn ein souveräner Staat sei .
Am 30 .7 . j edo ch wirkte sich in Wien der Druck Deutschlands aus, und die Österreichische Führung wurde " plötzlich konziliant " , versicherte auch gegenüber Frankreich, keine Souveränitätsrechte Serbiens beschneiden zu wollen, bemühte sich in Rußland , die Tür als nicht zugeschlagen zu betrachten und signalisierte England, seine Vermittlungsbemühungen günstig aufzunehmen. 1 s ) Sir Edward Grey ko nnte auch noch seinen Vorschlag unterbreiten, alle kriegerischen bzw. Vorbereitungsmaßnahmen zu stoppen und Österreichs Verhandlungsbereitsc haft anzunehmen, doch die schon angelaufene russische Generalmobilmachung machte alles zunichte und schuf neue Verhältnisse .
Während der französische Botschafter angesichts der Stimmung in Petragrad resignierte und den kommenden Krieg nicht mehr mittels d iplomatischer Kunstgriffe abwendbar hielt , telegrafierte der franz ösische Ministerpräsident am 2 8 . 7 . d ie Versicherung in d ie russische Hauptstadt , daß Frankreich "seine Bündnispflichten " erfüllen würde . Diese "Bestätigung " j edenfalls half in Petragrad noch vorhandene Hemmungen gegen die Al lgemeine Mobilmachung aus dem Wege räumen , waren doch " Frankreichs Bündnispflichten " nicht mehr auf den Verteidigungsfall beschränkt , sondern längst ausgedehnt worden auf die "Erhaltung des Gl eichgewichtes " ; dennoch schien es "beruhigend " zu sein , in der Stunde, auf die es ankommt , vo m Partner noch einmal bestätigt zu erhalten, daß es in dieser Frage keinen Zweifel gab .
Der b ritische Außenminister hatte sich in diesen Tagen außerordentlich geschickt zurückgehalten und weder in Rußland noch in Frankreich irgendwelche
1 8 ) E a r l Lo re b u r n , " Ho w t he War ca me " , Lo ndo n 1 9 1 9 , S. 1 6 1 u nter
Bez u g na h me a u f d ie b r i t i s c h e n u nd f r a n z ö s i s c h e n F a r bb ü c he r
1 3
Hoffnungen geweckt , die auf eine britische militärische Unterstützung schließen ließen . Der französische Botschafter Paul Cambon kam aus dem Staunen nicht heraus , als ihm beteuert wurde , für England bestünde Frankreich gegenüber keine Verpflichtung in einem Krieg, den Frankreich in Erfüllung seiner Bündnis pflichten gegenüber R ußland führen würd e . Doch auch Grey konnte in England nicht alleine entscheiden.
D e u t s c h l a n d
Zu diesem Zeitpunkt schreibt noch Kaiser Wilhelm II . an Staatssekretär Jagow, nach der serbischen Antwort entfalle j eder Kriegsgrund , doch sollte Österreich für d ie Einhaltung der serbischen Versprechen Sicherheiten erhalten - z . B . zeitweilige Besetzung Belgrads - denn diese Besetzung war bereits vo llzogen.
Reichskanzler Bethmann-Hollweg leitete den britischen Vorschlag zwecks weiterführender Verhandlungen nach Wien und vermerkt am 28 .7. um 22.15 Uhr in klaren , aber. auch zum Vorwurf der Leichtfertigkeit Anlaß gebenden Worten :
" D ie ö st erreichisch- ungarische Regierung hat Rußland b e stimmt erklärt , d a ß s i e an territoriale Erwerbungen i n Serbien nicht denkt . Dies st immt mit der Meldung E w . Exz. überein , daß weder die österr. no ch die u ngarisc h e n Staatsmänner die Vermehrung des slawischen Elements in der Monarchie für wünsche nswert halt e n . Hiervo n abgesehen h at uns die österreichisch
ungarische R egierung tro t z wiederholter Anfrage n über ihre Ab sic hten im Unklare n gelasse n . Die n u nm ehr vorliegende Antwort . der serbisc hen Regierung a u f das Ö sterreichische Ultimatum läßt erkennen, daß Serbien den Österreichischen Forderungen doch in so weit ge he ndem Maße entgege n geko mmen ist , daß bei einer völli g intransigenten Halt ung der österreichisch-u ngarischen Regierung mit e iner allmählichen Abke hr der ö ffentliche n Meinung vo n i hr in ganz Europa gerechnet werden muß.
Nach de n Angab e n des Öst erreichischen Generalstab s wird ein akt ives militärisches Vorge he n gegen Serbien erst am 1 2 . August möglich sein. Die k . R egierung ko mmt i nfo lgedessen in die auß ero rdentlich schwierige Lage, daß sie in der Zwischenz e it den Vermittlu ngs- und Konferenzvo rsch lägen der anderen Kab inette ausgesetzt bleib t , und wenn sie we it er a n ihrer b isherigen Z u rüc khaltung solchen Vo rschläge n gegenüber festhält, das Odium, einen Weltkrieg verschuldet zu h ab e n , schließlich auch in d e n Augen des deutschen Vo lkes auf sie zurü ckfällt . Auf einer solchen B asis aber läßt sich ein erfo lgreic her Krieg nach drei Fronten nicht einleiten und fü hren. Es ist eine geb ieteris che No twe ndigkeit , daß die Verant wortung für das eventuelle übergreifen des Konflikts auf die n ic h t unmittelb ar Beteiligt e n unter alle n U m stände n Rußland trifft . In der letzten Unt �rredung Herrn Saso n ows m it dem Grafe n Po urale s hat der M inister bereits z ugegeb en, daß Serbien die
'verdiente Lektio n ' erhalten mü sse. Der Minister stand überhaupt dem Österreichischen Standpu nkt nicht mehr so bedingungslos able hnend gege nüber wie früher. Es liegt hiernach die Schlußfolgerung nicht fer n, daß die russisc he Regierung sich auch der Erken ntnis n icht verschließen wird , daß , nachdem einmal die
1 4
Genera lfeld ma rscha l l Paul von Hindenburg; l k . sein Genera lstabschef Genera l l eutnant E rich Ludendorff
Mo bilisierung der österreic hisch-u ngarischen Armee bego n nen hat , scho n die Waffenehre den Einmarsch in Serb ien erfordert . Sie wird sich aber mit diesem Gedanken umsomehr abzufinden wissen, wenn das Wiener Kabinett in Petcrsburg die bestimmte Erkläru ng wie derho lt , daß ihr t erritoriale Erwerb ungen in Serbien durchaus fernliegen , und daß ihre militärischen M aßnahmen lediglich eine vorübergehe nde B e setzung vo n B elgard und anderen bestimmten Punkten des serbischen Gebietes bezwecken, um die
serbische Regierung zu völliger Erfüllung ihrer Fo rderunge n und zur Schaffung vo n Garantien für künftiges Wohlverhalt en zu zwingen, auf die Österrei ch- Ungarn nach den mit Serbien gemachten Erfahrunge n unbe dingt Anspruch h at . Die B esetzung sei gedacht wie die deutsche Okkupat io n in Frankreich nach dem Frankfurt er Friede n zur Sicherstellung der F o rderung auf Kriegse nt sc hädigung. So b ald die Öst erreichischen Fo rderu nge n erfüllt
seien , werde die Räumung erfo lgen . E rkennt die russisch e Regierung die B erechtigung dieses Standp unktes nicht an, so wird sie die ö ffe ntliche Me inung ganz Europas gegen sich hab e n , die im Begriffe steh t , sich vo n Österreich ab zuwend e n . Als eine weitere F o lge w ird sich die allgemeine diplo mat isch e und wahrscheinlich auch die militärische Lage sehr wesentlich zugunsten Österreich Ungarns und seine Verbü ndeten versc h ieb e n .
E w . p p . wollen sic.h umgehend in diesem S i n n e d e m Grafe n B erchto ld gegenüber nachdrüc klich aussp-rechen und eine entsprechende Demarche in St . Petersb urg anregen. S ie werden es dab e i so rgfältig zu vermeiden h ab en , daß der E i ndruc k entsteht, als wünschten wir Österreich zurückzu halten . Es hand elt sich lediglich darum , e inen Modus zu find en, der die Verwirklichung de s vo n Österreich-Ungarn erstreb ten Z iels, der groß serb isch en Prop aganda den Lebensnerv zu unterb ind e n , ermöglicht, ohne gleichzeit ig einen W eltkrieg zu e ntfesseln, und wenn d ieser schließlich n icht zu vermeiden ist , die B ed ingungen, unter denen er zu führen ist , für uns nach Tunlichkeit zu verb essern . "
) Bethman n -Ho llweg 1 9
1 9 ) D i e Deutschen Do k u mente z u m Kr iegsa usbruch 1 9 1 4 . Bd . 1 - 4. hrsg. i . A. des Auswärt igen A mtes . B er l i n 1 922, Bd . I I , N r . 32 3
Parallel zum Telegramm des Reichskan zlers an den
deutschen Botschafter in Wien - wie so eben zitiert -,
sandte am gleichen 2 8 . Juli Kaiser Wilhelm II . ein
Telegramm folgenden Inhalts an seinen Vetter Nikolaus,
den russischen Zaren :
" M it der grö ß t e n B e unruhigung höre ich vo n dem Ei ndruc k , den Öst erreich· Un garns Vo rgehen gegen Serb ien i n Deinem Reiche hervo rruft . Die skrupellose Agitat io n , die se it J ahren in Serbien getrieben wo rden ist , hat z u dem empörenden Verbrechen geführt , de sse n Op fer Erzherzog Franz F erdinand gewo rde n ist . Der Geist , der die Serben ihren e ige nen Kö nig und seine Gemahlin ermo r den l ieß, h errsc ht heute noch in jenem La nd. Zwe ifello s wi rst Du mit mir darin übere instimmen, daß wir b eide , Du und ich, so wo h l wie alle So uveräne ein ge me inschaft liches I nt eresse daran haben , darauf zu be ste hen, daß alle diej enigen , die für den sc he ußlichen Mord moralisch verantwortl ich sind, i hre verdiente Strafe erhalt e n .
An der erseits übersehe i c h ke ine swegs, wie schwierig e s für Dich u n d De ine Regier u n g ist , den St römu nge n der öffent lichen Me inung entgege n z ut r e t e n . Einge den k der herzlichen Freund· sc haft , die uns beide seit langer Ze it mit festem Band verbindet , set ze ich daher meinen ga n z e n E i n fluß e i n , um Österreich-Ungarn daz u zu best i m me n , eine o ffe ne u n d befriedigende Verständigung mit Rußland a n z u strebe n . Ich ho ffe zuversic htlich, daß Du mich in meinen Be mü hunge n, alle Schwierigkeit e n , die noch entstehen k ö nnen, z u bese it ige n , u nterstüt zen wirst ,
Dein se hr a u fric htiger und ergebe ner Freund und Vetter ge z . Wilhelm . "
. 2 0) Darauf erwiderte der Zar a m 29 . Juh :
" I c h bin erfre u t , daß Du zurück in Deutsc hland bist . In diesem so ernst en Auge nblick bitte i c h Dich inständ ig, m ir zu h e lfen . Ein sch mählicher Krieg ist a n ein schwaches La nd erklärt wo rden, die Entrüstung hierüber , die i c h völlig teile , ist in R u ßland ungeheuerlich. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald de m Druc k, der auf mic h ausgeübt wird, n icht mehr werde widerstehen können und ge zwungen sein we rde, Maßrege ln z u ergreifen, die zum K riege führen we rden. Um einem . U n glück, wie e s ein e uropäischer Krieg sein wü r de , vo rzubeuge n , bitte ich Dich im Namen unserer alte n Fre u n dsc haft , alles Dir mögli c he zu t u n , um De i n e n B u ndesgenossen davon zurüc k z u halten, z u we it z u gehen.
gez. Niko laus. "
Der Kaiser entgegnete an demselben Tage :
" I c h habe De in Te legramm erhalten und tei le Deinen Wunsch nach Erhalt ung de s Friede n s. J e doch kann ich - wie ich Dir in me inem ersten Telegra mm sagt e - Österreic h- Ungarns Vorgehen n icht als einen ' s c h mählichen Kr ieg' betrachten. ÖsterreichUn garn we iß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechunge n , we nn sie nur auf eine m Papier ste he n , gän z lich u n zuverlässig sind. �fe iner Ansicht nach ist ÖS terreich- Ungarns Vo rgehen als ein Versuc h zu bet rachte n , vo lle Garant ie dafür z u erhalte n , daß Ser bie ns Ve rsprechu n ge n a uch wir klich i n die Tat umgesetzt wer den. I n die se r Ansic ht we rde ich bestät igt durch die Erklärung des Ö sterreic hisc hen Ka bin e t t s , daß Österre ich- Ungarn keine territo rialen Ero berungen auf Ko sten Serb iens beabsi c h tigt . Ich m eine da her, daß e s für Rußland durchaus mö glich ist , dem ö sterreic hisch- serbisc hen Kri eg gege nüber in der Ro lle des Zu schauers Zu ver harren, o h ne Europa in de n schreck lichsten Krieg h ineinzuziehen, den es je mals erlebt hat . Ich glaube, daß e ine dir ekte Verst ändigu n g z wisc hen De iner R e gieru ng und Wien möglich und
wünschenswert ist, eine Verst ändigung, die - wie ich Dir schon telegraphierte - meine Re gierung mit allen Kräft e n zu fördern be mü ht ist . Natürlich würde n m ilitärische Maßnahmen Rußlands, welc h e Österrei c h-Ungarn als Drohung auffassen k önnte, ein Un glüc k beschleun igen, das wir b e ide zu vermeiden wünsc hen , und würden auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auf De inen App ell an meine Freundschaft und Hilfe - b ereit willig angenommen habe, untergrabe n .
ge z . Wilhel m . "
Inzwischen hatte der Kaiser erfahren, daß die
russische Mobilmachung gegen Österreich befohlen
wo rden war. Besorgt telegraphierte er noch einmal am 30 . Juli :
" Mein Botschafter i st angewiesen, De ine Regierung auf die Gefahren und sc hweren Ko nse quenzen einer Mob ilisatio n hinzuweise n ; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten Telegramm gesagt. Österreich- Ungarn h at n ur gege n Serbien mob ilisiert , und z war nur e inen Teil se iner Armee . Wenn Rußland, wie es j etzt nach Deiner und meiner Regierung Mitte ilung der F all ist , gege n Österreic h- Ungarn mo bil macht, so wird die Vermittlerro lle, m it der Du mich in freundsc haftlicher We ise betraute st und die ich auf De ine aus drückliche Bitte angeno m me n hab e , gefährdet , wenn nicht unmöglich gemacht. Die ga nze S chwere der Entscheidung ruht jetzt auf De inen Schultern, sie haben die Verantwortung für Krieg o der Frieden zu trage n .
gez . W ilhe l m . "
Die Antwort des Zaren erfo lgte auf der Stelle ( 30 . 7 : ) :
" I c h danke D ir vo n Herzen für Deine rasche Antwo rt . Ich e ntsende heute Ab end Tatischtschew m it Instruktionen. Die j etzt in Kraft tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen beschlossen wo rden, und z war aus den Gründen der Verteidigu n g gegen die Vo rbereit u ngen Österreichs. Ich ho ffe vo n ganzem Herz en, daß diese Maßnahmen in keiner We ise Deine St ellung als Ve rmittler bee influssen werden, die ich se hr hoch ansc hlage. Wir brauchen Deinen starken Druck auf Österreich, damit es z u einer Verständigung m it uns ko m m t .
ge z . Nikolau s . "
Rußland mobilisierte " aus Gründen der V erte idigung
gegen Österreich "? - Ein solches Argument mußte man
in B erlin als unehrlic h auffassen.
Am 31. Juli telegraphierte d ann der Zar no ch einmal
an den Kaiser :
" I c h danke Dir vo n Herzen für Deine Vermittlung, die eine Ho ffnung aufleuchten läß t , daß doch noch alles friedlich enden könnte. Es ist technisch unmöglic h , unsere militärischen Vo rbereit u n gen e in z u stelle n , die durch Osterreichs Mob il isierung notwendig gewo rden sind. Wir sind we it davo n entfernt , einen Krieg zu wünsc hen. So lange wie die Verhandlu ngen mit Österreich über Ser b ie n andauern, werden meine Trup pen k e ine h erausfordernde Akt io n unterne hmen. Ich gebe Dir mein feierlic hes Wort darau f. Ich vertraue m it aller Kraft auf Go ttes Gnade und ho ffe auf den Erfo lg Deiner Vermit tlung i n Wien für die Woh lfahrt unserer Länder und den Frieden Europas.
Dein Dir herzlich ergebener Nikolaus. "
20) Te xte des Telegram mwechse ls in :
Di e Deutschen Doku mente z u m Kriegsa usbr uch 1 9 1 4, hrsg. im Auftrage
des Auswärtigen A mtes, Ber lin 1 9 22, Band 3 - 4 +
Pau l Schreckenbach, "Der Weltbrand � I llust rierte Gesch ichte aus
gro ßer Zeit " , Lei pzig 1 9 20, Bd. I , S. 1 2 - 1 7
1 5
Der Zar gab hier keinerlei Erklärung dafür ab , warum die a l l g e rn e i n e russische Mobilmachung angeordnet worden war , die doch weder gegenüber ÖsterreichUngarn noch aus anderen Gründen notwendig war.
Er gab freilich auch keinerlei Erklärung dafür ab, warum er bereits im Winter 2 1 )
1913/1 914 den zur Entlassung bestimmten Reservistenj ahrgang nach Einstellung der neuen Rekruten (rund 450 . 000 Mann) bei den Fahnen behalten hatte, und warum darüber hinaus mittels Probemobilmachungen ab Frühjahr 1 9 14 weitere Vergrößerungen des Heeresbestandes vo rgeno rnrnen worden sind. Das alles mußte auf deutscher Seite schon v o r der Juli-krise beunruhi
gen.
Das "feierliche Wort " des Zaren konnte angesichts dieser
Berlin um 14 Uhr nachmittags abgesandt wurde :
"Auf Deinen Appell an meine Freundschaft und Deine Bitte um meine Hilfe hab e ich eine Vermittlungsaktion zwischen Deiner und der Österreichisch-ungarischen Regieru ng a u f ge no mmen .
Marschal l J offre, G eneralissimu s der seiner Taten für Berlin keine französischen Ar mee
R ay mond Poincare, Präsident der französischen R epu bl ik
Bedeutung mehr haben. Das ---------------------------------------------------------------------Vertrauen war zerstört. Während diese Aktion im Gange war, sind Deine Truppen gegen
das mir verbündete Österreich-Ungarn mobilisiert worden, wo· Am 3 1 .7 . löste die im Verlauf des Vormittages durch, wie ich Dir schon mitgeteilt hab e, meine Vermittlung
eintreffende Nachricht von der russischen Generalrnobil- beinahe illusorisch gemacht worden ist . Trotzdem hab e ich sie rnachung den Automatismus der Kriegsvorbereitungen fortgesetzt . Nunmehr erhalte ich zuverlässige Nachricht üb er aus, wobei zweifellos die Kenntnis von militärischen ernste Kriegsvorbereitungen auch an meiner östlichen Grenze . Die Bündnisabsprachen zwischen Rußland und Frankreich, Verantwortung für die Sicherheit meines Reiches zwingt mich zu
denen der soeben erst beendete Besuch von Poincare definitiven Gege nmaßregeln. Ich bin mit meinen Bemühungen um
und Viviani in Petragrad einen besonders akuten Akzent die Erhaltung des Weltfriedens bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen. Nicht ich trage die Verantwortung für das
verliehen hatte, eine wesentliche Rolle spielte. Die Un heil , das jetzt der ganzen zivilisierten Welt droht . Noch in Reichsregierung glaubte angesichts der sich abzeichnen- diesem Augenblicke liegt es in Deiner Hand, es ab zuwenden . den großen Gefahr an zwei Fronten keine Zeit verlieren Niemand bedrohte Ehre und Macht Rußlands, das wohl auf den
zu dürfen und die gegnerischen Mob .-Maßnahrnen allen- Erfolg meiner Vermittlung hätte warten können. Die mir von meinem Großvater auf dem Totenbette überkomme ne Freundfalls durch Schnelligkeit in etwa unterlaufen zu können schaft für Dich und Dein Reich ist mir immer heilig gewesen , und
und zu müssen. ich habe treu zu Rußland gestanden, we nn es in schwerer Der Bündnisvertrag zwischen Deutschland, öster- Bedrängnis war , besonders in seinem letzten Kriege . Der Friede
reich-Ungarn und Italien, der von 1 882 stets wieder Europas kann von Dir jetzt noch erhalten werden, wen n Rußland
verlängert wurde , hatte keine aggressive Zielrichtung zur sich entsc hließt, die militärischen Maßnahme n einzustellen, die
Grundlage, sondern sah vor, daß die Partner keine Deutschland und Österreich- Ungarn bedrohen. "
Bündnisse eingehen, die gegen einen der Vertragschließenden gerichtet sind, und im übrigen eine gegenseitige Friedens- und Freundschaftspolitik betreiben. Im Falle eines kriegerischen Angriffs seitens anderer Mächte war gegenseitige Unterstützung, zumindest wohlwollende Neutralität zugesichert. Die Militär- und Flottenabkommen von 1 9 1 3 waren von untergeordneter Bedeutung und enthielten lediglich unverbindliche Sondierung für gerneinsame Operationen .
Das Telegramm des Zaren vorn 3 1 . 7 . kreuzte sich mit einem Telegramm des Kaisers Wilhelrns II . , das von
2 1 ) ' " Der We l tk r ieg 1 9 1 4 · 1 9 1 8 ' " , bea r b . + hrsg . vo m R e i chsa r c h i v , Ber l i n
1 930, B d . I , ' " K r iegsr ü st u ng u nd Kr i egswi r tschaft ' " , S . 202
1 6
Mittags wurde in Berlin arn 3 1 .7 . der "Zustand der drohenden Kriegsgefahr" verkündet, um 1 5 .30 Uhr wurden die Ultimaten nach Petragrad und Paris abgesandt . Rußland wurde aufgefordert , binnen 1 2 Stunden die Kriegsvorbereitungen gegen Österreich und Deutschland einzustellen , andernfalls Deutschland mobilisieren werde. Frankreich erhielt die Anfrage, binnen 1 8 Stunden zu erklären, ob es sich i n einem deutschrussischen Krieg neutral verha:lten werde. 2 2 )
22) Wa s d i e Arch ive erst n a c h Kr ie gsende pre i sgabe n : I m F a l l e e i ner f ra n z ö s i schen Neut ra l i t ät sz u sage so l l te Botsch after
Schoen a l s Pf and für d i e N e u t r a l i tät d i e Fest u ngen To u l u nd Verd u n b i s
zu e i n e m K r i eg se nde ver l a n ge n , e i n u nb i l l iges Ans i n ne n , das nach
Beka n ntwerd e n 1 9 1 8 den Schad e n für Deut sch l a nd n o ch ve rgrößert e .
D i e e n ts c h e i d e n d e n T a ge des A u g u s t 1 9 1 4 Der Telegrammwechsel ging auch am 1 . August
weiter. An diesem Tag gegen 1 4 Uhr sandte der Zar an Kaiser Wilhelm II . folgenden Text :
" I ch hab e Dein Telegramm erhalten . Ich verstehe , daß Du gezwungen bist , mob il zu machen , aber ich möchte von Dir dieselbe Garant ie hab en, die ich Dir gegeben habe , nämlich , daß diese Maßnahmen nicht Krieg bedeuten und daß wir fortfahren werde n , zu verhandeln zum Hei le unserer beiden Länder und des allgemeinen Friedens, der unseren Herzen so teuer ist . Unserer Freundschaft muß es mit Gottes Hilfe gelingen, Blutvergießen zu verhindern . Dringend erwart e ich voll Vertrauen Deine An twort ."
Hierauf antwortete der Kaiser noch am 1 .8 . : " Ich danke Dir für Dein Telegramm. Ich habe Deiner R egie
rung gestern den Weg angegeben, durch den allein noch der Krieg vermieden werden kann. Obwohl ich um eine Antwort für heute Mittag ersucht hatt e , hat mich bis jetzt noch kein Telegramm meines Botschafters mit e iner Antwort Deiner Regierung erreicht . Ich bin daher gezwungen worden , meine Arm ee zu mobilisieren. Eine sofort ige klare und unmißverständliche Antwort Deiner Regierung ist der einzige Weg, um endloses Elend zu vermeiden. Bis ich diese Antwort erhalt en habe , bin ich zu meiner Betrübnis nicht in der Lage , auf den Gegenstand Deines Telegramms einzugehen . Ich muß auf das ernsteste von Dir verlangen , daß Du unverzüglich De iner Re gierung den Befehl gibst , unter keinen Umst änden auc h nur die le iseste Verlet zung unserer Grenzen zu begehe n . "
Telegramm des Reichskanzlers an den kaiserlichen
Botschafter in London vom 1 . August:
" Deutschland ist bereit , auf die englischen Vorsch läge einzugehen, wenn sich England mit seiner Streitmacht für die unbedingte Ne utral ität Frankreichs im deutsch-russischen Kon· flikt verbürgt . Die deutsche Mob ilmac hung ist heute auf Grund der russischen Herausforderung erfolgt , ehe die englischen Vorschläge hier e intrafe n. Infolgedessen ist auch unser Aufmarsch an der franz ösischen Grenze nicht mehr zu ändern. Wir verbürgen uns ab er , daß die französische Grenze bis Mo ntag, den 3 . August , ab ends 7 Uhr durch unsere Truppen nicht überschritte n wird , falls bis dah in die Zusage Englands erfolgt ist .
gez . Bethmann Hollweg . "
Auch an den König von England sandte der Kaiser ein Telegramm am 1 . August 1 9 1 4 :
" Ich habe soeben die :vlit te ilung Deiner Regierung erhalten , durch d ie s i e d ie franz ösische Neutral ität unter der Garantie Großbrit anniens anb iete t . Diesem Anerb ieten war die F rage angeschlosse n, ob unter diesen Bedingungen Deutschland darauf verzicht en würde , Frankreich anzugreifen. Aus te chnischen Gründen muß meine schon heut e nachmitlag nach zwe i Fronten , nach Ost en und Westen, angeordnet e Mobilmachung vorbereitungsgemäß vor sich gehen. Gegenbe fehl kann nicht mehr gegeben werden , wei l De in Te legramm leider zu spät kam. Aber wenn mir Frankreich seine Neutral ität anbiet e t , die durch d ie englische Armee und Flotte garant iert werden muß, werde ich natürlich vo n e inem Angriff auf Frankreich absehen und meine Truppen anderweitig verwenden . Ich hoffe , Frankreich wird nicht nervös
werden . Die Truppen an meiner Grenze werden gerade telegraphisch und telephonisch abgehalten, die französische Grenze zu überschreiten. "
Der König von England telegraphierte am 1 . August an Kaiser Wilhelm II . :
"In B eantwortung Deines Telegrammes, das eben eingegangen ist , glaube ich, daß ein Mißverständnis bezüglich einer Anregung vorliegen muß, die in einer freundschaftlichen Unterhaltung zwischen dem Fürsten Lichnowsky und Sir Edward Grey erfolgt ist , als sie erörterten , wie ein Kampf zwischen der deutschen und französischen Armee vermieden werden könne , so lange noch die Möglichkeit besteht, daß ein E inverständnis zwischen Österreich und Rußland erzielt wird. Sir Edward Grev wird den Fürsten Lichnowsky morge n früh sehen, um festzusteHen , ob ein Mißverständnis auf seiner Seite vorliegt .
gez . Georg ."
Um es hier vorweg zu nehmen : am 2 . August mußte Fürst Lichnowski aus London in einem Telegramm nach Berlin gestehen, daß die britische Führung in der Tat nicht daran gedacht hatte, Neutralität, unter welchen Voraussetzungen auch immer, zuzusagen, daß mit anderen Worten die deutschen Hoffnungen hierauf Mißverständnisse waren :
"Die Anregungen Sir Edwa.-d Grey 's, die auf dem Wunsche beruhten, die Möglichkeit dauernder Neutralität Englands zu schaffen, sind o hne vorherige Fühlungnahme mit Frankreich und o hne Kenntnis der Mobilmachung erfolgt und inzwischen als völlig aussichtslos aufgegeben.
gez. Lichnowsky. "
Am Sonnabend den 1 . 8 . 1 9 1 4 gegen 1 7 Uhr sieht sich der Kaiser im Kreis seiner Minister , Generäle und Admirale der Situation gegenüber , daß weder aus Petersburg noch aus Paris eine Antwort eingegangen ist. Daß Viviani dem Botschafter Schoen bereits um 1 2 Uhr mitgeteilt hat, " Frankreich werde tun , was ihm seine Interessen gebieten " , war noch nicht nach Berlin durchgedrungen . Einhellig wurde daher die deutsche Generalmobilmachung als Reaktion auf die russische beschlossen .
Eine Stunde vorher hatte die Regierung in Paris das
gleiche in Frankreich verfügt . Bereits am Tag zuvor, abends am 31 .7 . , bevor also die deutsche Mobilmachung beschlossen worden war, erhielt Joffre vom Ministerrat die Versicherung, daß die französische Allgemeine Mobilmachung am 1 . 8. spätestens 1 6 Uhr verkündet werde, sowie die Ermächtigung, dies den Armeekorps
mitzuteilen. Zur gleichen Zeit - also am 3 1 .7 . abends
gab Messimy dem russischen Militärattache Ignatiew "in
gehobenem, herzlichem Ton den festen Entschluß der französischen Regierung zum Kriege" bekannt und gab der Hoffnung des französischen Generalstabs Ausdruck , daß Rußland alle Anstrengungen gegen Deutschland
1 7
1 9 1 4: Deu tsche Soldaten au f dem Weg zu r Front. - Sieht so das Ergebnis einer Mobil �sieru ng zu r Eroberu ng fremder, Länder (oder gar "der Welt" ) , ein Krieg swille gegen einen weit ü ber das Doppelte so starken u n mi ttelbaren G egner au s?
richten und Österreich als quantite negligeable betrachten möge.
Wiederum einen Tag vorher , am 30 .7 . hatte Joffre bereits 5 Armeekorps - zwar unter Vermeidung von
Eisenbahntransporten - in die Grenzbezirke verlegen lassen, allerdings mit der Order , einen Abstand von 1 0 km von der Grenze z u halten .
Frankreich hat seine Generalmobilmachung n i c h t aus Furcht vor einem deutschen Angriff auf Frankreich beschlossen, sondern in Einlösung seiner selbst eigenwillig weitgespannten "Bündnisverpflichtungen " gegenüber Rußland bzw. in Wahrnehmung einer als "günstig " angesehenen ' ' Chance' ' , Elsaß-Lothringen wiederzuer
halten ! Dieser Sachverhalt ist für die Bewertung der Schuld- Zusammenhänge von ausschlaggebender Bedeutung, weitete er doch den Konfliktbereich in westeuropäische Dimensionen aus Gründen französisch-egoistischer Interessen und nicht etwa aus Gründen deutscher Expansivambitionen aus ! Weder gab es ein deutsches Eroberungsziel gegenüber Frankreich noch hat Frankreich ein solches ernsthaft behauptet oder gar nachge-wiesen.
Die spontane Generalmobilmachung Frankreichs gewinnt darüber hinaus noch weitere Schwergewichte durch folgende Fakten :
1 . ) Noch am krisengeschwängerten 2 9 . Juli bestätigte Viviani dem russischen Botschafter Iswolski die Entschlossenheit seiner Regierung und der französischen Öffentlichkeit , ohne Vorbehalte "in voller Einigkeit mit Rußland gemeinsam vorzugehen".
Z . ) Der Quai d'Orsay (französisches Außenamt) hat in der Vorgeschichte des Weltkrieges der zaristischen Regierung nicht zeitgerecht angeraten , die Folgen einer
Mobilmachung gegenüber Deutschland zu bedenken
1 8
bzw. Mob.-Maßnahmen zu vermeiden, die Deutschland als Bedrohung auffassen könnte . Ein diesbezügliches Telegramm Vivianis vom 30 .7 . kam erst 2 Tage nach dem Beschluß der russischen Generalmobilmachung (am
3 1 . 7 . ) dem Zaren zu Gesicht und mag möglicherweise für die Akten und zur Beruhigung der Kabinettsmitglieder gekabelt worden sein . Freilich war zu jener Stunde die russische Generalmobilmachung in Paris noch nicht bekannt, da Petragrad die westlichen Diplomaten erst mit bewußter Verzögerung davon unterrichten ließ . Immerhin läßt sich das Bemühen , sich nicht in die militärischen Maßnahmen des russischen Bundesgenossen einzumischen, als bedenklich bezeichnen, da man in Paris bereits die Anordnung der russischen Mob .-Befehle gegenüber Österreich vom 28.7 . als ein - wie sich aus den Akten erweisen sollte - Vorgehen erblickte , das Deutschland veranlassen konnte, seinerseits Mob .-Maßnahmen durchzuführen.
3 . ) Am 3 1 . 7 . hatten Poincare und Viviani erkannt haben müssen, daß Rußland verhängnisvolle Krisenentscheidungen im Alleingang, also ohne Konsultation mit Paris , getroffen hatte, und Paris der russischen Regierung praktisch eine Blankovollmacht zur Beibehaltung dieser Führungsrolle erteilt hatte, was zumindest noch einmal aus dem Telegramm Vivianis vom 28 .7 . nach Petragrad hervorgeht . Am wenigsten Frankreich kann der Reichsregierung einen Vorwurf daraus machen, auf seinen Bundesgenossen Österreich nicht hart genug durchgegriffen zu haben ; Paris hat der russischen Regierung in gar keiner Weise Zurückhaltung nahegelegt .
4. ) Die bedrohlichen Auswirkungen der russischen Generalmobilmachung , die sich in den daraufhin erfolgten - und für Paris nicht überraschenden - deutschen Noten bzw. den Ultimaten niederschlugen, hatte man soeben erst erfahren .
Um 1 9 Uhr des 1 . August 1 9 1 4 überreichte Graf Pourtales dem russischen Außenminister die Kriegserklärung Deutschlands. Der Text lautete :
" D ie k . Regierung hat s ich se it B e g i n n d e r Kri se b e m ü h t , sie e iner friedl i c h e n Lö sung z u z u führe n . Einem v o n S r . M . dem Kaiser vo n R u ßland au sgespr o c h e n e n W u ns c h e nachko m m e nd , hat s ich S . M. der De u t s c h e Kaiser ge m e i n sam mit England be mü h t , e ine Ve rmitt lerro l le be i de n Kab i n e tt e n vo n Wien und Pe tc rsburg durc h z u führen, a l s Rußland, ohne die E rge b nisse davo n a b z u wart e n , z u r Mo b i l isie r u ng se in er ge sa m t e n Land- und Sec streitkräfte s c hrit t .
l n fo lge die ser be dro h l ic h e n , durch keine mil itärische Vo rbereit u n g von de utscher Seite begrü ndete Maßnahme sah sich das De utsche Reich e i ner ernsten und u n m ittelbaren Gefahr gege nüber. Wenn die k . R e gi e r u ng es unt erlasse n hätt e , dieser Gefahr zu b e ge gn e n , hätte s ie die Sicherheit u n d so gar die Existenz Deutschlands a u fs Spiel ge se t z t . Die deutsche Regie rung sah sich daher ge zwu nge n, s i c h a n die R e gierung Sr . M . des Kaisers aller R e u ß e n zu we nden u n d a u f d i e Ei n st e l l u n g d e r erwähnt en m i l itärisc hen Handlu nge n z u dringe n . Da R ußland
dieser F o rdc rung n i c ht nac hge ko mmcn ist 2 3) auf d i e s e F o r d e r u n g keine A n t wort erte i len z u s o l l e n geglaubt hat und durc h d i e se W e i ge r u n g (Haltung) k u ndge t a n hat , daß sein Vo rge hen ge ge n De ut schland ge richtet ist , b e c hre ich mich im A uftrage meiner Re gie rung E w . Exz. mit z u t e ile n was fo lgt :
S . .\1. der Kaiser, mein erhab e ner H e rrscher, n i m mt im N a m e n d e s R e i c h s d i e Herau sforde rung an und b e trachtet sic h als im Kri e gszustand mit R u ßland befindlich . " 24)
Für Frankreich hatte das Auswärtige Amt folgenden Entwurf ausgearbeitet , der j edoch nicht abgesandt wurde: Dringend !
B e r l i n , d e n I . A ugust 1 9 1 4
" F a l l s d i e fra n z ö sische Regierung auf u n sere A n frage keine b e friedigende Antwort e rt e i lt , werd e n E w . E x z . ihr h eute n ach m i t tag 6 Uhr m it t e leurop äischer Z e i t fo lge nde E rklärung üb er-w c 1 s e n :
' D i e d e u t s c h e R egierung i st v o n B eg i n n d er Kris is a n um e i n e n fried l ichen A u sgleich b e m ii h t gewesen . Aber wäh rend s i e a u f Wunsch S r . M . d e s Kaisers von R u ßl a nd und i n Füh lu ng mit England noch z w i s c h e n W i e n u nd S t . P e t crsb urg vermitt e l t e , h at R u ßland sein ge sa m t e s Heer u nd se i n e F lo t t e mob ilisiert . D urch diese Maßrege l , der k e i n e außerord e n t l ichen K r iegsv o rb ere it u nge n in D e u t schland vo rangegange n ware n , ist das D e u t sc h e R eich i n se iner S i c h e r h e i t b ed ro h t w o rde n . E i ner so l c h e n G e fahr nich t e n t gege n t ret e n , h ie ß e um d i e E xist e n z d e s R e ic h e s sp ielen . D i e deut sche Regier u ng hat daher d i e russische R egierung z u r so fo rt igen E i ns t e l l u ng der :\1 o b i l m a c h u n g geg e n D eutsch land u nd se ine n Verbü nd e t e n O s t erre i c h - U n garn aufgefo rdert . G le i c h z e i t ig hat die deut sche Regierung d i e R e g ieru ng d e r fra n z ö sisch e n Repub l i k h ie rvo n in Ke n nt n is geset z t u nd s ie i n A nb e t rach t d e r b e k a n n t e n B e z i e h u nge n der Rep u b l i k z u R u ß l and u m e i n e E rk lärung darüber ersuch t , ob F r ankr e i c h in e i n e m r u ssisch deutsch en Kr iege n e u t ral b l e ib e n w i l l . H ierauf hat d i e französische Regier ung die zwe ide u t i ge u nd a u swe i c h e nde Antwort ge ge b e n , Frankr e i c h werde d a s t u n , was se ine Interessen ge böte n . M i t dieser An t wo r t b e hält s ich Frankr e i c h vo r , s i c h a u f Seiten unserer
231 W1e aus den Var i a nt e n zwe ier Ste l l en hervorge ht , sa h d i e d e m
Botschaf ter vo rgesc hr iebene E r k l ä ru ng sowo h l d e n Fa l l vo r , d a ß d ie
r u ss i s c he Reg i e r u ng a u f d i e d e u t sche A u fforder u ng , d i e Mo b i l ma c h u ng
e i n z u ste l l e n , über hau pt k e i n e Antwort geb e n , w i e a u c h d e n a nd e r e n
Fa l l , d a ß d ie A n t wo r t u ng e n ü ge n d se i n wü r d e .
2 4 1 A l t red vo n Wegerer . " Der A u sb r u c h d e s W e l t k r ieges " , H a rnb u rg 1 939 ,
B d . I I , S 1 7 2
Gegner z u st e l l e n , und e s i st i n d e r Lage , u n s j ed e n A ug e nb lick m i t se iner m o b i li siert en Arm ee in den Rücken z u fal len . D e ut s c h l a n d m u ß i n diesem Verhal t e n u m s o mehr e i n e B edro hung erb l i c k e n , als auf die an R u ßland gerichtete Auffo rder u ng, die Mob i l is ierung seiner S t r e it kräfte e i n zustellen , n ach längst verstr i c h e ner F rist keine A n twort eingegangen u nd daher e in ru ssisc h - d e ut s c h er K r ieg a u sgeb ro c h e n ist . Deutsch land kan n die W a h l des Z e i tp u n kt e s , i n d e m d i e B edrohung se iner west lich e n G r e n z e zur T at wird , n i c h t Frankreich überlasse n , sondern m u ß , vo n z w e i S e i t e n bedro h t , so fo rt s e i n e Vert eid igung ins W erk setzen .
H i ernach b in i c h b eauftrag t , E w . E xz . fo lgendes zu eröffn e n : ' S . M . der d e u t s c h e K a i s e r erklärt im N a m e n d e s R e ic h s , d aß
D e u t s c hland sich als im Kriegsz ustand m it F r a n kr e ich b e findlich b etrac h te t . ' "
" B itte E i ngang u nd Zeitpunkt d e r A u sführ u ng d ieser Instruktion nach west europ äisch er Z eit umge h e nd drah t e n .
B it t e I h r e Pässe fo rdern u n d S c h u t z u nd G e schäfte amerika-nischer B o tschaft ü b ergeb e n . " J ago w . 2 5 )
War man in Berlin auch davon überzeugt , d aß Frankreich unverzüglich zur Seite R ußlands springen würde, so legte man doch Wert darauf - soweit es die Militärstrategie zuließ -, Paris den nächsten Schritt tun zu lassen, was für die Weltöffentlichkeit , vornehmlich für die Entscheidung Großbritanniens zu b evorzugen sei .
D ie starken Befestigungen an der deutsch-französischen Grenze hatten dem deutschen Generalstab die Folgerung aufgenötigt , im F alle eines Krieges mittels eines " starken rechten Flügels " durch Luxemburg und Belgien gegen Frankreich antreten zu müssen . Ent� sprechend dieser Konzeption wurde am 2. 8. "zu� Schutz der deutschen Eisenbahnverwaltung" Luxemburg besetzt und um 19 Uhr dem belgischen Außenminister die Note überreicht, in der die Notwendigkeit eines deutschen militärischen Durchmarsches durch Belgien begründet und ersucht wurde, d iesen Maßnahmen keinen Widerstand entgegenzusetzen . Die Reichsregierung sagte zu, j egliehe Schäden zu ersetzen und bei Friedensschluß Besitzstand und Unabhängigkeit des Königreiches zu achten . Im Falle eines Widerstandes müsse man Belgien als Feindstaat behandeln . Eine Antwort wurde für den 3 .8 . vormittags erbeten. Belgien lehnte ab.
Nach dem Kriege wurde durch die Publikation der belgischen Dokumente bestätigt , daß Belgien seit 1906
recht umfassende Erörterungen mit den französischen Militärs für den Fall eines deutschen Einm arsches durchgeführt hat , was umgekehrt mit Deutschland nicht der Fall war. Der französische General Percin, im Obersten französischen Kriegsrat tätig gewesen , enthüllte 1925
(.1/a n c h e s t c r Guardin n vo m 27 . 1 . 1 925 und in l 'Ere No u
ve lle , 1 9 25): in Frankreich war man sich lange vor Kriegsbeginn darüber im klaren , daß Deutschland gar nicht umhin konnte, im Kriegsfall mit Frankreich durch Belgien zu marschieren und daß, falls Deutschland diesen Schritt nicht unternehmen würde, dies Frankreich tun würde und müßte . 2 6 )
2 5 1 A. v. Wegerer a a O . , S . 365
261 A . Po n so n by a a O . , S . 48 - 52
19
Do ch bereits im Okto ber 1 9 1 4 hatten die deutschen Behörden den dokumentarischen Nachweis in erbeuteten Akten aus den Archiven des belgiseben Generalstabs in Brüssel dafür liefern können , daß bereits langfristig vor Kriegsbeginn Belgien sich für den Fall eines europäischen Krieges nicht neutral zu verhalten gedachte. Wenn auch der nachfo lgende Beleg nach Ver
öffentlichung in der " Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" vo m 1 3. 1 0. 1 9 14 dahingehend abzuschwächen versucht wurde, daß es sich hierbei um "Privatabmachungen zwischen dem englischen Militärattache in Brüssel, Oberst Barnardiston, und dem Chef des belgischen Generalstabs, General Ducarme, handele, so ist doch eine solche Erklärung unrealistisch. Ohne Kenntnis und Billigung ihrer Regierungen konnten solche Ab
machungen , zumal in der vorliegenden ausführlichen
Form, nicht fixiert werden. Der deutsche Pressebericht
am 1 3. 1 0. 1 9 1 4 lautete u.a. :
"Aus dem Inhalt einer Mappe mit der Aufschrift 'Intervention anglaise en Belgique' geht hervor, daß schon im Jahre 190 6 die Entsendung eines englischen Expeditionskorps nach Belgien für den Fall eines deutsch-französischen Krieges in Aussicht genommen war.
Nach einem vorgefundenen Schreiben an den belgischen Kriegsminister vom l O.April 1906 hat der Chef des belgischen Generalstabes mit dem damaligen englischen Militärattache in Brüssel Oberstleutnant Barnardiston auf dessen Anregen in wiederholten Beratungen einen eingehenden Plan für gemeinsame Operationen eines englischen Operationskorps von 100 .000 Mann mit der belgischen Armee gegen Deutschland ausgearbeitet. Der Plan fand die Billigung des Chefs des englischen Generalstabes Geierson. Dem belgischen Generalstabe wurden alle Angaben über Stär ke und Gliederung der englischen Truppenteile, über die Zusammensetzung des englischen Expeditionskorps, die Ausschiffungspunkte, eine genaue Zeitberechnung für den Abtranspo rt und dergleichen geliefert. Auf Grund dieser Nachrichten hat der belgisehe Generalstab den Transport der englischen Truppen in das belgisehe Aufmarschgebiet, ihre Unterbringung und Ernährung dort eingehend vorbereitet. Bis in alle Einzelheiten ist das Zusam menwirken sorgfältig ausgearbeitet worden. So sollten der englischen Armee eine große Anzahl Dolmetscher und belgisehe Gendarmen zur VerfUgung gestellt und die nötigen Karten geliefert werden. Selbst an die Versorgung englischer Verwundeter war bereits gedacht worden. Dünkirchen, Calais und Boulogne waren als Ausschiffungspunkte für die englischen Truppen vorgesehen. Von hier aus sollten sie mit belgisehern Eisenbahnmaterial in das Aufmarschgebiet gebracht werden. Die beabsichtig te Ausladung in französischen Häfen und der Transport durch französisches Gebiet beweist, das den englisch-belgischen Vereinbarungen solche mit dem französischen Generalstabe vorausgegangen waren. Die drei Mächte haben die Pläne für ein Zusammenarbeiten der verbündeten Armeen, wie es in dem Schriftstück heißt, genau festgelegt. Dafür spricht auch, daß in den Geheimakten eine Karte des französischen Aufmarsches aufgefunden worden ist. Das erwähnte Schreiben enthält einige Bemerkungen von besonderem Interesse. Es heißt dort an einer Stelle, Oberstleutnant Barnardiston habe bemerkt, daß man zurzeit auf die Unterstützung Hollands nicht rechnen könne. Er habe ferner vertraulich mitgeteilt, daß die englische Regierung die Absicht habe, die Basis für den englischen Verpflegungsnachschub nach Antwerpen zu verlegen , sobald die Nordsee von allen deutschen Kriegsschiffen gesäubert sei . Des weiteren regt der englische MilitäraHaehe die Einrichtung eines belgischen Spionagedienstes
20
in der Rheinprovinz an. " 2 7)
Am 2.8. 1 9 14 hatte die Besetzung Luxemburgs die vom französischen Generalstab vorbereitete Variante mit dem Aufmarschplan im Norden gegenüber Belgien ausgelöst. Am 3.8. spielten zahlreiche Grenzverletzungen an der deutsch-französischen Grenze für d ie Entscheid ungs
pro zesse eine so erhebliche Rolle , daß man aus ihnen ableitete, der Kriegszustand sei bereits eingetreten. So wurde der Text der deutschen Note an Frankreich gegenüber der ersten Fassung total abgeändert und festgestellt , daß "Frankreich uns somit in Kriegszustand
versetzt " habe. Da der telegrafisch übermittelte Text j edoch verstümmelt in Paris eintraf, erhielt dieser in Paris
offiziell zugestellte Passus der Note die Form, "das Reich betrachtet sich in Anbetracht dieser Angriffe als
im Kriegszustand befindlich ". Kurz vor 16 Uhr am 3.8.
setzte Botschafter S choen Ministerpräsident Viviani hier
von in Kenntnis. Die deutsche Note w ar dürftig und in
bezug auf konkret angeführte Grenzverletzungen z.T.
auch unrichtig, so daß dieser Text in der ausländischen Öffentlichkeit viel Schaden angerichtet hat. Der erste, nicht weitergeleitete Entwurf hatte die Gründe für das Handeln der Reichsführung überzeugender dargelegt. Immerhin war es der 2. Tag der französischen Generalmobilmachung, und Generalmobilmachung war damals mit Kriegsentschluß gleichrangig.
Am 4.8; morgens um 8 Uhr marschierten die deutschen Truppen in Belgien ein. Der Krieg auch im Westen hatte begonnen. Großbritannien sandte Deutschland das tags zuvor vo m Unterhaus beschlossene Ultim atum mit 12 Stunden Fristsetzung, die belgisehe Neutralität zu
gewährleisten. Um 1 7 Uhr erklärte Großbritannien , ohne die Fristsetzung abzuwarten , an Deutschland den Krieg.
Österreich erklärte sich am 6.8. unter Bezugnahme auf die drohende Haltung Rußlands gegenüber Ö sterreich sowie auf das Bündnis mit Deutschland als im Krie gszustand mit Rußland befindlich. Am 12 .8. erklärten Großbritannien und Frankreich an Österreich den Krieg. Italien blieb neutral , trat j edoch im Jahre 1 9 1 5 auf Grund eines Geheimvertrages , der Rom die Annektio n des deutschen Südtirol sowie eine Vergröße rung des italienischen Kolonialreiches nach Kriegsende zusicherte , auf die Seite der alliierten und asso ziierten kriegfuhrenden Mächte. 2 8 )
Japan erklärte a m 23.8.1914 Deutschland den Krieg, der o stasiatischen deutschen Kolonien-Beute wegen, die britischen Co mmonwealth-Länder u.�. der übrigen Kolo nial-Beute wegen. Die USA gaben schließlich mit ihrem Kriegseintritt am 6. April 1917 den Ausschlag für den Kriegsausgang.
27 ) Pa u l Sc hrecke nbach , " De r Weltbrand - I l l u st r ierte Gesch ichte a u s gro ßer Ze it " , Le i pz ig 1 920, S . 1 40 - 1 42
28) I t a l i e n trat a m 23. Mai 1 9 1 5 a u f Se ite n der A l l i ierte n i n den Kr ieg e i n , na c hd e m G ro ßbr ita n n i e n , F rankre ich + R u ß l a nd i n e i n e m Gehe i mvertrag I t a l i e n de n künft i ge n Bes i tzstand vo n Südt i ro l Trent i no Tr i est d i e Grafsc ha fte n G ö rz + Grad i sk a , l st r i e n , D a l mat ie� , a l l e vo � l t a l i e� beset zte n I nse l n des Dodek a nes sowi e E i nf l u ß in Alba n i e n ver spro chen hatte n .
A u ß e n p o l i t i s c h e
R u ß l a n d
Obgleich, wi e gesagt , überreichlich mit Lebensraum und Rohstoffen saturiert , hing die russische Außenpolit ik langj ährigen Sehnsüchten auf den Zugang zum Mittelmeer nach. Trotz der zahlreichen Wechsel in den Machtverhältnissen auf dem Balkan war sie diesem Ziel nicht nähergekommen.
Will man das Verhältnis zwischen Rußland und ö ster-reich-Ungarn sachgerecht bewerten, so empfiehlt sich ein Rückblick auf das Jahr 1 8 7 6 , als Österreich im russisch
türkischen Krieg neutral geblieben war . Als Gegenleistung dafür unterstützte Petragrad die Besetzung der serbisch besiedelten Provinzen Bosnien und Herzegowina durch die k. u . k. Monarchie. 1 8 7 8 verwandelte der Berliner Kongreß diese Vereinbarung in ein europäisches Mandat .
1908 gab Rußland sein Einverständnis , d aß Wien die beiden Provinzen durch einen formellen Akt der Annek
tion "regularisiere " . Österreich mußte als Gegenleistung
versprechen , die internationale Diplomatie dafür zu gewinnen , daß die verschiedenen europäischen Verträge in bezug auf die Dardanellen aufgehoben und russischen Kriegsschiffen das Recht zugestanden werde , den Bosporus frei zu passieren, also den Zugang zum Mittelmeer zu eröffnen . ( Die Serben selber waren für die russischen Politiker offensichtlich von keinem wesentlichen Interesse ) . Diese Zusage j edenfalls hat Österreich nicht eingehalten bzw . einhalten können, was zu einer Verärgerung der zaristischen Diplomatie und zu einer Kursänderung gegen Österreich-Ungarn führte.
So entsann man sich in Petragrad erneut der großserbischen Aspirationen zur Schaffung eines gesamtserbischen Staates und kombinierte die französischen " Revanche "-Bestrebungen zweck s Rückgewinnung von Elsaß-Lothringen in das neue außenpolitische Konzept hinein, wobei der Zerfall , wenn nicht gar die Zerschlagung der k . u . k. Monarchie als nicht ungelegen einkalkuliert wurde . Ließ sich doch wo möglich mit Hilfe so lcher Art Veränderungen sowohl eine Nutzbarmachung der adriatischen Küste als auch eine Besitzergreifung von Konstantinopel bzw. der Dardanellen und damit das lang ersehnte Ziel nunmehr auf diese Weise erreichen .
Z i e l v o r s t e l l u n g e n
Diese "imperialistischen " Bemühungen wie auch -zweifellos unverbindliche - britische Ermutigungen hier
für enthüllten die Bolschewisten nach dem Krieg in der Prawda unter V eröffentlichung zahlreicher bis dahin geheim gehaltener Dokumente der zaristischen Regierung. Außerdem hat der ehemalige serbische Geschäftsträger in Berlin und P olitiker M . Boghitschewitsch in seinen Dokumentationsbänden "Die auswärtige Politik Serbiens 1 903 - 1 91 4 " ( 3 Bde . , Berlin 1 928 - 1 93 1 ) mit zahlreichen Berichten serbischer Gesandter aus Petrograd , Paris und London vo n 1 908 - 1 9 14 und weiteren Dokumenten diese Sachverhalte bestätigt und ergänzt .
So berichtete z . B . der damalige russische Außenminister Sasonow im September 1 9 12 an den Zaren nach einem Besuch in London :
" Grey erklärte o h ne z u sc hwanke n , daß , we nn die i n Frage stehe nden Umstände eingetreten sein würden , England alles daran set zen würde , um der deutschen Machtstellung den fühlbarsten Schlag zuzufügen . . . . Der König, der. . . mit mir diese lbe Frage berührt e , sprac h sich noch viel e nt schiedener als sein Mi nister aus. Mit sichtlicher Erregung erwähnte S .M . das Streb en Deutschlands nach Gleichstellung mit Großbritannien in bezug auf die Seestreitkräfte und rief aus, daß im Falle eines Zu sam menstoßes dies verhängnisvo lle Fo lgen nicht nur für die deutsche Flott e , so ndern auch für den deutschen Handel haben müsse , denn die E ngländer würden j edes deutsche Sch iff, das ihnen in die H ände kommt, in den Grund bo hren. Die let zteren Wort e spiegeln augenscheinlich nicht nur persönliche Ge fühle S . M . w ider, sondern auch d ie in England herrschende Stimmung in bezug auf Deutschland . " 2 9)
Im April 1 9 1 4 :
"ze igte Sir E . Grey aber die klar au sgespro chene und be· stimmte Bereit willigkeit , gemeinsame Op eratio nen englischer Streitkräft e nicht nur mit Frankreic h , so ndern auch mit Rußland zu organisi ere n . " 3 o)
Der serbische Gesandte Popowitsch am 27 .3. 1 9 1 3 nach Belgrad :
" De r ( russische ) Minister des Äußeren h at mir erwidert , er hege nach de n gro ßen Erfo lge n Vertrauen zu unserer Kraft und glaube , daß wir Österrei ch-Un garn erschüttern werden. Demgemäß so llten wir uns mit dem begnüge n , was wir bekommen werden , und di es als eine Etappe betrach ten; denn die Zukunft sei unser . . . " 3 1 )
Iswolski an Sasonow aus Paris am 12 . 9. 1 9 12 :
29) Deut sches We i ß b u c h 1 9 1 9 = " De ut s c h l a n d sch u l d ig ? - Deu tsches
We i ßb u c h über d i e Vera ntwo rt l i ch k e i t d e r U rheber d e s K r iege s " , h r sg .
m i t Geneh m i g u n g des A u swärt igen A m t e s , B er l i n 1 9 1 9 , S . 1 9 5 + E . D . Mo r e l a a O . , S. 8 1 + 243
30) E . D . M o r e l a a O . , S . 8 2
3 1 ) E . D . Mo r e l a a O . S . 1 94
2 1
" Sollte j edoch der Zusamm enst o ß ( R u ßlands) m it Öst erreich ein bewaffnetes E ingre ifen Deutschlands nach sich zieh e n , so erkennt Frankreich das von vornherein für einen 'casus fo ederis ' an und wird auch nicht eine Minute z ögern , seine Verp flich tu nge n gegen R ußland zu erfüllen . . . ( Poincare sagte zu I swo lski ) , es sei ihm bekannt , daß die sachverst ändigen und verantwo rtlichen Persö nlichkeiten die Chancen R u ßland-Frankreichs im F alle eines <tilge meinen Zusammenst o ß e s überaus optim istisch b eurt eilen . . . "
Sasonow an den Zaren vom September 1 9 1 2 : 3 2 )
"Aus diesem Anlaß beStät igt e mir Grey aus e igenem Antrieb das, was ich bereit s vo n Poi ncare wuß t e , und zwar : das Vorhandensein eines Abkommens z wischen Frankreich und Gro ß britannien, nach dem E n gland s i c h im F alle eines Kriege s m it Deutschland verpflich t e , Frankreich nicht nur zur See , so ndern auc h auf de m Ko ntinent durch Land ung vo n Truppen zu H ilfe zu kommen. " 3 3 )
M. Boghitschewitsch berichtet :
" Kronprinz Alexander (von Serbien) - und das eracht e ich als historisch wichtig festz u st ellen - teilte m ir m it , daß ihm der Kaise r vo n Ru ßland gelegentlich des Ab schlusses dieses Vertrages gesagt habe, daß nunmehr die Asp iratio nen Serbiens gegenüber Öst erreich-Ungarn bald in Erfüllung gehe n werde n . " ( S . 3 6 ) 3 4)
Der geheime Bündnisvertrag zwischen Serbien und
Bulgarien vom 1 3 . 3 . 1 9 1 2, unter der Schirmherrschaft
Rußlands zustandegekommen, bildete den Kern eines
neuen Balkanbundes zur Ausschaltung der Türkei . In
einer Geheimklausel war vorgesehen, daß militärische
Erwägungen seitens der Unterzeichner von der Ent
scheidung Rußlands abhängig sowie Streitfälle von Ruß
land als Schiedsrichter zu schlichten seien, "wobei die
Gewinnung von Bosnien und der Herzegowina für Serbien eine große Rolle spielte" . Bulgarien sollte Kompensatio-
nen in Mazedonien erhalten.
Boghitschewitsch ergänzte :
" Ein im selben J ahr unterhandeltes Militär- Abk o m m e n sa h vo r , daß Bulgarien für den Fall eine s austroserbisc hen Zusammenstoßes den Serbe n mit 2 0 0 . 0 0 0 Mann z u Hilfe ko mmen so lle . Al s Iswo lski im September 1 9 1 2, kurz vor dem erst e n Balkankrieg ( de n z u entfesseln der Haupt z weck des Vertrages war) , dem Präsident e n Poincare den Vertrag z ei gt e , bezeichnet ihn dieser so gleich als 'ein Werkz e u g des Krie ges ' ( ' C'est un instrument de guerre ! ' ) . Es kann vernü nftigerweise kein Zwe ifel darüber beste hen, daß Rußland den ersten Balkankrieg - obschon er für seine Pläne e in we nig zu frü h ausgebro chen zu se in scheint -als den ersten Schritt in seiner Doppel-Absic ht förderte , Österreich zu
zertrü mmer n und Kon stantino pel zwecks Russifiz ierung der Meerengen zu erwerben - 'ein Pro log z u dem Kriege um Konstantinopel ' , wie Pokrowski bemerkt.
Die russischen Diplomaten verheimlichten Sir E . Grey vo r dem gro ß e n Krieg so weit als möglich ihre Absichten auf die Türkei ; aber so fort bei seinem Ausbruc h deckten s ie ihre Kart en auf, und Sir E. Grey hatte keine andere Wahl als nachzugeben, wie er im m er seit dem persischen Abkommen vo n 1 9 0 7 Schritt um Schritt de n russischen F o rderungen nachgegeb en hatte .
Den ersten Wink über diese Tat sac h e gab uns Herr Trep o ff, der russische Pre mier-Minister, als er am 2 . Dezember 1 9 1 6 in der Duma b e kannt gab , Ru ßland habe 1 9 1 5 e in Abkommen mit Gro ßbritannie n und Frankreich geschlo ssen, das 'in der bestimmtesten Form das Recht Ru ßlands auf die Me erengen und Kon stantinopel bestätigt . ' Im Mai 1 9 1 6 aber hat t e sich Sir E . Grey , i m Unt erhaus befragt über die i n Umlauf befindlichen Gerüchte, daß solch ein Abkommen ge schlossen worden se i , geweigert , e i n e A uskunft zu erteile n : e i n t ypisches Beispiel für die verächtliche Behandlung, die der brit ischen gesetzgebenden Körperschaft zuteil wurde , so lange Sir E. Grey das Auswärtige Amt innehatt e . Ein weit erer B eweis - wäre ein solcher überhau.pt n ötig gewese n - wurde rasch durch des Zaren Be scheid auf das erste deut sche Friedensangebot vom 1 2 . Dezember 1 9 1 6 geliefert , in dem er das deutsche Angebot als e in Bekenntnis der herannahenden 'vollständigen Niederlage ' bezeic hnete und ankündigt e , daß Rußland den Krieg b i s zur Besitznahme vo n Konstantinop el und der Meerengen fort set zen werde . Der Wortlaut des GeheimAbko mmens wurde im Herbst 1 9 1 7 von der Sowjet-Regierung veröffentlic ht und im Dezember 1 9 1 7 vom 'Manchester G u ardian ' abgedruckt; es war im März 1 9 1 5 abgeschlo ssen worden. " 34)
Jedenfalls erweisen sich die serbisch-russischen Doku
mente von 1 9 08 - 1 9 1 4 als die Schlüsseldokumente für
eine eindeutig aktive, gegen den Bestand der öster
reichisch- Ungarischen Monarchie gerichteten russischen
32) E. D. More I aaO. S. 1 94 33) E. D. Morel aaO. S. 218 34) E. 0. Mo re I aaO. S. 239 · 240
La ndwe hrparade vor Generalfeld ma rscha l l v. H i ndenbu rg i m zerstö rte n Lyck , der Hau pstadt
Masurens, nach der Schlac ht an den Masu rischen Seen u nd Zu rück d rängu ng der russischen Armeen
aus Ost preußen im F rü hj a h r 1 9 1 5 .
22
Balkanpo litik .
Während die Reichsregierung gerade in j enen Jahren
vie l erfo lgreiche Anstrengungen gemacht hatt e , um die
k. u. k. Monarchi e in den zahlreichen Wirren auf dem
Balkan z urück zuhalten, hat Petersburg Druck auf Ser
bien dahingehend ausgeübt , Konz essio nen gegenüber
Bu lgarien zu gewähren . Rußland ste llte für diesen Fall
seine und die H i l fe anderer Gro ß mächte ( o ffensichtlich
Frankreic hs ) für gro f� se r bische Ansprüche auf Bo snien
und die Herzegowina in Aussicht . Dies war gle ichbedeutend mit einer eindeutig gegen den Bestand Öster
reich- Un garns gerichteten Po litik , d ie d ann ledigli c h im
Hinte rgrund auf die auslösende Gelegenheit zu warten
brauchte . Da sich damals derartige Ko rrespondenzen
und Absprachen o hn eh in auf geheimer diplomatischer
Ebene abspielten, die Staatsarch ive ind essen vo r einem
gegnerischen Zu griff weitgehend sicher w aren , ko nnte
man das alles vor den V ölk ern der Welt verheimlichen ,
dafür aber d a s für die Pro pagand a in Umlauf set zen ,
wa s macht po litisch ins Ko nzept paßte und den Gegner
belastete b z w . zu belasten schien.
Z u m Beleg für di ese russischen Initiat iven seie n einige
die se r Doku mente genannt :
So führt z . B . der serbische Gesandte in Hukarest in
seinem Bericht vo m 26 . 1 1 . 1 9 1 2 aus, sein russischer und
franz ösi scher Ko llege h ätten ihm gerat en , Serbien so lle " m ögli c hst vorbereitet die gewicht igen Ereignisse erwarten, die unter den Gro ßmächten e intreten müssen " .
D er serbische Gesandte i n Petra grad weiß am 1 2 . 5 . 1 9 1 3 vo m russischen Außenmini ster zu berichten :
" W ie deru m s a gt e m ir Sa�o now, daß wir für die künftige Z e it arbeit e n müsse n, wann wir viel Land vo n Österreich beko m m en W!"rde n. I c h e n t ge gne t e i h m , daß wir Bito l ia (Mo nastir) den
ll u lgarrn s c h e n k e n werde n , wr nn wir Bosnien und andere Länder be k o m m e n wnde n . " 35 )
Die Zuversicht für die machtpo litische F undierung
dieser Initiativen begründeten die russischen Diplo maten so wo hl mit den weiträumigen Re serven und der U nbesiegbarkeit ihres eigenen Land es, als auch mit der abgek lo pften Einstellung der po litischen , militärischen und
pu blizist isc hen F ührungskräfte in Frankreich . Hierüber
ist ein Beric ht des damali gen russischen Botschaft ers in London, Sasonow, vo m 2 5 . 2 . 1 9 1 3 aufschlußrei c h :
" We n n i c h se i n e ( Paul Cam b o ns) Unt erre dungen m it m i r , die ge we c h se l t e n Wort e k urz wieder h o l t- u nd die Halt u ng Po incan� s h i n z u füge , k o m m t mir der G e da n k e , dn einer Üb erzeugu ng gleic ht , daß von al len :\! äc h t e n Frankre i c h die e i n z ige ist , welc h e ,
u m n i c ht z u sa ge n , d a ß s i e d e n K r i e g wü nscht , ihn d o c h o h n e gr o ß e s Be da u e rn s e h e n würde . J e de n fa l l s hat m ir n ic hts ge zeigt , daß F ra n k r e i c h a k t i v dazu be it rägt , in d e m S i n ne e i nes Kompro-
35) E . D . M o r e I a a O . S 2 4 6
misses z u arbe it e n . N u n , der Ko mpro m i ß - ist der Friede ; j enseits des Ko mpro misses l iegt der Krieg . . . Es ( F rankreich) h at , sei es m it
Re c ht o der Unr e c h t , vollständige s Vertraue n zu seinem Heere ; der alte gäre n de Gro l l ist wieder aufgetaucht , und Frankreich könnte se hr wo hl a n n e h m e n , daß die Umstände h eute günstiger sin d, als sie es später j emals sein würden . . . .
Einerse its bietet u n s die Ge mütsverfassu ng Frankre ichs eine Garant i e , aber andererse it s darf e s doch nicht ge scheh e n , daß der Krieg aus I nt eressen ausbricht , die mehr franz ösisch als russisch sin d, u n d j e denfalls nic ht unter Umstände n , die günstiger für Frankreich als für Rußland sein könnten . " 3 6 )
Der britische Histo riker E . D . More l k o mmentiert
die se Ausführungen mit den Wo rten :
" Ei n int i m e s Stre iflic ht , dieser letzte Sat z , auf die l!nterwclt der G e h e i m - Diplo matie ! De n u n h eilvollen Bewo hnern dieser Welt
- seien es nun Russen o der Deutsche o der Fran z o se n o der Briten - ist ' Kr ie g ' , was Blutbad, Elend, Verhu n gern u nd den R u in für .'\lillio n e n demüt iger und unschuldsvo ller Menschen bedeutet , eine Partie Schach. Sie bere c h n e n , wie sie ihre Gegner hereinlegen k ö nnen - und wie sie es z u verhindern vermöge n , daß sie vo n ihren auge n blicklichen Fre u n de n selber h ereingelegt werde n . " 3 7 )
Am 2 . 2 . 1 9 1 4 gewährt e der Zar dem serbischen Mini
sterpräsidenten ein Interview vo n einst ündiger Dauer. I n
einer Niederschrift hat Paschitsch d e n Hergang festge
halten. 3 8 ) Hier einige Auszüge , zitiert nach Morel :
" Paschit sc h beglüc k wü nschte den Zaren überschwe n glich, ' daß
sic h Rußland so gut gerüstet hat ' ; er b itt et ihn um 1 2 0. 00 0
G e wehre, u m Munition u n d ein ige Haubit z e n . D e r Zar gibt sein Einverständnis , daß Saso n o w eine Li st e de s vo n Serb ie n ben ö tigt e n Mat erials erhalt e . Der Zar frägt , wie viele So ldat en Serbien j etzt aufstellen könne . Paschit s c h a ntwort et 'eine halbe Million ' ; worauf der Zar bemerkt :
' Das ist genügend, das ist keine Kleinigkeit, da mit kann man viel ausric hte n . ' Pasc h itsch s o n diert die M ö glichk e it einer e h e
l ichen Ve rbindung z wisc h e n dem So h n K ö n i g Petcrs und einer der Gro ß fürst i n n e n . Der Zar n i m m t den Gedanken recht wohlgefäll ig auf. Pasc hitsc h ruft e nt zückt aus: ' We n n es uns besc hieden ist , eine Tochter des Kaisers vo n Rußland z u r Königin z u habe n , dann wird sie die Sy mpat h ie des gan z e n serb ischen Volkes genießen u n d sie kan n , w e n n Gott u n d die Ve rhältnisse es z ulassen , die Zar in des südslawisc h e n serbisc h-kro at isc h e n Vo lkes ' 39) werde n . Ihr Einfluß und ihr Glanz wird die gan z e Balkanhalbin sel u m fasse n . '
Das Int ervie w e n det mit der Versic h erung des Z are n : ' Für Serbien werde n wir alles t u n ; grüßen S i e de n König u n d
sagen S i e ihm : ' F ür Serbie n werde n w i r alles tun . ' " 4 0)
Auf dieses Intervie w hin ließ der Zar in Petragrad den
Kriegsrat einberufen , der beauftragt wurde , "ein all
seitiges Aktio nspro gramm für eine uns günstige Lösung
der historischen Meerengenfrage " auszuarbeiten. Memo
randum und Protok o ll der Ko nferenz wurden dem Zaren
am 5 . 3 . 1 9 1 4 vorgelegt . - Erstmals die So wj ets haben sie
nach Krie gsende verö ffentlicht . Der vo llständige Text ist nachzulesen im Deutschen Weißbuch 1 9 1 9 auf Seiten
36) E . D . Mo r e l a a O . S . 2 5 3 37 ) E . D . More I aa O . S . 2 5 4 38) D i e Au swärt i g e Po l i t i k Ser b i e n s 1 9 03 · 1 9 1 4, aa O . , B d . l , S . 4 1 4 , Do k .
N r . 399 39) D ie s z ie lte z we if e l lo s a u f d i e Schaf f u ng e i nes g ro ßse r b i sche n St aates
u nter E i n sc h l u ß des noch z u Öst e r re i c h - U ng a r n ge h ö r e n d e n B o s n i e n u nd der Herzego wi na
40) E . D . Mo re I aaO , S . 255
23
1 69 - 1 8 1 . Der britische Historiker E . D . Morel faßt wie folgt zusammen :
" Das Memorandum beginnt mit der Voraussage, daß die 'erwartete Krisis, die möglicherweise sehr bald eintreten kann ', die sofortige Verstärkung der russischen Streitkräfte im Gebiet des Schwarzen Meeres verlangt. Verschiedene Möglichkeiten werden erörtert:
' Unsere historische Aufgabe bezüglich der Meerengen besteht in der Ausdehnung unserer Herrschaft auf dieselben . . . . Es ist viel Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß es uns bevorsteht, die Meerengenfrage während eines europäischen Krieges zu lösen. '
Im Protokoll hören wir Sasonow die Meinung äußern: 'Man kann nicht voraussetzen, daß unsere Aktion gegen die
Meerengen außerhalb eines europäischen Krieges unternommen werden könne. Man muß annehmen, daß unter solchen Umständen Serbien gezwungen sein wird, seine gesamte Macht gegen Österreich-Ungarn zu werfen. '
Der Chef des Generalstabes 'hebt die große Bedeutung eines serbischen Angriffs auf Österreich- Ungarn für Rußland hervor, wenn Rußland und Österreich-Ungarn die Waffen gegeneinander erheben sollten. Nach bei ihm eingelaufenen Mitteilungen sei Österreich gezwungen, vier oder fünf Korps für den Kampf gegen ,'ierbien abzusondern . . . '
Der Chef des Generalstabes gab ferner 'seiner Überzeugung dahin Ausdruck, daß der Kampf um Konstantinopel außerhalb eines europäischen Krieges unmöglich sei. '
Der Marineminister beklagte, daß Rußland die Abtretung des Schiffes 'Rio de J aneiro ' seitens Brasilien an die Türkei nicht habe verhindern können.
' Das Marineressort gibt sich jetzt alle Mühe zu verhindern, daß noch andere Dreadnoughts durch Verkauf in die Hände der Türkei übergehen. Seiner kaiserlichen Majestät war es genehm, diese Erwägung gutzuheißen und zu befehlen, die im Auslande befindlichen Dreadnoughts zu erwerben. ' " 4 1)
Waren diese Hintergründe im Jahre 1 9 1 4 in Deutschland nicht bekannt und wahrscheinlich auch nicht in England und Frankreich, so verwundert es nicht, daß
diese Sachverhalte in der mit Kriegsbeginn naturgemäß
aufflammenden Kriegsschuldagitation gar nicht erwähnt
sind. Erst im nachhinein, im Jahre 1 9 1 5 erfuhr London
Kön i g Peter von Ser bien
41) E .D . Mo r el aaO. S. 2 56 - 257
24
Großfürst Nikola i
N iko lajewitsch,
Obe r befehlshaber
des ru ssischen Heeres
davon. Doch die Kriegsverbündeten wurden sich schnell
auch hierin einig: sie schlossen ein Geheimabkommen -
wie derum hinter dem Rücken der Völker und auf
Kosten anderer Herren Länder, wie gehabt -, in dem
Großbritannien an Rußland Rechte in bezug auf die
Dardanellen und Konstantinopel zugestand.
Im einzelnen enthielt das russische Memorandum
vom 4 . 3 . 1 9 1 5 folgende Wünsche :
"Einverleibung von Konstantinopel, die Westküste vom Bosporus, das Marmarameer einschließlich der dortigen Inseln, die Dardanellen, Süd-Thrazien bis zur Linie Enos-Midia, die Küste Kleinasiens zwischen dem Bosporus, dem Fluß Sakaria und einem später zu bestimmenden Punkt des Golfes von Ismid . "
Am 7 . März 1 9 1 5 bedankte sich Sasonow für die Genehmigung in London :
"Würden Sie bitte Grey die tiefgefühlte Dankbarkeit der Kaiserlichen Regierung übermitteln für die völlige und endgültige Zustimmung Großbritanniens zu der Lösung der Frage der Meerenge un d Konstantinopels in Übereinstimmung mit den russischen Wünschen." 42)
Die bolschewistische Revolution in Rußland 1 9 1 7 enthob schließlich die britischen Politiker dieser Pein
lichkeit .
Die Bedeutung der zaristischen Dokumente , die von
den Sowjets nach Kriegsende zur Publikation freigege
ben worden sind, faßt der britische Historiker E.D.
Morel in folgende Worte :
"Der Gesamteindruck dieses Beweismaterials läßt keinen Zweifel mehr über die hauptsächlichste Kriegsursache aufkommen, die, wie M. Boghitschewitsch, der Minister unseres serbischen Verbündeten, sagt, in erster Linie der Vorsatz Rußlands war, Österreich zu vernichten, um die russische Vorherrschaft auf dem Balkan zu erringen; und die zweitens in dem Verlangen Frankreichs bestand, sich für seine vor 50 Jahren durch Preußen erlittene Niederlage zu rächen." 4 3 )
42) A. Ponsonby , aaO. , S. 1 1 8
43) E . D . More l , aaO. , S. 2 27
Der russische Kr iegs m i n ister Sucho ml i now; - er wu rde 1 9 1 8 von de n Bolsc hewi k i z u r Zwa ngsa rbeit veru rte i lt
F r a n k re i ch
Der belgisehe Gesandte in Paris , Baron Guillaume , sc hrieb m emer Note a n seine Regierung am 8 . Mai 1 9 1 4 :
" l : n s t r e i t i g i s t d ie fra n z ö sische Nat io n i n diese n let zt e n \lo na t e n c h a u v i n ist i s c her u n d se lbst b ewußter ge worde n . Die se l b e n ber u fe n e n u n d sac hverst ändige n Persö nlic h k e it e n , die vo r zwe i J a hre n sdu le bhafte B efürc h t u ngen b e i der b lo ß e n Erwä hnung vo n m ö g l i c h e n Schwier igk e i t e n zwisc h e n f'ra nkrei c h u n d De u t s c h l a n d ä u ßer t e n , st i m men j et zt e i n e n a nderen T o n a n ; sie be haupt e n d e s Sieges gewiß z u se in , mac h e n viel A u fh e b e n s \'O ll den übr i ge n s t a t s ä c h l i c h vo rhandene n F o rt s c h r it t e n , d i e d i e fra n z ii s i s c h c Ar m e e ge m a c ht hat , u n d b eh a u pt e n s i c h e r z u se i n , da s de u t s c h e H e e r z u m m i ndesten lange g e n ug i n Schach halt e n z u k ii n n e n , u m Rußland Z e it zu lasse n , Truppen z u sam m e n z u z i e he n u n d s i c h a u f se i n e n we st l iche n N a c h b ar n z u stürz e n . E i nes der gefährl i c h st e n \lo m ente in der a uge nblickl iche n Lage ist die Rü c k k e h r Fra n k r e i c h s zum D . -J .
- G . 4 4 ) Sie wurde vo n der milit ä r i s c hen Part e i le icht fert i g durchgese t z t , und das Lan d kann sie nicht e r t rage n . I n ner halb z we ie r J ahre wir d man auf sie ver z i c h t e n o der Krie g fü hre n müsse n . " 4 s )
Bestimmte politische Zielvorstellungen hatten z u den Geheimverträgen mit Rußland und Großbritannien geführt , wobei hinsichtl ich Londons die afrikanischen Besitzungen im Vordergrund der Erwägungen standen , hinsichtli ch Rußlands indessen eine Revisio n der Grenzen von Elsaß- Lothringen zugunsten Frankreichs do minierten. Die Geheimverträge wiederum hatten zu mündlichen und schrift lichen Weiterungen geführt , die keineswegs auf einen Verteidigungsfall bezogen waren , sondern diese Begrenzungen ausdrücklich überschritten . Die - " demokratisch" regierten - Völker freilich wußten von alledem nichts . Die " Demokratien " wurden nachweislich ähnl ich autokratisch geführt wie die Monarchien. So war es eine persönliche Entscheidung des französischen Staatspräsidenten Poincare, der sein Leben lang für die Rückkehr vo n Elsaß- Lothringen an Frankreich eingetreten war, als er dem russischen Botschafter Iswolski nach dessen Darlegung eines eventuellen austro-russischen Konfl iktes, bei dem Deutschland an die Seite Österreichs treten würde , im September 1 9 1 2 versic herte :
" Fr a n k r e i c h würde d i e ., vo n v o r n h e r e i n für e i n e n easus fo c de r i s ' anerke n n e n und auch n ic h t eine M i n ute z ö ge r n , seine Verpfl i c ht u n ge n gege n R u ß l and z u e r fü l le n . " 4 6 )
Am 1 7 . und 1 8 . 1 1 . 1 9 1 2 wiederh olte Poincare dem russischen Botschafter diese Versicherung.
441 D . -J . - G . c Drei Ja hres - ( We h r pf l i c ht i -G eset z , am 7. A ug u st 1 9 1 3 vo m f ra n z Ö s i s c he n Pa r l a me n t bes c h l o sse n
451 E . D . Mo re l a a O , S 1 9 2
461 I swo l s k i a n Sa so no w ; - De u t sc h e s We i ßb u c h 1 9 1 9 , S . 1 93
Schon bei seine m Amtsantritt als Staatspräsident im Januar 1 9 1 3 hatte Po incare für die entsprechende Zielrichtung gesorgt :
" War doch als e i n e der erst e n A m t s h andlungen des neuen Präside n t e n Po i ncare e ige n s zu diese m Zweck der frühere Minister Delcasse, der tät i ge F ö r derer der E nt e n t e cordiale u n d erbitterte Feind Deutsc h lands, zum fran zö sische n B o t sc haft e r in St . Petcrsburg er na n n t und de n Russen 'als Persönlichk e it vo n ganz beso n · derer Autorität, gewisser m aß e n a l s Personifikat i o n des B ündnisses und als b e so n ders ko mpete n t . . . auc h i n allem, was die Heeres- und . . . F l o t t e nangele ge n he it betrifft ' e mp fo hle n worden . " 47)
Der Brückenschlag zwischen Paris und Petersburg ging auf das Bündnis beider Länder von 1 8 9 1 sowie 1 8 9 2 zurück : In diesen Verträgen sicherten sich beide Partner Freundschaft und Unterstützung für den Verteidigungsfall zu. 1 899 wurden diese Texte der gegenseitigen Verpflichtungen mittels Korrespondenzen zwischen dem französischen Außenminister Delcasse und dem russischen Außenminister Mouravieff ausgeweitet und als Bündnisziel die "Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes" festgelegt . Diese Formel eröffnete den Weg für Eventualitäten, die über den bisherigen Verteidigungscharakter hinausgingen und verpflichteten den Partner auch dann zur Kriegshilfe , wenn der andere zwecks " Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes" den Einsatz seines Militärs für gerechtfertigt ansah, wenn er selbst nicht angegriffen worden ist ; ( so z . B . im Jahre 1 9 1 4 Rußlands Mobilisierung gegen Österreich-Ungarn unter dem Vorwand der Aufrechterhaltung des Status quo ( des bestehenden Zustandes) in Serbien , während in Wirklichkeit beabsichtigt war, ein Großserbien zu schaffen und die österreich-ungarische Monarchie zu zerschlagen .
Am 3 1 . 8 . 1 9 1 1 unterzeichneten die Chefs der französischen und russischen Generalstäbe ein Abkommen, das diesen diplomatischen Schriftwechsel vertraglich fixierte und die Notwendigkeit unterstrich , im Ernstfall so weit wie irgend möglich "gleichzeit ig eine energische Offensive zu ergreifen" . Die beiden Generalstäbe haben sich anschließend in weiteren häufigen Kontakten und Protokollen bis zum Kriegsausbruch 1 9 1 4 ohne Bezugnahme auf einzelne politische Vorgänge in genauen Angaben z . B . über die Fristen für die T(onzentrierung und Vormarsch operationen der Armeen festgelegt . Der gemeinsame Feind Deutschland schien bereits langfristig festzustehen, obgleich weder die Russen noch die Franzosen deutsche Angriffsabsichten unterstellt oder gar belegt haben .
47 ) " Der We l t k r i e g 1 9 1 4 - 1 9 1 8 " , bea r b . + h r sg . vo m R e i ch sa r c h i v , Ber l i n
1 930, B d . I , " K r iegsrüst u ng + K r iegsw i r t sch aft " , S . 1 9 0/ 1 9 1
25
Ebenso wie die geheimen Vertragstexte mittels
Ko rrespondenzen "weiterentwickelt " wurden , so
wurden auch die Korrespo ndenzen durch diplomatische
Aussprachen me hr oder weniger ebenso verbindlich
"weiterentwickelt " . Die letzte dieser "weiter
entwickelnden " Absprachen betraf j ene zwischen Poin
care und dem Zaren sowie Sasonow im Juli 1 9 1 4 in
Petrograd , die serbischen Interessen im Konflikt mit
Österreich nicht beeinträchtigen zu lassen.
So wußten praktisch nur ganz wenige Führungskräfte, nicht einmal die j eweiligen Kabinettsmitglieder -
selbst der " demokratisch gewählten " Regierung Frank
reichs -, welche Verpflichtungen für das französische
Volk überhaupt vorlagen und welchen Zielvorstellungen
die beiden Regierungen nachgingen.
Es ist geradezu erschütternd, wenn selbst der bri
tische Außenminister Edward Grey nach Kriegsausbruch
vor dem Unterhaus zugeben mußte, daß er nicht einmal
den Text des eigentlichen franko-russischen Bündnisses
kenne, geschweige denn die "Weiterent wicklungen "
j ener Verbindli chkeiten. So gab Gro ßbritannien einen
Blanko scheck an Frankreich , während Frankreich längst
einen an Rußland vergeben hatte, ohne London davon
ausreichend zu unterrichten .
Boghitschewitsch bezeichnet sein Abschiedsgespräch mit dem französischen Botschafter in Berlin, Cambon, als typisch für die französische Haltung :
" Wenn De ut s c hland e s auf den Krieg ankommen lassen will, so wir d es auch England gegen sich haben; die e nglische Flotte wird die deutsc he n Häfen blockiere n und in drei Wo chen in den Hafen vo n Ha rnburg eindringen. Die französischen Milit ärs behaupten, daß sie das deut sche Heer glatt schlagen werde n . Als ich mich von ihm verabsc hie dete , ware n se ine letzten Wort e : 'bonne chanc e ' .
Nicht Worte fre undschaftlic her Verwarnung an Serbien oder Rat schläge z ur Mäßigung kamen diesmal aus seine m Munde , mit keiner Silbe deutete er die Nützlichkeit o der gar die Notwe ndigk e it fra nzösischer Vorste llungen in Petcrsb urg an. Er machte auf mich den Eindruck eines Manne s, der sich mit der unver meidlichen Tat sac he des Kriege s bereits abge funden hatte. Von dieser me in er let zten Unterre dung vor Ausbruch des Krieges mit Herrn
Cambon, hatt e ich die G e w i ß h e i t m itgenommen, daß der Krieg, falls er nicht bereits schon früher, ge wiß anläßlich der
Be ge gnung Po incare s mit dem russischen Kaiser in Petcrsburg bes c hlo ssen wor den war. " 4 8 )
1 �amene!f, 9tuf3lanb, 2 . 3o!fe, Q3orfit}enber ber ruff. 'll elegation, 3. <&rau 2L 2l. �iecenfo, <J:Ritglieb ber ruff. 'llelegation, 4. �ontre = 2lbmiral 2llttJater, 9tuf3lanb, 5. 5?ipsft), �auptmann im ruff. ffieneralftab, 6. �arad)an, 6efretär bcr ruff. 'llelegation, 7. 'Joffe, Dberftleutnant im ruff. ffieneralftab, 8. Sefi cpafd)a C!�;3., ber �ebollmäd)tigte ber �ürfei, 9. Q3on <J:Rert), �otfd)after, ö ftmeid)·Ungam, 10. "Prin3 5?eopolb bon �at)ern, Dberbefe�Is�aber Dft, 1 1 . �offmann, ffieneralmajor, <t�ef bes 6tabes, 1 2. ffiantfd)ero, Dberft, ber bulg. �ebollmäd)tigte, 13. �orn, �apitän 3ur 6ee, 14. �et), �auptmann im ffiencralftab, 15. �rtnfmann, <J.lliljor im fficneralftab, 16. b. �amefe, <J:Rajor, 17. v. 9tofenberg, 9tittmeifter, 18. tJ. <mir bad), <J.Rajor
Q:lie Untet3eid)nung bes <maHenftiUftanbSt>ettrages cp�ot. �Ub· u. 'JUm·2lmt
Die Unterze ichnung des Waffe nst i l lstandes vo n B rest am 1 5 . 1 2 . 1 9 1 7 . - E rst a m 3.3. 1 9 1 8 w u rde der Fr iede vo n B rest-Litowsk abgesc hlossen.
48 ) M. Bog h i tschewitsch , " Kr iegsu rsa chen " , Zür ich 1 9 1 9 , S . 96
26
G r o ß b r i t a n n i e n
Die diplo matischen Gehei m absprach en mit F rank
reich hatten Gro ßbritannien praktisch seit der Maro kko
k rise 1 9 06 mo rali sch an die Seite Frankreichs im Kriegs
fall verp flichtet . Die Verlet zung d er belgischen Neutrali
tät d urch Deutschland spielte bei der Einlösung d ieser
mo ralischen Verpflichtung nur eine pro pagandistische
R olle . Die j ahrhundert ealte Strategie vom "europäischen
Gle ichgewicht " dominiert e , - diesm al m it Zielrichtung
gegen Deutschland als der stärk sten europäischen Konti
nentalm acht . F ür diese Strategie zählte nur der Macht
faktor an sich , nicht irgendein schuldh aftes p olitisches
Verhalten in dieser o der j ener Form.
Da Gro ßbritannien die ohnehin weltweit größte Im
perial- bzw. Ko lo nialm acht , die Beherrscherin der Meere
wa r, hatte Europa noch nicht einmal unbedingt den
erst en Stelle nwert in der britischen Glob alstrategie . So
ergab es sich, daß Londons diesmalige Optio n für Frank
reich no ch nicht einmal motiviert war mit machtpo li
tischen Erwägungen gegenüber dem euro päischen Konti
nent , sondern gan z egoisti sch aus Englands Macht
st re ben, die Franzosen aus dem vo n ihnen gebauten
Suezk anal und dem hier neu entstandenen seestrate
gischen Schlüsselpunkt z wischen dem Mitt elmeer und
dem In dischen Ozean zu verdrängen. En gland erkaufte
sic h die " freie Hand in Ägypten" in einem Abkommen
mit Frankreich im Jahre 19 04 und sicherte Frankreich
dafür " freie Hand " in Maro kko zu. Wie man sieht ,
Abko mmen über an derer Herren Länder. Störend bei
die sem Handel war indessen, daß hierbei vo rnehmlich
De utschland aus seinen wirtschaftlichen Rechten in
Marokko verdrängt werden mußte, so llte das Kompensatio nsgeschäft zwischen Londo n und Paris nicht nur einseitige Vorteile für die Themse-Metropole abwerfen . Der politischen Einigkeit fo lgten im Jahre 19 06 militärische und marit ime Abmachungen zwischen den britischen und franz ösischen Ge neralstäben. Ihr I nhalt blieb geheim und begründete kein Bündnis im Sinne
üblicher R egierungsverträge, obgleich die Regierungen natürli ch die Initiato ren ware n . Jedenfalls ko nnten die
Regierungen auf diese Weise vor der Öffentlichkeit
politische und militärische Verbindli chkeiten leugnen,
was sie bis Krie gsbe gin n auch getan haben. De nno ch war
eine wi rksa me Zusammenarbeit der Streitk räfte beider
Länder b is hinein in die beiderseitigen Mobilisierungs-
pläne und Entsendung eines b ritischen Expeditio nskorps
vo n 6 Divisio nen nach Frankreich abgespro chen - für
den Fall eines gemeinsamen Vorgehens gegen Deutsch
land.
Diese in den wesentlichen Teilen bis Kriegsausbruch
1 9 1 4 geheim gebliebenen Absprachen und die sich bis
dahin vollzogene Zusammenarbeit mußte die Po litiker
indessen, wie gesagt , moralisch binden, was Außen
minister Grey am 3 .8.19 1 4 vor dem Unterhaus auch
zugab. Bereits im Jahre 1 9 1 2 - Abschluß einer Marine
ko nventio n - wurde im Zuge dieser Konzeptio n ein Teil
der britischen Mittelmeerflotte zum Schutz der franzö
sischen Atlantikküste, andererseits die französische Flotte ins Mittelmeer zum Schutz der dortigen briti
schen und - wie sich erweisen sollte - zur Unterstütz
ung der russischen , gegen Österreich-Ungarn und die
Türkei geric hteten Interessen verlegt .
Ahnlieh wie imperiale Interessen Großbritanniens die
" entente co rdial " mit Frankreich begründet hatten, so haben andere imperiale Interessen Großbritanniens im
Jahre 1 9 07 einen Vertrag mit Rußland über Persien,
Afghanistan und Tibet eingeleitet . Er enthielt zwar auch
hier keine allgemeinen Verpflichtungen zur politischen oder gar militärischen Zusammenarbeit , verschaffte j e
do c h Rußland eine größere Handlungsfreiheit auf dem
Balkan, aktivierte die Neuorientierung Rußlands nach
Westen und wurde in Deutschland als Beleg für eine
gegen das Reich gerichtete Einkreisung gewertet . Wie
man sieht, wurde auch hier wi ederum über fremder
Herren Länder verfügt . F ür "Vergangenheitsbewälti
gun g" sehen die gent lernen freilich bis heute noch
keinen Anlaß. Persien j edenfalls wurde in j enem Vertrag
in 3 Zonen aufgeteilt , eine russische, eine britische und
eine neutrale Einflußzo ne , was sowo hl die Einmischung
in die Gestaltung der inneren persischen Verhältnisse
einschloß als auch die wirtschaftliche Ausschaltung
anderer Länder, wovo n vornehmlich wiederum Deutsch
lan d betro ffen wurde . - Im perialpolitik, wie sie o ffen
bar " z um guten Ton geh ört e " . Weitere Passagen j enes
Vertrages sicherten Großbritannien die indischen
Grenzen und den V erzieht Rußlands auf beso ndere
Einflüsse in Afghanistan .
Daß man eine solche weltweit orientierte Strategie
mit belie big ko nstruierten " Feindbildern " motivieren
kann, auc h dann, wenn sie total unzutreffend sind,
2 7
versteht sich am Rande. So wurden dem Deutschen
Kaiserreich die leidige "Flottenfrage" als "milita
ristisches Säbelrasseln" angelastet. Die Propaganda wur
de nicht müde, dieses Thema immer und immer wieder
hochzuspielen. Zutreffende Sätze seien hierzu aus einer
jüngsten Forschungsanalyse zitiert :
" Die Flottenpo litik des Deutschen Reiches richtete sich erst i n letzter Instanz direkt gegen England, u n d selbst darin war sie defensiv. Wilhelm I I . warnte wiederholt mit Nachdruck davor, auf See eine unmittelbare Rivalität mit England anzustreben: 'Das ist das einzige, wozu wir niemals stark genug sein werden . ' Im Jahr 1 908 besaß Deutschland 22 Linienschiffe , England dagegen 59.
Die Flottenvorlagen des Reiches waren nicht auf ein Wettrüsten zur See angelegt . Von 1 909 bis 1 9 1 4 hielt man in Deutschland an einem Flottenetat unter 1 1 Millio nen Mark pro J ahr fest , während er sic h in England von 1 1 auf 18 Millio nen erhöhte. Wer dem Kaiser und dem Fürsten Bülow vorwirft , sie hätten in der Flottenfrage kei{. Augenmaß besessen , so llte England anlasten , daß seine Einschätzung der deutschen Marine a ls einer Existenzbe· dro hung nicht von souveränem Abwägen der Motive bestim mt war ; denn auc h: das läßt sich beweisen . Spätestens seit 1 9 08
verwechelte Gro ßbritannien in seinem Verhältnis zu Deutschland wiederholt Wirklichkeit mit Wahn, Po litik mit Panik.
England steigerte die deutsche Flottenmac ht auc h deshalb zu einer direkten Bedro hung, weil es in der Stärke des Reiches eine Gefährdung des europäischen Gleichgewichts witterte , für dessen Erhalt es sich aus eige nnützigen Motiven schon so lange verant· wortlieh fühlte .
I n Wirklichkeit waren die aggressiven Spitzen, die der Flottenbau des Reiches für den Kriegsfall enthielt , ursprünglich gegen Frankreich und Rußland gerichtet : 'Es wäre politisch wie strategisch hirnverbrannt erschiene n, die Möglichkeit eines späteren Angriffs auf England zu erwägen ' , versicherte Tirpitz. 'Der von mir ausgearbeitete Operationsplan von 1 895 faßt den Zweifrontenkrieg ins Auge und rechnet bei allen seinen Einzelheiten mit einem neutralen England . . . . ' . . . .
Erst später wurde der Wunsch von Tirpitz, die Stärke der Kriegsmarine so zu erhöhen, daß auch England das Risiko eines Angriffs nicht auf sich nehmen ko nnte , zum Leitprinzip für die Zahl der Kiele. So defensiv die deutsche Haltung auch war , sie lieferte England schließlich einen zusätzlichen Anlaß für seinen Entschluß, sich in die Front gegen das Deutsche Reich einzugliedern und damit den Ring der Einkreisung - aus deutscher Sicht -zu schließen. " 4 9 )
49 ) H e l l mut D i wa l d , "Gesch ichte der
Deutschen " , aaO. S . 267 - 268
50) Deutsches We i ßb u c h 1 9 1 9 , S . 2 0 1
2 8
mmm• l;Ju.5sr'.srh ·deutsche Gren z e 1914
WCJie.J fel Yord,.ingen d�r ru.Jsis.ch en
J.(W/In a -)Armee
Die britische Flotte war - als "Beherrscherin der Meere " - keineswegs nur zur Verteidigung der englischen Insel ausgebaut. Mittels maritimer Absprachen mit anderen Großmächten - siehe Frankreich - steigerte sie noch ihr militärisches und politisches Potential. So nimmt es nicht Wunder, wenn auch in der Zusammenarbeit mit Rußland vor Kriegsbeginn seestrategische
Überlegungen den Konsultationen zwischen London und
Petersburg zugrundegelegt wurden.
Unbesonnene Geschwätzigkeit der Russen und daraus
sich ergebende Pressemitteilungen verhinderten zwar die
im April 1 9 14 beabsichtigten maritimen Abmachungen
zwischen England und Rußland zur Unterstützung der
russischen Ostseeflotte "vor Beginn von kriegerischen
Operationen", brachten jedoch nicht den gänzlichen
Abbruch diesbezüglicher, mehr oder weniger konspirativ
zu nennender diplomatischer Fühlungnahmen. Ein
russischer Marineagent in England, Kapitän Wolkoff, wurde zwischengeschaltet. Dennoch wurde das im Juni
1914 ausgearbeitete Flottenabkommen bis Kriegsbeginn nicht abgeschlossen. Zweifellos erwiesen sich hierbei die
russischen Militärs als die drängenden, die Londoner Diplomaten hingegen als die vorsichtigen, zurück
haltenden Partner. So hatte Großbritannien weder die
vorgesehenen Maßnahmen getroffen, die ein Abziehen
ttJ O t0 20 .JIJ -M fQ
deutscher Flottenverbände aus der Ostsee bedingt hätten , noch haben sie der russischen Anregung folgend vor Kriegsbeginn Handelsschiffe zur Beförderung russischer Truppen in die Ostsee lanciert . Die vorgesehene russische Landung in Pommern "im günstigen Falle " fand daher nicht statt . 5 0 )
War somit die brit ische Diplomatie i m Jahre 1 9 1 4 auf die Wahrnehmung ihrer weltstrategischen Konzeption als Führungsmacht des " Commonwealth of Nations" ausgerichtet , so ergab sich daraus, daß die Wortwechsel und der Austausch vo n Noten in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch kein eigenes Schwergewicht entwickelten sondern so gehandhabt wurden, wie es der Ziellinie entsprach . Mit anderen Worten : Weder wertete die britische Regierung die russische Allgemeine M obilmachung als Kriegsverschwörungs- oder Kriegsverbrechensdelikt , noch Frankreichs flankierende Maßnahmen , noch hat der deutsche Einmarsch in Belgien eine Entschlußänderung in den Londoner Führungskreisen bewirkt .
Am 3 1 . Juli 1 9 1 4 unterrichtet Grey den deutschen Botschafter, daß Großbritannien im Fall eines deutsch-französischen Krieges hineingezogen würde. Am 1 . 8 . weigert er sich , eine Neutralität Großbritanniens für den Fall zuzusagen , daß Deutschland die belgisehe NeutraJität respektieren werde, oder irgendwelche Bedingungen für die brit ische Neutralität zu benennen. Am 2 . 8 . verspricht Grey Frankreich die britische Flottenhilfe, falls Deutschland die französische Küste oder Flotte angreifen sollte . Am 3 . 8 . nachmittags erfährt die demokratische Volksvertretung , das Unterhaus von " dieser die brit ische Nation bindenden Verpflichtung " . Das Parlament hat diese Überrumpelung durch einen einzigen Mann willenlo s hingenommen und dazu noch Beifall geklatscht , offenbar o hne zu bemerken , daß der Souverän - das Volk bzw. die Volksvertretung - durch vorher bereits geschaffene Fakten m seiner Entscheidungsfreiheit ausgeschaltet war.
Wie ernsthaft Außen minister Grey die Gespräche der letzten Tage vor Kriegsausbruch geführt hat - ob sie lediglich für die Akten und die Öffentlichk eit bestimmt waren oder nicht -, läßt sich für einen Histo riker außerordentlich schwer entscheiden . In diesen Tagen mag zweifellos die Verantwortungsschwere von Worten un d Entscheidungen viel erregender und nachhaltiger in Erscheinung treten als in ruhigen Tagen, da die Begriffe " Krieg" oder "militärische Auseinandersetzung" oder " Konflikt " mehr oder weniger als unverbindliche, weil im Mo ment nicht akute, Argumentationsfloskeln verwendet werden mögen. Dennoch haben auch im schließliehen Ernstfall längere Zeit zurückliegende Haltungsbekundungen, die auf die diplomat ischen Entscheidungspro zesse Anderer in irgendeiner Form eingewirkt haben
und möglicherweise bei unveränderter Gesamtlage noch als immanent vorhanden vorausgesetzt werden können, ein nachhaltiges historisches Schwergewicht . Hierzu gehört z . B . auch der Inhalt eines Berichtes vom russischen Außenminister Sasonow an den Zaren über seine Unterhaltung mit dem britischen Außenminister im Oktober 1 9 1 2 :
"Nachdem ich Grey vertraulich in den Inhalt unseres MarineAbko m m e n s mit Frankreich eingeweiht und darauf hingewiesen hatte, daß laut dem abgeschlossenen Vertrag die französische Fl otte um die Sicherung unserer I ntere sse n auf dem südlichen Kriegsschauplatz b e müht se in wird, indem sie die Österreichische Flotte hin dere , nach dem Schwarzen Meer durchzubrechen , fragt e ich den Staatssekretär, ob nicht England seinerseits uns den gleichen Dienst im Norden e rweisen könnte durch Ablen kung des deut sch en Ge schwaders von u nserer Küste in der Ost se e . Grey erklärt e , o h n e zu schwank e n , daß , wenn die i n Frage st ehende n Um stände e in getret en sein würden , E ngland alles daransetzen würde , u m der deut schen Machtst ellung den fühlbarsten Schlag zuz ufügen . . . . Au s diesem Anlaß bestätigte mir Grey aus e igenem Antrieb das, was ich b ereit s von Poincan� wußt e , und zwar : das Vorhandensein eines Abkommens zwischen Frankreich und G roßbritannie n , nach dem England i m Falle eines Krieges m it Deutschland sich verpflichtet e , Frankreich nicht nur zur See, sondern auch auf dem Kont inent , durch Landung vo n Truppen, zu Hilfe zu kommen . ' ' 5 1 )
Großbritannien blieb bis Kriegsbeginn 1 9 1 4 fest entschlo ssen, unbestrittener Herrscher über die Weltmeere zu bleiben und keine fremde Flotte zu dulden, die im Bündnis mit einer anderen fremden Flotte 2 / 3 der britischen Flottenstärke erreichen könnte . Deutschland , das knapp 50% der britischen Flottenstärke besaß, lehnte eine Begrenzung der Seerüstung trotz Anerkennung einer grundsätzlichen britischen Überlegenheit solange ab, wie E ngland keine Neutralitätsverpflichtung gegenüber Deutschland für den Kriegsfall mit einer anderen Macht einging. Dies wiederum verweigerte London . Großbritannien hingegen hielt eine vertraglich geregelte Begrenzung des deutschen Flottenbaues für die Voraussetzung einer politischen Annäherung. Deutscherseits wollte man in j edem Fall so stark sein, um einen britischen Angriff zum Risiko werden zu lassen, hatte man do ch noch die Vernichtung der friedlichen dänischen Flotte vor Kopenhagen durch britische Kriegsschiffe vo m Jahre 1 807 in Erinnerung.
Dennoch sei festgestellt , daß England nicht - wie der spätere Premier Neville Chamberlain es für 1 9 39 sagen sollte - " die Dinge vorangetrieben hat " . Es hat sich j edoch nahezu vorbehaltlos an den Partner Frankreich gebunden, ihn uneingeschränkt gewähren lassen, obgleich Grey wußte, daß Frankreich seinerseits info lge seines - . ebenfalls großenteils geheimen - Vertragssystems mit Rußland in "Verpflichtungen " verstrickt war, deren Auslösung vorbehaltlos in die Hände der zaristischen Regierung gelegt war .
5 1 ) E . D . Mo re l , "Tr u t h a n d t he Wa r " , deutsche Übe rset z u ng , Ber l i n 1 92 0 , " E i n gerechter E ng l ä nder über d i e Sc h u l d a m K r i ege " , hrsg . v . H e r m a n n L u t z , S. 243
29
P C R S O N CN UN D )iM TC R
Deutschland
Ka i ser
R e i chska nz ler +
Auße n m i n i ster
Staatssek retä r im AA.
U nte rstaatsse k retä r i m AA.
Botscha fter i n Petersbu rg
London
Par i s
Wien
Wilhelm I I .
v. Bethman n-Ho l lweg
v. Jagow
A. Zi m merman n
F . Graf Pou rta les
Fürst K . M . v. Lichnowsky
W . Frhr. v . Schoen H. v . Tschirschky
R o m
Konstant i nope l
H . v. F lotow H. Frhr. v. Wangenhei m
K. v. Below-Sa leske Gesandter in B rüsse l B e lgrad
Luxe m b u rg
Genera l k o n s u l i n Warschau
M i l itärattache in Wien
Petersbu rg
Kr iegsm i n i ster
Mar ine m i n i ster
Genera l stabschef
v. G riesi nger
v. Buch
Brück
K . G raf Kageneck v. Eggel i ng
E. v. Falke n hayn
A. v. Tirpitz
H . v . Mo ltke
Großbritannien
Kön i g Prem ierm i n i ster
Au ßen m i n i ster
Kr iegsm i n ister b i s 1 .8 . 1 9 1 4
Ma r i nemi n i ster
Schatzkanz ler
a b 2 .8 . 1 9 1 4
Georg V.
Staatssekretär i m Fore i gn Off i ce
U nterstaatssekretär i m F .O .
H . H . Asqu ith
Edward Grey Lord Ha ldane
Lord K itchener
Wi nston Church i l l
L l oyd Geo rge
R .B . Haldane
A . N ico lson
Le iter d. Westabt . im F orei g n Off ice
Botschafter i n Ber l i n
E . Crowe
W . E . Goschen Par i s
Petersbu rg
Wien
R o m Gesa ndter i n B rüsse l
M i l itärattache i n Pa r i s
Ge nera lstabschef
König
M i n isterpräs ident
Au ßen m i n i ster
G e nera l stabsch ef
Botschafter in Wien
Italien
Ber l i n
Par i s
Lo ndon
Petersbu rg
M i l itärattache in W ien
30
F. Bertie
G. Buchanan
M . de Bu nsen J . R . Rodd
F. Vi l l i ers
Yarde-B u l ler
Ch . Douglas
Viktor E manuel 1 1 1 .
Sa landra
A . M . d i San G iu l iano L. G raf Cadorna
Herzog v. Avarna
M . Bol lat i
T. T itto ni
M . l m peria l i A . M . Carlotti Graf v . Albricci
Österreich-Ungarn
Ka iser
T h ro nfo l ger
M i n i sterpräsident
M i n i sterpräs ident für U n garn
Au ßen m i n i ster
Staatsse k retär im AA F i na n z m i n i ster
Botschafter in Be r l i n
Par i s
Lo ndon
Peters burg
R o m
Gesa ndter i n Be l grad
Gesan dtsc haftsrat in B e l grad
M i l itä rattache in Ber l i n
Petersbu rg
Genera lsta bschef
F ranz Joseph Erz herzog Ferdi nand
K . G raf Stürgk h G raf T isza
L . Graf Berchtold A. G raf Hoyo L. R itter v . B i l i nsk i L. Graf Szögyeny F . G raf Szapary N. Graf Szecsen A. Graf Mensdo rff-Pou lly
K . v. Merey
Ba ro n v. G ies l
v. Sto rck
Frhr. v. B ienerth
F. Pri nz zu
Hohen lohe-Sch i l l i ngsfürst C. v. Hötzendo rf
Frankreich
Staatsp räs ident
M i n i sterpräs i d ent + Au ßen m i n i ster
Au ßen m i n i ster a b 2 .8 . 1 9 1 4 Kri egsm i n i ster
Rai m u nd Po inca re
R . Vivi ani
G . Do u mergue A. Messimy
Gauth ier M a r i ne m i n ister
Genera lstabschef J . Joff re Just i z· + ste l l vert r . Au ße n m i n i ster
Botsch after in B e r l i n
J .B . Bienvenu-Martin J u les Mart i n Cambon
Pau l Pierre Cambon G .M . Pa lealogue
London
Petersbu rg
Wien Rom
Gesa ndte r i n Brüssel
M i l itärattache i n B er l i n
Lo ndon
Po l . D i rektor im AA
Rußland
Za r
M i n i sterpräsident
Auße n m i n i ster
K r i egsm i n i ster
M ar i ne m i n i ster
I nn e n m i n i ster
F i na n z m i n i ster
Genera l stabschef
Botschafter in Be r l i n
Lo ndon
Par i s
W i e n
R o m
G esandter i n Be l grad
M i l i tärattache in W i e n
Pa r i s
B e l grad
Gesch äftsträger in Be r l i n
B e l grad
A. Duma i ne C. Ba m! re K lobukowsk i
Serret
Panouse
B .J . de Margerie
N i kolaus I I
I . Goremykin
S.O. Saso now
W.A. Sucho m l i now
I . K . G r igorowitsch
N .A . Mak l akow
G raf Witte
Janu schkewitsch
S. Swer bejew A. Graf v. Benckendorff A.P. lswo lsk i
N. Schebeko
N . H . v. Hartwich
Hartwig, t 1 0 . 7 . 1 9 1 4
A . Baro n Wyneken
Graf v. lgnatiew
Arta manow
Bronewski
W . N . Strandmann
Belgien
Präs ident
Kön i g
M i n i sterpräs i d e nt
Au ße n m i n ister
Gesandter in B er l i n
P a r i s
USA
Au ßen m i n i ster ( Secreta ry of State )
ab 1 9 1 5
Botschafter i n B e r l i n
London
Pa r i s
Pete r s b u rg
Al bert I . de Broquevi l le M. Davignon Baron v. Beyen Baron Gui l lau me
Woodrow Wilson J. B ryan R. Lansing J.W. G erard W.H. Page M.T . Herrick Wilson
Bereits 1 4 Tage nach Kriegsbeginn rück ten zwei g ewaltige russische Ar meen in Ostpreußen ein. - R u ssenparade in I nsterbu rg am 5. September 1 9 1 4 vor G roßfürst N ikol ai Nikolaj ewitsch u nd G eneral R ennenkamp f
Kö n i g
Pr i nz regent
M i n i sterpräs ident +
Auße n m i n i ster
I n n e n m i n i ster
K r i e gs m i n i ster
Genera l sta bschef
E r z i e h u n gs m i n i ste r ,
Serbien
später Pa r l a me ntspräs ident
Gene r a l sek retär i m
Auswä rt i gen A mt
Gesa n dter i n Lo ndon
Wien
Petersburg
Par i s
Geschäftst räge r i n B er l i n
Peter I A lexander N . Paschitsch
St. Proti tsch D. Stefanovitsch Putnik L. Jowanowitsch
G ru itsch Boskovic J . Jovanovitsch Kosutitsch M . R . Vesnitsch M. Bogh itschewitsch
Am 1 1 . Septe mber 1 9 1 4 rä u mten die letzten R u ssen I nsterbu rg f l uchtartig
5. 000 R u ssen kommen 4 Tage später als G efan gene nach I nsterbu rg zu rück
3 1
Z eit fo l g e Winter 1913/ 19 14 Rufiland : Verbleib des zu entlassen
den Reservistenjahrgangs bei den Fahnen Februar 1914 Rußland : Beginn von Probemobilmachun
gen einschließlich der sibirischen Militärbezirke, die bis Kriegsbeginn ohne Demobilisierungen fortgesetzt
wurden. Im Frühjahr erhielten die Saisonarbeiter für Deutschland Anweisung, im Juli zurückzukehren.
Mai· 1914 Rußland : Mobilisierung der Reservejahrgänge 1907 - 1909, getarnt als "Übungen "
28. 6. Ermordung des Österreichischen Thronfolger-ehepaares Erzherzog Franz-Ferdinand
5 . 7 . Besprechungen des Kaisers über Note Österreichs 6. 7 . Abreise des Kaisers nach Norwegen 9 . + 1 0 . 7 . Deutschland : Anfragen Staatssekretärs Dr.
Dellbrück an Bethmann-Hollweg + v. Jagow, ob vorbereitete Getreidekäufe getätigt werden sollten. Antwort von beiden: " Nein, es dürfe unserer seit s nichts ge schehen, was die Auffassung erwecken könnte, als wenn wir uns auf einen Krieg vorbereiteten ." s 2)
1 5 .7 . Die deutsche Flotte startet unmo bilisiert in die nordischen Gewässer zur üblichen Übung Die britische Flotte beginnt Probemobilmachung
20 . - 2 3 .7 . Frankreichs Präsident Poincare und Ministerpräsident Viviani in Petersburg Deutschland weist Bündnisangebot der Türkei zurück, um Rußland und Frankreich nicht zu verärgern
23 .7 . Österreich überreicht um 18 Uhr auf 48 Stunden befristetes Ul timatum an Serbien Kosutitsch sendet aus Petragrad Zirkulardepesche an serbische Regierung + Gesandtschaften:
" . . . . russische Regierung habe die Mobilisierung von zwei Millionen Mann angeordnet ; die Kriegsbegeisterung in Rußland sei eine u ngeheure . " ,5 3 )
24.7 . Deutschland : Getreidekäufe genehmigt. Die sofort erteilten Aufträge kamen zu spät ; die Vorräte in Rotterdam waren bereits weitestgehend geräumt. s2) Großbritannien : mobilisiert Teile der Flotte
25 .7 . Serbien 15 Uhr: Allg. Mobilmachung (= 15 Div.) 18 Uhr: Überreichung der Antwort an Österreich Rußland : Zar genehmigt Ministerratsbeschluß vom 24.7 . , 13 Armeekorps zu mobilisieren, falls Österreich gegen Serbien vorgeht Österreich: Teilmobilmachung gegen Serbien (8 Armeekorps = 24 Div.) Rußland abends: Prämob.-maßnahmen, Ausnahmezustand in Petragrad + Moskau
26 .7 . Rußland: Kriegsvorbereitungsperiode befohlen für die europäischen Bezii-ke Frankreich : Vorsichtsmaßnahmen
52) " Der We l t k r i eg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 " , bearb . + h rsg . vo m R e i ch sa rc h i v , a a O . ,
B d . I , S . 4 1 3
53) E . D . Mo re l , aaO . , S. 2 56
3 2
Rückruf der deutschen Flotte aus der Nordsee
27 .7 . Deutschland: Munitionsforderung des preußischen Kriegsministeriums für 19 15 um 3,5 Mill. Mark gekürzt. Rückkehr Kaiser Wilhelms II. von Nordlandreise Militärattache in Petersburg angewiesen, russischer Regierung mitzuteilen, daß Deutschland z.Zt. keine militärischen Schritte beabsichtige Rufiland : Weitere vorbereitende Mob.-Maßnahmen. Telegramm des Zaren an Kaiser Wilhelm II., er möge vermitteln und gesteht, selbst einem Druck ausgesetzt zu sein, der ihn wahrscheinlich zu Maßnahmen nötigen werde, die zum Kriege führen.
Britische Auslandsbanken erhalten Anweisung, del). Geldverkehr mit Deutschland einzustellen
28 . 7 . Deutschland : Rückruf der Truppen von den Übungsplätzen in die Standorte
Österreich; 11 Uhr Kriegserklärung an Serbien
Rufiland : Mobilisierung gegen Österreich; - Internierung der sich in Petersburg aufhaltenden Deutschen
29 .7 . Großbritannien : Flotte begibt sich auf Kriegsposition nach Scapa Flow. Warnung an Heer + Flotte Rußland : Allg. Mobilmachung 17 Uhr ( = 1 11 Div.). Rücknahme des Zaren um 20 Uhr ohne Wirkung. Sasonow an Iswolski:
"Da wir den Wunsc h Deutschlands nicht erfüllen können (Mob.-maßnahmen einzustellen , - d. Verf. ) , bleibt uns nur übrig , unsere Bewaffnung zu beschleunigen." 5 4) Der britische Historiker E.D. Morel:
" Überdies ist nun ein amtliches Dokument zugänglich, das zeigt , daß in russischen und französischen Augen a I I g em e i n e M o b i l m a c h u n g K r i e g b e d e u t e , u n d b i s z u r ü c k i n s ,J a h r 1 89 2 K r i e g b e d e u t e n s o I I t e . Dies Do kument ist der an den französischen Kriegs
minister gesandte Bericht de s Generals de Boisdeffre, der 1892 an der Spitze der zu den Verhandlungen über das franko-russische Militär-Abkommen nach Petcrsburg entsandten Missio n stand. Darin schildert der Ge neral eine Unterhaltung mit dem Zaren ( Aiexander 111 ) , in der die se Stelle vorkommt :
' I ch wies ihn ( den Zaren) darauf hin , daß Mobilisatio n die Kriegserklärung bedeute; daß zu mobilisieren so viel heiße , als seinen Nachbarn zu zwingen, ein Gleiches zu tun; daß Mobilisation die Au sführung stl ategischer Transporte und Konzentratio n einschlö sse. '
Der Zar antwortete : ' Das ist ganz, wie ich die Sache auffasse . ' Der französische Wortlaut verleiht diesem Punkt no ch beson
deren Nachdruc k : 'Ia mo bilisation c 'etait ( wäre ) Ia declaration de guerre . '
Außerdem scheint die Ansicht des russischen Generalstabes vo llko mmen klargelegt worden zu sein . Ein im seihen Gelbb uch wiedergegebener Bericht des französischen Botschafters in Petcrsburg enthält eine Note des französischen Militär-Attaches, in der die An schauung des russischen Generalstabes zusammengefaßt ist .
E s heißt darin :
54) Deutsches We i ßb u ch 1 9 1 9 , S. 204 - 205
'Er ( Ge neral Obrutscheff, Chef des Generalstabes ) ist der Meinung, daß die Mobilisatio n Frankreichs und Rußlands s og I e i c h vo n aktiven Schritten, vo n Kriegshandlungen gefolgt ,
kurz , daß sie gleichbedeutend mit 'Angriff ' sein soll . ' Mobilisation bedeutete daher Krieg nach den B estimmungen
des franko-russischen Bündnis-Vertrages, dessen dritter Punkt vorsie ht, daß die mobilisierten Streitkräfte ' schleunigst zu entscheidendem Kampf eingesetzt werden, damit De utschland gleichzeitig im Osten und Westen zu kämpfen hat . ' Diese Enthüllung ze igt den Gedanken auf, daß Rußland , nachdem es einmal mobilisiert , niemals die Absicht zu demobilisieren hatte , und wahrscheinlich entschlossen war, zum äußersten zu schreiten, ohne sich daru m zu scheren, seinem Vorge hen eine formelle Kriegserklärung vorauszuschicken. " 5 5 )
Eine russische Mobilmachungsorder vom 3 0 . 9 . bzw. 12 . 10. 1912 enthält den Satz:
"AIIerhöchst ist befohlen, daß die Verkündung der Mobilisation zugle ich auc h die Verkündung des Kriege s gegen Deutschland ist . " ( D iese Order war wä h rend des Kr ieges i n deut sche H ände gefa l le n u nd w u rde a m 1 5 . 1 1 . 1 9 1 6 i m R e i c h stag be k a n ntgegeben . )
Wie sich aus den britischen Vorkriegsakten nachweisen läßt wußte man auch in London um die kriegsauslösende Bedeutung der russischen Mob.
30.7 . Rußland 16 Uhr: Allgemeine Mobilmachung vom Zaren endgültig bestätigt. Iswolski an Sasonow: s 6)
" Fortsetzung von Nr . 20 9. Abschrift nach London. Erbitte dringend Verfügung. Margerie , den ich eben
gesprochen habe, sagte mir , die franzö sische Regierung, d i e s i c h k e i n e s w e g s i n u n s e r e m i l i
t ä r i s c h e n V o r b e r e i t u n g e n e i n m i s c h -e n w i I I , 5 7 ) würde in Anbetracht der fortgesetzten Ver handlu ngen wegen Wahrung des Friedens es für äußerst wünschenswert halten, daß diese Vorbereitungen einen möglichst wenig offenen und
. herausfordernden
Charakter tragen. Der Kriegsminister, der dense lben Gedank
.en ' entwickelte , sagte se inerseit s Graf Ignatjew,
wir . 5 8 ) 1 kö nnten erklären, daß wir im höchsten Interesse des Friedens bereit se ien, die Mobilisatio ns-Maßnahmen zeitweilig zu verlangsamen, was uns nicht hindern würde, die militärischen V�rbereitungen fortzusetzen und sie sogar zu verstärk en, indem wir uns nach Möglichke it der Masse n-Truppentransporte enthalten. 5 9 ) Um 9 Y2 Uhr findet eine Ministerberatung unter Po incare statt , nach der ich so fort mit Vivia ni zusammenko mmen werde . " 6 0)
Frankreich: Abends Einberufung der Reservisten in den Grenzkorps
Großbritannien : Einberufung von 2 5 . 000 Reservisten ftir Eisenbahnbewachung zu den Häfen. Bericht an französischen Militärattache über technische Einzelheiten für vorgesehenen Transport britischer Truppen nach Frankreich Kriegsminister im Londoner National Liberal Club:
55) E . D . Mo re l , a a O . , S. 271 - 272 56) De uts ches We i ßb u c h 1 9 1 9 , S. 203
B e i d i e ser G e l e ge n he i t d ü rfte es a ngebra c ht se i n , a u f d e n vo n M . Bo g hitschewi t s c h i n se i n e m B u c h " Kr i egsursache n " , Zür i c h 1 91 9, s . 27 erwähnten " beka n nt e n A u sr u f l swo l sk i s be i A u sb r u c h d e s e u ro pä i schen Kr ieges" h i n z u we i se n : " Das i st me i n K r i eg ! "
57) Von E . D . Mo rel d u r ch Fet t d r u ck hervo rge hoben 58 ) "Wi r " � bedeutet " R u ßl a nd " 59) Ab "was u n s n i cht h i nd e r n würde, � vo n E . D . More l d u rch
Fett d r u ck hervorgehoben 60 ) E . D . Mo re l , aaO., S . 275 +
Deut sch es Wei ßb uch 1 9 1 9 , S. 203
"Der Krieg kö nne nicht vermieden werden , und England könne nicht draußen bleiben. " *)
3 1 .7 . Österreich: 11 . 3 0 Uhr Allgemeine Mob. (= 5 1 Div. ). Gleichzeitig Erklärung über Verhandlungsbereitschaft mit Rußland + anderen Mächten Deutschland : 13 Uhr Zustand drohender Kriegsgefahr. 15. 30 Uhr Ultimatum an Petersburg. Inhalt : Obwohl Deutschland wunschgemäß weiter vermittle und keine Mob.- Maßnahmen getroffen habe, mobilisierte Rußland seine gesamte Armee + Flotte. Daher sei Deutschland gezwungen, "Zustand drohender Kriegsgefahr" zu proklamieren. Die Mobilisierung müsse erfolgen, falls Rußland nicht binnen 12 Stunden Kriegsmaßnahmen gegenüber Deutschland + Österreich- Ungarn einstelle + dies offiziell erkläre. - in Petragrad überreicht um Mitternacht 15 . 3 0 Uhr Ultimatum an Paris: Inhalt gleichlautend, verbunden mit der Anfrage, ob Frankreich in einem deutsch- russischen Krieg neutral zu bleiben gedenke Frankreich: Mitteilung an Generalstabschef, allgemeine Mobilmachung sei für 1.8. zu erwarten
1 .8 . Frankreich: Vormittags Befehl zur Einschiffung des marokkanischen Expeditionskorps 11 Uhr: Mitteilung an deutschen Botschafter, Frank-
reich werde tun, was ihm seine Interessen geböten 16 .40 Uhr Allgemeine Mobilmachung (= 68 Div. )
2 .8 . Deutschland : 1 7 .30 Uhr Allgemeiner Mobilmachungsbefehl (= 86 Div. ) 1 9 Uhr Kriegserklärung an Rußland
Großbritannien: 2 . 2 5 Uhr Mobilmachung der Fl otte. Lord Haldane erklärte am 2 9 . 1 1. 19 18 hierzu im Bedford College :
" Bei Kriegsausbruch war die F lotte in einem solch schlagfertigen Zustand wie nie zuvor, und wir standen damals sogar zwei zu eins gegen die ganze deutsche Flotte . . . . .
Wir mobilisierten am Mo ntag, den 3 . August , um 1 1
Uhr morgens , 3 6 Stunden, e he wir den Krieg erklärten. Innerhalb weniger Stunden war das Expeditionsheer mit Hilfe der Marine über dem Kanal , ehe nur jemand davon wußte . " 6 1 )
Ostpreußen: erster stärkerer russischer Kampfverband in das Kreisgebiet Johannisburg eingedrungen Luxemburg wird von deutschen Truppen besetzt
Österreich: 11 Uhr Kriegserklärung an Serbien, stellt aber ausdrücklich fest, daß keine Gebietserweiterung auf Kosten Serbiens beabsichtigt sei
3.8 . Großbritannien: 12 Uhr Mobilmachung der Heeres. 15 Uhr Rede Edward Greys vor dem Unterhaus Deutschland : 16 Uhr Kriegserklärung an Frankreich
4.8 . Belgien: 8 Uhr Einmarsch deutscher Truppen
Großbritannien, 1 4 Uhr: Ultimatum an Deutschland.
Überreichung britischer Kriegserklärung an Deutschland kurz nach 17 Uhr
2 . - 5 . Okt. 1 9 1 4 Kriegserklärungen Rußlands, Großbritanniens + Frankreichs an die Türkei sowie Annektion Cyperns durch England
* ) A l e xa nd er G raf B rockdo rff , " V o n Cha u v i n ismus, K r i egssc h u ld u nd
deutscher R e g i er u ngspo lit i k " , 1 932 , o . O . , 24 S., S . 11.
61) E . D . Morel , a a O . , S. 270
3 3
R ÜS TUNGSS TA ND
Großbritannien
Marinerüstung 1 9 05 - 1 9 1 4 : 3 9 1 Mrd . .f 1 9 1 4 Ausgaben für Kriegsschiffneubau : 1 8 ,6 Mill . .f 1 9 1 4 Heereshaushalt : 28 Mill . .f 1905 Beginn des Baues von Dreadnoughts 6 2 )
Heeresstärke ( o hne Marine ) als expeditio nary force auf der britischen Insel = 2 5 2 . 0 00 Mann
Deutschland
Zweij ährige Wehrpflicht , j edo ch nicht voll durchgeführt ; - 5 Millionen Mann im wehrpflichtigen Alter nicht militärisch ausgebildet .
7 2 5 . 00 0 Mann stehendes Heer 6 3) 1 9 1 4 Ausgaben für Kriegsschiffneubau : 1 0, 3 Mill . f Heereshaushalt 1 9 1 4 : 6 8 Mill . f Heeresausgaben 1 9 0 5 - 1 9 1 4 : 448 Mrd . 1 9 1 0 - 1 9 1 4 :
2 5 2 Mrd. f Marineausgaben 1 9 0 5 - 1 9 1 4 : 1 8 5 Mrd . f Munitionsvorrat geringer als j ener allein Frankreichs 1 906 Beginn des Baues von Großkampfschiffen in Reak-
tion auf Englands Bauprogramm für Dreadnoughts
Lloyd George schrieb am 1 . Januar 1 9 1 4 in der "Daily Chro n icle ' ':
" Das deutsche Heer ist nicht nur für das B e stehen des Deut sc hen Reic hes, so ndern auch für da s Le ben und die Unab· hä ngigkeit der Nation selbst vo n allergrößter B e deutung, da Deutschland vo n anderen Staaten u mringt i st , deren jeder eine der deutschen beinahe e benbürtige Armee besit zt . W ir verge ssen , daß , während wir eine 60%ige Überlege nheit unserer Marine über die De utschlands verlangen, um die Sicherheit unserer Küsten zu gewährleisten, Deutschland nicht entfernt auch nur eine ähnliche Üherlegen heit über Frankreich allein besitzt, und es muß außerdem natürlic h noch mit Rußland an seiner Ostgrenze rec hnen . Deutschland h a t n i c h t s , w a s e i n e m Z weimä c hte-St andard auch nur nahekom mt. " 64)
Die Be deutung dieses Zitates wird dadurch verstärkt,
daß Lloyd George im Jahre 1 9 1 6 britischer Premierminister wurde und auch im Frieden von Versailles 1 9 1 9 maßgeblich mitgewirkt hat .
62) Dread no ughts = zu deut sch " F ürchte n i chts" , 2 2 .500 t = erste. moderne Sch lachtsch iffe f = Pfu nd St e r l i ng. Die Zah len s i nd den B udgets der betreffend e n Mächte e ntno mmen ; s i e h e I nternat iona l Peace Y e a r B o o k 1 9 1 5 .
63) Za h l en der K r i egssch iffneubauten = a m t l iche Za h len des b r i t i schen K r i egs m i n i ster i u ms . Neubauten der vo rangehenden J a h re ana l og zw ischen den Länd er n , jedoch ger i nger
64) E . D . Mo re l , aaO . , S. 144
34
Österreich- Ungarn
450.000 Mann Friedensstärke
1 9 1 4 Heereshaushalt : 24 Mill . f Heeresausgaben 1 9 05 - 1 9 1 4 : 234 Mrd. f ;
1 9 1 0 - 1 9 1 4 : 1 2 8 Mrd. f Marinerüstung 1 9 05 - 1 9 1 4 : 5 0 Mrd . f
Frankreich
8 5 1 . 000 Mann stehendes Heer ; die Zahlenangaben
schwanken vo n 844. 000 bis 900. 000 Mann, je nachde m man Fremdenlegionäre und farbige Truppen
sowie den service auxilaire hinzuzählt oder nicht .
Ausgaben 1 9 1 4 für Kriegsschiffneubau : 1 1 ,7 Mill . f Heeresausgaben 1 9 0 5 - 1 9 1 4 : 3 47 Mrd. f ;
1 9 1 0 - 1 9 1 4 : 1 96 Mrd. f März 1 9 1 3 : Einführung 3-j ähriger Wehrpflicht (eine
Fo lge der Abmachungen mit Rußland , Poincare-Be such 1 9 1 2 in Petersburg )
Marineausgaben 1 9 0 5 - 1 9 1 4 : 1 6 1 Mrd. f
Rußland
Dreij ährige Wehrpflicht für Infanterie und Artillerie , vierj ährige Wehrpflicht für übrige Waffengattungen .
1 . 7 00.000 Mann stehendes Heer; die Zahl war bei Kriegsbeginn no ch höher , da Reservisten nicht , wie sonst üblich, 1 9 1 3 / 1 9 1 4 entlassen wo rden waren und Probemobilmachungen seit Februar 1 9 1 4 das stehende Heer weiter vergrößert haben.
1 9 1 4 Ausgaben für Kriegsschiffneubau : 1 3 , 1 Mill. f Heeresausgaben 1 9 05 - 1 9 1 4 : 495 Mrd . f;
1 91 0 - 1 91 4 : 27 9 Mrd f Marineausgaben 1 9 0 5 - 1 9 1 4 : 1 94 Mrd. f
Die Bedeutung der russischen Zahlenangaben wird durch den Artikel verstärkt , der am 1 3 . 6 . 1 9 1 4 - 2 Wo chen v o r der Ermordung des Erzherzogs FranzFerdinand in Saraj ewo - in der Petrograder Zeitschrift "Birschewij a Wj edomo sti " ( " Börsen-Listen " ) erschienen und offensichtlich vo n Kriegsminister Suchomlinow verfaßt worden ist :
" Ru ßland ist bereit : F rankreich muß es auch sein.
Im Au sland ist man bereits völlig unterrichtet über die kolossalen Opfer , die wir zu dem Zwecke dargebrac ht haben , um dem franko-russischen Bündnis eine wirkliche ansehnliche Kraft zu verleihen. Die vo m Kriegsm inisterium in der Organisation der russischen bewaffneten Macht durchgeführt en Reformen über-treffe n alles, was j em als nur irgendwo in dieser Ric htung getan
wo rden ist. Unser j ährliches Rekrut enkontingent ist nach dem let zten kaiserlichen B efehl vo n 4 5 0 . 000 auf 5 8 0 .000 Mann gebracht wo rden. Dem n ach haben wir eine jährliche Verm ehrung der Arm ee um 1 3 0 . 000 Mann . Gleichzeitig ist die Dienstzeit um
1 1. ller Seekrieg. a) 'Betderfeitige Streitkräfte.
3roar laffen fid) .reiftungsfäf)igkeit und 'Kampfmert einer 'Kriegsflotte tüd)t durd) die 3af) len des 'tonnengef)altes, der 1Jant3erungen und der <5efd)ü{3ausrüftung ausdrücken, denn die ted)nifd)e und feetaktifd)e 'Durd)bHdung, der <Deift und der 'KampfmHle der �ffi3iere und 'Bemannung find uon entfd)eidender 'Bedeutung. 3mmerf)in ergibt fid) der 'Dergleid) der beiderfeitlgen 'Kampfftärken t3Ur See aus nacf)ftef)ender (3ufammenfteHung, die mir aus dem als befonders 6Uoedäffig gead)teten Werke "'llauticus" (Jaf)rgang 1 9 1 4) entnef)men. COer 'Dergleid) gHt für den 1 5 . 'illai 1 91 4. Aufgenommen ift nur der neuere Sd)iffsbeftand. 'Die vera lteten 3a9röeuge (6- '13. die 7 'Küftenpan3erfd)iffe 'Deutfd)lands) find gleicf)mä�ig auj3er 'l3etracf)t ge laffen. Auf der Seite 'Deutfcf)lands ift die öfterreid)�ungarifcf)e, auf der Seite der <Entente die japanifd)e 'Kriegsflotte nid)t berückficf)tigt, da der 'Kampfmert der erfteren nid)t in 'Betrad)t kam, die japanifd)e ';3lotte für das Auftreten in <Europa ausfieL
l. <Deutfd)es 'Retd). (3af)! 'l:onnengef)a!t 3m 13au
a) rinienfcf.>iffe . 33 537 050 7
b) 'Pan&e-ck-ceu&e-c . 13 1 85 990 4
(unte�: a und b <D�:o�kampffcf.>iffe ) . (H) (380 roo) (1 1 )
c) <Defcf,>üt}te 'lheu3et: , 39 146 686 6
d) <15-co�e 'l:ot:pedoboote . 1 38 73 726 H
e) llnte�:feeboote 28 ?
3u[ammen M3 452
2. �ntente. a) (England.
(3af)! 'l:onnengef)a!t 3m 13au
a) rinienfcf.>iffe 59 1 013 840 1 6
b ) '}3an&et:k�:eu&et: . 43 604 540 1 (unte�: a und b <Dro�kampffcf)iffe ) (29) (621 360) (H)
c) <Defcf,>ü{Jte 'H�:eu3et: 58 282 590 21 d) <5t:o�e 'Io�:pedoboote 1 85 133 190 30 eJ llnte�:feeboote 69 31 HO 28
3u[ammen 2 065 330
b) acankteicf). (3af)! 'l:onnengef)alt 3m 13au
a) rinienfcf)iffe 21 345 730 12 b) 'Pan&et:k-ceu&e-c . 1 9 200 610
(unte-c a und b <Dro�kampffcf.>iffe) . (10) (203 800) (12) c) <5efcf)üt}te 'H-ceu&e-c 8 42 810 3 d) <Dro�e 'Iot:pedoboote . 54 . 2I ZZO 3
e) Unte-cfeeboote 49 zr 6ro 20
3u[ammen 644 040
c) �ufdand (nut �a(tifcf)e alotte).
a) rinieufcf,>iffe . . . . . • . . . b) '}3an&edu:euae-c • . . . . · . ·
(unte-c a und b <15-copkampff cf,>iffe) c) <Defd,lüt}te 'H-ceuae-c . d) <15-co�e 'Io-cpedoboote . e) Unte-cfeeboote
Somit Tonnen :
'l>eutfcf)land = 943 452
(3af)! 'Ionnengef)a!t 3m 13au 4 62 300 4
6 64 940 4
(-) (- ) (8) 6 36 320 6
60 25 680 36
1 1 3 sro 19
aufammen 192 810
f <England 2 065 330 ) <Entente \ 'drankreid) 644 040 J = 2 902 1 80
'Ruj3 land 1 92 8 1 0
<Eine ungef)eure, etma drG'ifad)e Übedegenbett t3ur See .war f)iernad) auf der Seite der <Entente. Sie muj3te fid) ins Ungemeffene fteigern, fobald die 'Dereinigte.n Staaten oon 'llordamecika und 3talien det <Entente beitraten.
*) " Das deutsche Vo lk in Waffen - Der We ltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 " , hrsg . vo m Verba nde deutscher Kriegsveterane n , Ber l i n 1 92 1 , S . 35 5
35
ein halbes J ahr verlängert worde n , so daß also während jedes . Winters vier R ekrute nkont ingente unter der F ahne stehen werde n. Mit Hilfe einfacher arithmetischer Berechnung kann man die Ziffernangaben über unsere Armee feststellen , die so gro ß sind, wie sie noch niemals ein St aat aufgewiesen hat : 5 80 .0 0 0 x 4 =
2 . 3 2 0. 000. Diese Zahlen bedürfen ke ines Ko m me ntars. Einen solchen Luxus kann sich nur das gro ß e mäc ht ige Rußland er
lauben . Zum Vergle ich sei erwähnt , daß die deutsche Armee nach dem letzten Militärge setz 8 8 0 . 0 0 0 , Ö st erreich etwa 5 0 0 .0 0 0 u nd Italien ungefähr 400. 000 Mann hat . . . . Es ist noch zu bemerken,
daß alle diese Heere svermehrungen in der Friedensz e it au s
schließlich zu dem Zwecke geschahe n , die Armee möglich st schnell auf den Kri egsfuß stellen zu könne n , d . h . im Interesse
einer möglichst schnellen Mobilmachung. In dieser Hinsicht h aben
wir noch e ine gro ße Reform durc hge führt , indem wir ein ganze s
Netz strat egischer Eisenbahnen proj ektiert und zu bauen ange
fangen haben. Auf diese Weise haben wir alles getan, um dem
Gegner bei der Mob ilmachung zuvorz uko mmen und gleich in den
erst en Tagen des Krieges möglichst schnell die Armee zu konzen
trieren. Dies wiinschen wir auc h vo n F rankreich. Eine je größere
Anzahl Soldaten es zur Friedenszeit häl t , um so sch neller wird es bereit sein . " 6 5)
Serbien: 39.400 Mann Friedensstärke
Belgien: 47 .500 Mann-Armee + 47 . 5 00 Bürgergarde
Die tatsächlichen Kriegsstärken im Sommer/Herbst 1 9 14 zeigen eine Überlegenheit der Entente gegenüber den Mittelmächten von über 2, 7 Millionen Mann, die sich im Verlauf des Krieges noch gewaltig steigerte .
S c h I u ß f o l g e r u n g e n Mit Beginn des Krieges setzte auf alliierter Seite eine
zunehmende Schuld- und Diffamierungspropaganda -
ganz abgesehen von der bewußten Kriegsgreuelpropa
ganda - gegenüber Deutschland ein , die ernsthaft darauf
angelegt wurde, den " deutschen Militarismus " sowie den
deutschen Kaiser zu bezichtigen , den Weltkrieg aggres
siver Ziele, ja der Weltherrschaft willen wohlüb erlegt und
blutrünstig entfesselt zu haben . Auf diese Weise wurde
bereits während des Krieges "die Alleinschuld Deutsch
lands " pro pagandistisch vorbereitet , die im § 2 3 1 des
Versailler Friedens-"vertrages " 1 9 1 9 sowie in d er alliier
ten Mantelnote vo m 1 6 . 6 . 1 9 1 9 ihre "völkerrechtliche
Verankerung" erfuhr und bis heute in der Politik der
Alliierten unrevidiert geblieben ist .
De mgegenüber ist fest zustellen :
Deutschland : Weder der Kaiser noch der R eichskanzler noch
andere M änner des Reichskabinettes h aben 1 9 1 4 irgend
welche aggressiven Pläne oder Ziele verfolgt , d ie Macht
ausdehnung oder Krieg hätten nach sich ziehen so llen
oder müssen . Kaiser Wilh elm II hat auf die E ntschei
dungspro zesse im Juli 1 9 1 4 mit Ausnahme der kurzen
Besprechung vo m 5 . 7 . - Offiziere waren hierzu nicht
geladen - bis zum 2 8 . 7 . info lge seiner Nordland reise
überhaupt nicht , anschließend im Sinne der M äßigung
gegenüber Österreich eingewirkt . Kriegsm inister General
v. Falkenhayn war vo m 1 0 . - 2 4 . 7 . ebenso in Urlaub wie
Generalstabschef v. Mo ltke und Adm iral v. Tirpit z .
D a ß Berli n d e n Druck auf Österreich nicht b i s zur
Di spositio nsstellung des Bünd nisse s verstärkt hat , ist
bedauerlich, aber für die eigene Existenzsicherung im machtpolitischen europäischen Um feld für notwendig
angesehen worden . 66) Ein Vorwurf kann daraus vo r
nehmlich vo n Mächten, die ihrerseits ihre Bünd nisse
gegenü ber ihren Part nern bei viel schwerwiegenderen
Größeno rdnungen nicht zur Dispo sitio n zu stellen ver-
65 ) E . D . Mo re l . a a O . , S . 2 5 1 +
Deutsches Wei ß b u c h 1 9 1 9 , S . 1 86 - 1 87
36
sucht haben , nicht hergeleitet werden.
Zu keine m Zeitpunkt haben - und dies betrifft
Zeiten, da die Ankläger aus ihren eigenen Anklagen längst hätten die Schlußfolgerungen gezogen haben sollen - die Völkerbund smächte nach 1 9 1 9 ihr Bündnisverhalten gegenüber Polen und der Tschechoslowakei bei deren Verletzung der Versailler Bestimmungen und zusätzlichen Minderheitenverträgen geänd ert . Ja, sie haben
sogar - dies betrifft vo rnehmlich Großbritannien -
erkanntermaßen Polen am 3 0 . 3 . 1 9 39 eine vorbehaltlo se
Garantie bei Ausklammerung der Frage des Aggressors
zugesprochen, von der sie wußten, daß "sie notwendiger
weise zum Niedermet zeln von Millionen Menschen
führen mußte . " 67) - So die Ankläger 25 Jahre nach
Beginn des E r s t e n Weltkrieges und in Einleitung des
Z w e i t e n .
Österreich-Ungarn : Die Politik der Doppelmonarchie im Krisenmo nat
Juli 1 9 1 4 war zweifello s verhängnisvoll und ohne Augen
maß für das Machbare , entsprach j edoch den internatio
nale n Maßstäben, wie sie bis dahin bei nahezu allen
größeren Staaten , vornehmlich Rußland und Gro ßbri
tannien bzw. allen Imperialstaaten , die ihre Kolonien
gewaltsam ero bert haben, gang und gäbe waren. Allein
Deutschland hatte seine Ko lo nien mit friedlich aus
gehandelten Verträgen erwo rben ! Jeder Blick in ein
Geschichtsbuch kündet vo n so lch gefühlsmotivierter, tra
gischer Dynamik .
Wie n hatte die Bewahrung seiner Machtbasis im Sinn .
Serbische Kräfte versuchten mit Hilfe Rußlands neue,
auf das Natio nalitätenprinzip bezogene Staatsstrukturen
auf dem Balkan unter Zugrundelegung vo n Gewaltmaß
nahmen einschließlich Königsmo rd durchzuzwingen .
Zwei Grundsatzauffassungen stießen aufeinander .
66) E i n letzte r , zu spät er d i p lo mat i scher Vorst o ß vo n Ber l i n z u r A u f k ü n d i g u ng d e s B ü nd n i sses w u rd e d u rch d ie r u ss ische Gener a l mo b i l mach u ng u n w i r k sa m
67 ) Wi nst o n C h u rch i l l , " De r Zwe ite We lt k r i eg " , 1 . B u ch , Bd . I , "Der St u r m z i e h t a u f " , H a m b u rg 1 949 - 1 95 2 , S . 42 1 - 42 3 68) Deutsches We i ßb u c h
1 9 1 9 , 5 . 65
Rußland : Die russischen Politiker konnten sich wahrlich
mit ihren Besitzverhältnissen vom Baltikum über Polen bis zum Schwarzen und Kaspischen Meer, von Wladiwostok über Sibirien , Nowaja Semlja einschließlich Finnland bis in undenkbare Zukunft als glückhaft wie niemand sonst mit
Lebensraum, Rohstoffen usw. saturiert ausgelastet fühlen. Ausgerechnet s i e traten als verhängnisvolle Akteure zur Durchsetzung weiterer imperialistischer Zielsetzung auf. Ausgerechnet s i e erzwangen, gewiß voreilig und leichtfertig,
in den Konsequenzen sicherlich nicht brutal beabsichtigt, mit ihren Mobilisierungsmaßnahmen einen europaweiten Waffengang, der sich schließlich weltweit ausbreitete und über 10 Millionen Tote forderte. Dabei war Deutschland noch nicht einmal das Ziel der russischen Expansivziele, sondern Konstantinopel , der Bosporus und die Dardanellen, ein Ziel, das im Verlaufe der Kriegsentwicklung nicht nur nicht erreicht wurde, sondern sogar auf Grund der revolutionären Umbrüche innerhalb Rußlands 1917 und 1918 ganz in Vergessenheit geriet bzw. mit Stillschweigen zu den Akten gelegt wurde.
In einem zur Versailler Friedenskonferenz am 27 . Mai 1919 eingebrachten Bericht formulierten Hans Delbrück, Max Weber, Max Graf Montgelas und Albrecht Mendelsohn Bartholdy die russische Vorkriegspolitik wie folgt:
" Es gab in Euro pa unter den Gro ßmächten jedenfalls eine , deren planmäßig viele J ahre vor dem Kriege verfolg-ten Ziele sich ausschließlich durch einen Angriffskrieg erreichen ließen und welche daher auf die sen bewußt hingearbeitet hat : den russischen Zarismus in Verbindung mit jenen se hr e influßreichen Kre ise n Rußlands, welche in dessen Politik hineingezogen waren. Die schon e inmal zitierten, z . T. noch unbekannten Dokumente , insbesondere der Brief Saso nows an den Gesandten Hartwig in Belgrad beweisen, daß die russische Regierung durch Instruktionen an ihre Vertreter in Belgrad und andere Mittel Serbien planmäßig auf den Weg der Eroberung auf Kosten des Territorialbestandes Österreich-Ungarns , auf dessen Gebiet Serbiens 'verheißenes Land ' liege , hinge -
Kön i g Edwa rd VI I . a l s "Schiedsr ichter d e r Welt". - Al ' le d ie k leinen Män ner si n d Englands " Freu nde" oder "Schützlinge". Unter ihnen auch I ta l i e n . D ie Commonwea l th- Länder wie Canada, Au stra lien, I nd ie n , Südafrika u sw. gelten ohnehi n als z ugehörig und s ind gar n i cht erst vermerk t. - Deutschland u nd ÖSterreich fehlen beze ichnende rwe ise. -So ist d iese französi sche Vork r iegsk a ri katu r a u s " L ' Assiette au beu rre" ( Sonderheft " La guerre") von Hermann Pa u l , Paris 1 90 1 , e i n Doku ment dafü r, daß man in Fra nkreich die We lt lage vor dem Krieg u ngefähr ebenso a l s E i nkreisu ng d e r Mittel mä chte auffaßte w i e i n Deu tschland.
le itet und ein gemeinsames kriegerisches Vorgehen zu diesem aggre ssiven Zwecke in Aussicht geno mmen hatte .
Wie nach Oberzeugung der Unterzeichneten vollkommen evident ist , hat sie dies nicht aus uneigennütziger Freundschaft zu Serbien getan, son dern deshalb , weil sie im eigenen Interesse die Zertrümmerung Österreich-Ungarns als politisches Ziel konse quent verfo lgte. Sie war dabei ferner und vor alle m von dem Bestreben geleitet , jedes Hemmnis für ihre eigene Ausdehnung auf dem B alkan und insbesondere für die Eroberung der Meerengen zu beseitigen. Daß sie die gewaltsame Aneignung nicht nur de s Bosporus, , so ndern auch der Dardanellen·planmäßig verfolgt und vorbereitet hat , ergeben die Dokumente der Anlage 6. Dabei war ihr genau bekannt , daß es in Deutschland weder in der Re gierung noch innerhalb der Nation irgend j emanden gab, der einen Krieg mit Rußland für wünschenswert gehalten hätte , dessen Aussichten allgemein , auch wie feststeht , vo n Seiten der
militärischen Autoritäten äußerst skeptisch beurteilt wurden, und von welchen im Falle des Erfolges niemand irgend einen greifbaren Vorteil erho ffte . Sie wußte andererseits aber auch, daß Deutschland der Donaumo narchie durch geschichtliche Bande , Bün dnis und Verwandtschaft gro ßer Teile der Österreichischen Bevölkerung verbunden war, und daß sie also bei einem Angriff auf den Bestand jener Mo narchie auch dem militärischen Widerstand Deutschlands begegnen werde. Sie hat für ihre Zwecke daher das 1 89 2 geschlossene und 1 9 1 2 durch eine Marinekonvention erweiterte Kriegsbündnis mit Frankreich und die weiter geschaffenen Verbindungen dazu benutzt , in einem ihr günstig scheinenden Mo ment den 'Mechanismus der Entente ' in Bewegung zu setzen und ihre Freunde in den längst beabsichtigten Krie g mit hineinzuziehen. An die sem Punkte liegt die wirkliche Ursache der Entstehung des Weltkrieges. " 68)
68) De u t sches W e i ß b u c h 1 9 1 9 , S . 65
3 7
Frankreich:
Langfristige Geheimdiplo matie mit entsprechend
festgelegten Bünd nisverträgen sowohl mit Rußland als
auch in etwas lockerer , dafür h erzlicherer F o rm mit
Großbritannien kennzeichnete die französische Po litik
und führte sie in Abh ängigkeit , ins Schlep ptau vo n
Rußland . Gewiß tat das Schwergewicht einer langfristig
"gleichgerichteten Ö ffentlichk eitsarb eit " ein übriges, um
die Entscheid ungsfreiheit des Quai d 'Orsay in d er
Stund e des Ernstfalles zugunsten der Optio n für Ru/3-
land zu lähmen . Ein Politiker allein k ann kaum die Kraft
hab en, gegen die Emotionen seiner unmittelb aren Um
welt , die j a durch langfristige Info rmatio nsauswah l und
persönli che B indungen geprägt ist , zu entscheiden b zw .
Entscheidungen d urch zusetzen. Dies vor allem nicht in
Frankreich mit den d amals relativ unstabilen M ehrheitsverhältnissen .
Denno ch : Will m an vo n " S ch uld " sprechen - m an "bewältigt die Vergangenheit " j a fo rtlaufend m it d ie sem Begriff gegen die Deutschen ! -, so geh ört d as S ystem der Geheimverträge hinter dem R ücken d er "demo kra
tischen Öffentlichkeit " , d as kriegerische Kettenreak
tio nen in einem nicht voraussehbaren E rnstfall in vo rb e
stim mter Absprache auslösen muß, zu d en ent
scheidend en Schuldgrundlagen b eim Ausbruch des
Ersten Weltkrieges . Und diesem System hatte sich die
französische Regierung uneingeschränkt verschrieben , d a
sie i n erster Linie an der Wahrnehmung ihre� Chance
interessiert war, Elsaß-Lo thringen zurückzuerhalten, und
offensichtlich weniger an der Erhaltung des Friedens mit
Deutschland .
Großbritannien :
F ür Gro ßbritannien gilt das gleiche . Alle fried fertigen
Bemühungen Sir Edw ard Greys, der sich im Verlauf der
Julikrise 1 9 1 4 zurückh altend , neutral , bremsend , ver
mittelnd verhalten hat , verb lassen doch letztlich ange
sichts seines Eingeständ nisses vor dem Unterhaus am
Nachmittag des 3. August : Dort verwies er d arauf, d aß
der einzige Weg , England aus dem Kriege herausz u
halten, Neutralität wäre . Dieser Weg könne j edoch nicht
eingeschlagen werden , weil Großb ritannien an F rank
reich das Versp rechen gegeben h ab e , die französische
Küste und Sch iffahrt zu schützen , im üb rigen aus der
langen Freundschaft mit Frankreich auch Ver
pflichtungen erwachsen seien, die es aus britischem
Interesse nicht zuließen ,
" wenn Frankreich geschlage n wü rd e , w e n n es besiegt auf seinen Knien läge , seine Gro ßm achtst ellung verloren hätt e und zum Kne c hte eines Mächtigeren ( Deutschland , - d . Verf. ) ge· worden wäre. " 6 9)
69) Text d e r R ed e G re y s i n : A . v. Wegerer , " D e r A u sb r u ch des We l t k r i e ges" , a a O . , B d . I I , S . 349 - 355 . - T e x t i n e n g l isch b e i : E a r l Loreb u r n , " H o w t h e War c a me " , Lo nd o n 1 9 1 9 , S . 32 3 f f .
38
Die Sir Edward Grey zugeleitete Zusicherung
Deutschlands , weder die französische Schiffahrt noch
Küste anzugreifen, wenn England neutral bliebe , wie s er
als " ein viel zu eng umschriebenes Versprechen" für
England ab , wie er überhaupt keinerlei Antwo rt auf die
deutsche Anfrage fand , unter welchen Bedingungen eine
Neutralität Gro ßbritanniens möglich sei. Zunächst bei
seitezustehen und ggfs . im Verlauf oder am Ende des Krieges einzugreifen, sei auch nicht erwägenswert ,
" da alle mat erielle Macht, d i e Gro ßbritannien a m E nde des
Krieges noch besäß e , die Einbuße an Ach tung nicht aufwiegen würde, wenn wir uns unseren Verpflichtungen gegenüber B e lgien entzogen hätt e n . "
Daß Deutschland in London angefragt hatte, unter
welchen Bedingungen überhaupt Großbritannien bereit
sei , neutral zu bleiben, teilte Grey dem Unterhaus nicht mit . Er schlo ß seine Rede ,
" indem er der Ob erzeugung A usdruck gab , das ganze Land werde erkennen, wie gro ß die England im W est e n Europas dro hende Gefahr sei, und werde der Regierung dann m it E ntschlo ssenheit , Mut u nd Ausd auer zur Seite st e he n . "
Damit war die Po litik Großbritanniens eindeutig dar
auf abgestellt wo rden, keine friedlichen Beziehungen mit
Deutschland mehr zuzulassen. Dies schließt ein , auch
kein Fehlverhalten bei der Kriegsentwicklung in Ruß
land und Frankreich zugestehen zu wo llen .
Vo n der in die ser Politik begründeten " Schuld " ist
die damali ge britische Re gierung nicht freizusprechen.
Daß England in Wirklichkeit durch Deutschland in
ke iner Weise bedro ht , noc h viel we niger gefährdet war,
daß Deutschland weder gegenüber Frankreich noch ge
genüber Belgien irgendwelche Eroberungsziele oder son
stige kriegerischen Ambitio nen hatte - auch nicht ge
genüber Rußland -, sondern sich selbst als von Rußland
und Frankreich herausgefo rdert betrachten mußte , bemerkte man in der stimmungsgeladenen Atmosphäre des Tages i m britisc hen Unterhaus o ffensic htlich nicht mehr, - oder wollte es nicht.
Der zu dieser Stunde zweifellos erregte britische Außenminister, der nach seiner Rede selbst erschro cken über sich selbst war - " ic h hasse den Krieg, ich hasse
den Krieg ! " � , diese in ihm aufwallenden Ausrufe in seinem Arbeitszimmer unmittelbar nach seiner Unter
hausrede sind ihm gewiß ehrlich abzunehmen -, hatte
wo hl erst dann so recht begriffen, daß er gerade durch
diese Rede erst den britischen Kriegseintritt unausweich
lich gemac ht hat .
Auf einer Sitzung am Vormittag des 4 . 8 . - die
deutschen Truppen waren soeben in Belgien ein
marschiert - beschloß das Kabinett , Deutschland ein auf
12 Stunden befristetes Ultimatum zu stellen, Belgiens
Neutralität zu gewährleisten . Englands Kriegserklärung
erfolgte bereits 3 Stunden später ohne eine Antwort
abzuwarten mit Übergabe der britischen Kriegserk lärung
an Deutschland durch den britischen Botschafter in
Berlin .
Note der deutschen Reichsleitung an die Feindmächte vom 29. November 19 18 über die Untersuchung der Kriegsschuldfrage:
" Für die Herbeiführu ng des Weltfriedens, f ü r die Schaffu ng dau ernder Sicherheiten gegen künftige K riege u nd f ü r die Wiederherstellu ng des Vertrauens der Völker u ntereinander erscheint es dringend geboten, die Vorgä nge, die zum K riege geführt haben, bei allen kriegführenden Staaten u nd in allen Einzelheiten au fzuk lä ren. Ein vollstä ndiges, wahrheitsgetreu es Bild der Weltlage u nd der Verhandlu ngen zwischen den Mäch ten im J u li 1 9 1 4 u nd der Schr itte, welche die einzelnen R egieru ngen in dieser Zei t unternommen haben, könnte u nd würde viel dazu beitragen, die Mau ern des Hasses u nd der Mißdeu tu ng niederzu reißen, die während des langen K rieges zwischen den Völk ern errichtet worden sind. Eine gerechte Würdigu ng der Hergänge bei Freu nd u nd Feind ist die Vorbedingu ng für die künftige Versöhnu ng der Völk er, ist die einzige mögliche Gru ndlage für einen dau ernden Frieden u nd für den Bu nd der Völker. Die deutsche R egierung schlägt daher vor, daß eine neu trale K ommission zu r Prüfu ng der Frage der Sch u ld am K riege eingesetzt werde, die au s Männern besteh en soll, d eren Charak ter und politi sche Erfahru ng ei nen gerech ten U rteilsspruch gewährleisten. D i e R egieru ngen sämtlicher kr iegführenden Mächte müßten sich bereiterk lären, einer solchen Kommission ihr gesamtes Urku ndenmaterial zu r Verfügung zu stellen. Die Kommission soll befugt sein, alle j ene Persönli chkei ten zu vernehmen, die zu r Zeit des Kriegsau sbruchs die G eschick e der einzelnen Länder bestimmt haben, sowie alle Zeugen, deren Au ssagen für die Bewei serhebu ng von Bedeu tu ng sein k önnten."
Antwort der britischen Regierung vom 7. März 19 19 :
" I ch habe die Ehre, Sie zu benachrichtigen, daß d i e R egierung Seiner Maj estät der Mei n u ng ist, daß es u nnötig sei, au f d en deutschen Vorschlag irgendeine Antwort zu geben, da nach der Meinung der verbündeten R egieru ngen d i e Verantwort lichkeit Deu tschlands für den Krieg längst unzweifelhaft f estgestellt ist."
Note der deutschen Regierung vom 30. März 19 19 an das S chweizerische Politische Department in Bern :
" l n Beantwortung des Schreibens vom 7 . März bittet die deu tsche G esa ndtschaft das schweizerische Politische Department, durch Vermittlu ng der schweizerischen Gesa ndtschaft in London der britischen R egieru ng zu r Kenntnis zu bringen, daß die deu tsche Regierung gegen die in dem Schreiben der britischen R egieru ng wiedergegebene Auffassu ng der Alliierten nachdrücklich Verwahru ng einlegt. Wenn in diesem Schreiben erk lä rt wird, der deu tsche Vorschlag au f Einsetzu ng ei ner neu tralen Kommission zu r Prüfu ng der Frage der Schu ld am Kriege bedürfe keiner Antwort, weil die Verantwortlichkeit Deu tschlands für den Krieg längst unzweifelhaft festgestellt sei, so maßen sich die Alli ierten an, Ank läger u nd R ichter zu gleich zu sein, u nd zwar in einer Sache, in der sie zu m Teil gleichfalls der Schu ld geziehen werden. Deu tsch land k ann einen Urteilssp ruch in dieser Frage nur anerkennen, wenn er von einer Stelle au sgeh t, der das gesamte Ak tenmater ial beider Parteien zu r Verfügung steht und die in der Lage ist, die nötigen Beweise d u rch U rku nden u nd Zeugen in voller Öffentlichkeit zu erheben. "
Die Mantelnote der Alliierten vom 16. Juni 19 19, die dem Ultimatum an Deutschland beigegehen wurde, falls Deutschland den Versailler Frieden nicht unterschreibe, es mit militärischer Besetzung zu rechnen habe :
" Nach Ansicht der allii erten u nd assoziierten Mächte war der K rieg, der am 1 . Augu st 1 9 1 4 zum Au sbru ch k am, das größte Ver brechen gegen die Menschheit u nd gegen die Freih eit der Völk er, das eine sich für ziv i lisiert au sgebende N ation j emals mit Bewußtsein begangen hat. Während langer J ahre haben die Regierenden in Deutschland, getreu der preuß ischen T radition, die Vorherrschaft in Eu ropa angestrebt ... Sie haben danach getrachtet, ein u nterjochtes Eu ropa beh errschen u nd tyrannisieren zu können, so wie sie ein u nterj ochtes D eu tschland beher rschten u nd tyrannisierten.
Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie mit allen ih nen zu r Verfügu ng stehenden Mitteln ihren eigenen Untertanen die L ehre eingeschärft, daß in internationalen Angelegenheiten G ewalt R echt sei ...
Sobald ihre Vorbereitu ngen vollendet waren, h aben sie einen u nterwü rfigen Verbündeten er m u ntert, Serbien ... d en K rieg zu erk lären. Um diesen allgemeinen Krieg doppelt sicher zu machen, entzogen sie sich j edem Versuch der Versöhnung u nd Beratu ng, bis es zu spä t war, und der Weltk rieg wu rde u nvermeidlich, j ener Weltk rieg, den sie au sgeheck t h atten u nd für den Deu tschland allein u nter den Nationen vollstä ndig au sgerü stet u nd vorbereitet war.
I ndessen beschränkt sich die Verantwortlichkeit D eu tschlands nicht au f die T atsache, den K rieg gewollt u nd entfesselt zu haben. Es ist ebenso verantwortlich für die grausame u nd u nmenschliche Art und Weise, auf die er geführt worden ist ....
Darum haben die alliierten u nd assoziierten Mächte nachd rück lich erk lä rt, daß Deu tschland als gru ndlegende Bedingu ng des Vertrages ein Werk der Wiedergu tmachu ng bis zu r äußersten G r enze seiner Leistu ngsfähigk eit vollbringen muß; denn Wiedergu tmachu ng des Un rechtes, das man begangen hat, i st das wahre Wesen der Gerechtigkeit.
Die alliierten u nd assoziierten Mäch te glau ben daher, daß der Friede, den sie vorgeschlagen h aben, seinem G ru ndwese n nach ein Rechtsfriede ist ... - gemäß den zur Zeit des W affenstillstandes anerk annten G rundsä tzen ... "
39
Der berüchtigte Paragraph 2 3 1 des Versailler Friedensdiktates:
" D ie al l iierten u nd assoziierten R eg ieru ngen erk lären, u nd D eutschl and erkennt an, d aß Deu tschl and u nd se ine Verbündeten als Urheber für a l le Verluste u nd Schäden verantwort lich sind, die die a l l iierten u nd assoziierten R egieru ngen u nd ihre St aats angehörigen infolge des ihnen du rch den Ang rif f Deutsch l ands u nd se iner Verbündeten au fgezw u ngenen Krieges erlitten ha ben. "
Deu tsche Note vo m 2 3 . Juni 1 9 1 9 an die Siegermächte :
Versaill es, den 23. J u ni 1 9 1 9
" Die Regieru ng der Deutschen R ep u b l ik hat au s der letzten Mitteil u ng der a l l iierten u nd assoziierten R egieru nge n mit Erschütteru ng ersehen, daß sie entschl ossen sind, v on Deutschl and au ch die An n ahme derj enigen F riedensbedingu ngen mit äußerster Gewalt zu erzwin gen, die, ohne ein e materie l le Bedeutu ng zu b esitzen, den Zweck verfolgen, de m deutschen Volke se ine Ehre zu nehmen. Durch ein en Gewaltakt wird die Ehre des deutschen Volkes nicht berührt. Sie nach außen hin zu verteidigen, fehlt dem deu tschen Volke nach den entset zlichen Leiden der letzten J ahre j edes Mittel. D er übermäch tigen G ewalt weichend, und ohne damit ihre Auff assung über die u nerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedin gu ngen auf zu geben, e rk lä rt desha l b die R egierung der Deutschen R epu b l ik, daß sie bereit ist, die von den a l l iierten u nd assoziierten R eg i eru ngen au ferlegten Friedensbedingu ngen anzu nehmen u nd zu u nterzeichnen."
Ad o lf H it l e r zog in se i n e r Rede a m 30 . J a n ua r 1 9 37
vo r d e m d e utschen Re i c hstag d i e d eutsc he U ntersch r ift u nter d i e erzwu ngene Kr iegssch u ld anerkenntn i s zurück
" . . . . Als ich vor vier J ahren mit der Kanzlerschaft u nd d amit mit der Führu ng der N ation betrau t wu rde, übernahm ich d ie bittere Pf licht, ein Volk wieder zu r Ehre zu rück zu führen, d as 1 5 J ahre l ang das Leben eine s Aussätzigen u nter den and eren N ationen zu führen gezwu ngen war. Die innere O rd n u ng schu f mir die Vorau sse tzu ng zu m Wiederau fbau des deutschen Heeres, u nd aus beiden z u g leich erwuchs die Mög lichkeit, jene Fesseln abzu streifen, die wir als tiefstes Schand mal e mpfanden, das jemals einem Volk au fgeb rannt worden war. I ch habe, am heutigen T age diesen Prozeß absch l ießend, nu r wenige Erk lärungen zu gebe n.
Erstens. Die Wiederherstel l u ng der deutschen G leichberechtigu ng war ein au sschließl ich Deutschland se l bst berührender u nd es betreffender Vorg ang. W ir haben keinem Volk dadu rch etwas genommen u nd keinem Volk d amit ein Leid zugefügt !
Zweitens. I ch verk ü nde I hnen, d aß ich im Sin ne der Wiederherste l l u ng der deutschen G leichberechtig u ng die Deu tsche Reichsbahn u nd die Deutsche R eichsb ank ihres bisherigen Charak ters entk l eiden u nd wieder restl os u nte r die Hohe it der Regierung des Deutschen Reiches stel len werde.
Drittens. I ch erk läre hiermit, daß da mit j ener T eil des Versail ler Vertrags seine natü rl iche Erledig u ng gef u nde n hat, der unserem Vol k die Gl eichberechtigu ng n ahm u nd es zu einem minderwertigen Volke deg radierte.
Und viertens. I ch ziehe damit vor al lem aber die deutsche Unterschrift feierliehst zu rück von je ne r d amals einer schwachen Regieru ng wider deren besseres Wissen abgepreßten Erk lä ru ng, d aß Deu tschl and die Schuld am Kriege besitze.
Meine Abgeordneten, Män ner des Deutschen R eichstages ! D iese Wiederherstel l u ng der Ehre u nseres Volk es, die ihren äu ßerl ich sichtbarsten Au sdruck fand in der Einführu ng der Wehrpf l icht, der Schaffung einer neuen L u ftwaffe, de m Wiederauf bau einer deutschen K rieg smari ne, der Wiederbesetzu ng des Rhein l andes durch u nsere T ru ppen, war die schwerste und wa gemu tigste Au fgabe u nd Arbeit meines Lebens. I ch mu ß an diesem T age de mutsvol l der Vorsehung danken, deren G nad e es mir, dem einstigen unbek annten Sold aten des Weltk rieges, ge lingen ließ, u nserem Vol ke damit wieder seine Ehre u nd Rechtschaffenheit z u rü ckzuerk ämpfen.
Al le die hierzu n otwendigen M aßn ahmen waren leider n icht au f dem Wege von Verhand l u nge n zu erreichen. Aber abgesehen davon, die Ehre eines Vol kes k ann überhau pt nicht ausgeh andelt, sie k ann n u r genommen werde n, so wenig man sie ihm au ch nicht weghandeln, so ndern auch n u r einst nehmen k onnte . .. . "