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Gutachtliche Stellungnahme
zur Bildung, Anerkennung und Aberkennung von
Fraktionen nach § 56 GO NRW
RA Horst Wüstenbecker
ALPMANN FRÖHLICH Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Münster
Seite 2 von 30 A. Ausgangslage
I. Tatsächliche Grundlage
Aufgrund der Abschaffung der Sperrklausel für die Kommunalwahlen in NRW im Jahre 19991 sind
in den kommunalen Vertretungen verstärkt sog. Splittergruppierungen und Einzelmandatsträger
von Parteien und Wählervereinigungen vertreten, die allein die gesetzliche Mindestfraktionsstärke
(oder Mindestgruppenstärke) nicht erreichen. Dies hat dazu geführt, dass vermehrt Mitglieder
kommunaler Vertretungen versuchen, eine gemeinsame Fraktion (oder Gruppe) zu bilden, obwohl
sie auf Grundlage von Wahlvorschlägen unterschiedlicher Parteien oder Wählergruppen in die
Vertretung gewählt worden sind. Die Vertretungen der Gemeinden und Kreise bzw. deren Haupt-
verwaltungsbeamte stehen diesem Wunsch häufig distanziert gegenüber und haben versucht,
diesen Zusammenschlüssen die „Anerkennung“ zu versagen (z.B. bei der Zusammensetzung der
Ausschüsse gem. §§ 50 Abs. 3, 58 GO NRW, §§ 35 Abs. 3, 41 KrO NRW) und diese von den gesetz-
lichen Ansprüchen der Fraktionen bzw. Gruppen (z.B. nach § 56 Abs. 3, § 40 Abs. 3 KrO NRW) aus-
zuschließen. Infolge dessen ist es insbesondere in NRW in jüngster Zeit vermehrt zu gerichtlichen
Verfahren mit unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.2 Das nachfolgende Gutachten unter-
sucht die Frage, welche rechtlichen Rahmenbedingungen beim Zusammenschluss zu sog. Frak-
tionsgemeinschaften zu berücksichtigen sind und welche rechtlichen Möglichkeiten zur Durch-
setzung der Fraktionsrechte bestehen.
II. Gutachtenauftrag
Der PIKO NRW e.V. (Piraten in der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen e.V.) hat den Unter-
zeichner gebeten, eine gutachtliche Stellungnahme zur Bildung, Anerkennung und Aberkennung
von Fraktionsgemeinschaften zu erstellen. Dabei sollen insbesondere die rechtlichen Vorausset-
zungen des § 56 Abs. 1 GO NRW bzw. § 40 Abs. 1 KrO NRW dargestellt und die Aussagen der Recht-
sprechung und Literatur ausgewertet und gebündelt werden.
1 Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 14.07.1999 (GVBl. NRW S. 412). 2 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. v. 24.06.2014 – 15 B 725/14; OVG NRW
Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2014 – 1 L 1555/14; VG Minden, Beschl. v. 26.02.2013 – 2 L 27/13; VG Minden, Beschl. v. 17.06.2014 – 2 L 457/14; VG Minden, Beschl. v. 25.08.2014 – 2 L 585/14; zur früheren Rspr. vgl. insbes. OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 – 15 B 788/08, NWVBl. 2009, 28; OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NVwZ-RR 2005, 497; VG Köln, Beschl. v. 14.12.2004 – 4 L 3236/04.
Seite 3 von 30 B. Gutachtliche Stellungnahme
I. Rechtsgrundlagen
Die Bildung von Fraktionen in den kommunalen Vertretungen ist in fast allen Ländern (außer den
Stadtstaaten)3 gesetzlich geregelt4, mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern, wo aller-
dings auch ohne gesetzliche Normierung die Bildung von Fraktionen allgemein für zulässig erach-
tet wird.5 Überwiegend beschränken sich die gesetzlichen Vorschriften auf Regelungen zur Min-
deststärke und zur Finanzierung der Fraktion. Eine gesetzliche Definition der Fraktion findet sich –
neben § 56 Abs. 1 GO NRW und § 40 Abs. 1 S. 1 KrO NRW – nur im Saarland in §§ 30 Abs. 5, 157
Abs. 4 KSVG6 und in Sachsen-Anhalt in § 44 KVG LSA. 7
In NRW finden sich die grundlegenden Regelungen zur Fraktionsbildung in den kommunalen
Vertretungskörperschaften in § 56 GO NRW, § 40 KrO NRW und § 16 a LVerbO NRW. Aus Verein-
fachungsgründen wird im Folgenden vorrangig auf die Rechtslage in den Gemeinden abgestellt,
auf Abweichungen bei den anderen kommunalen Körperschaften wird – soweit erforderlich –
hingewiesen.
Ursprünglich enthielt die GO NW (jetzt GO NRW) keine Regelung über die Bildung von Fraktionen.
Die mit der Fraktionsbildung zusammenhängenden Fragen wurden – wenn überhaupt – in der
Geschäftsordnung des Rates (bzw. Kreistages) geregelt.8 Eine gesetzliche Grundlage für die Bildung
von Fraktionen, vor allem deren Zulässigkeit und Mindeststärke wurde erstmals durch das Ände-
rungsgesetz vom 29.10.1974 in § 30 Abs. 7 GO NW a.F. (bzw. § 22 Abs. 7 KrO NW a.F. geschaffen),9
nähere Einzelheiten aber weiterhin der Geschäftsordnung überantwortet.
3 Dort allerdings teilweise für die Bezirksverfassung, z.B. § 10 BezVG Hbg. 4 Vgl. z.B. §§ 32, 131 BbgKVerf, § 36 a HGO, § 26 a HKO, §§ 23 Abs. 5, 105 Abs. 4 KV M-V, § 57 NdsKomVG,
§ 30 a GemO RP, § 23 a LKO RP, §§ 30 Abs. 5, 157 Abs. 4 KSVG, § 35a SächsGO, § 31 a SächsLKrO, § 44 KVG LSA, § 32 a GO SH, § 27 a KrO SH, §§ 25, 104 ThürKO.
5 Vgl. Kunze/Bronner/Katz, GO BW (4. Aufl. 2013), § 24 Rn. 13; Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO (26. Aufl. 2014), Art. 33 Rn. 4.
6 Kommunalselbstverwaltungsgesetz (KSVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 27.06.1997 (ABl., S. 682), zu-letzt geändert durch Gesetz vom 14.05.2014 (ABl. S. 172).
7 Kommunalverfassungsgesetz (KVG LSA) v. 17.06.2014 (GVBl. LSA, S. 288). 8 Vgl. Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO § 56 Anm. I 1. 9 Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer kommunalverfassungsrecht-
licher Vorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29.10.1974 (GVBl. NW 1974, 1050).
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„(7) Ratsmitglieder können sich zu einer Fraktion zusammenschließen. Eine Fraktion muß aus mindestens zwei Ratsmitgliedern bestehen. Nähere Einzelheiten über die Bildung der Fraktionen, ihre Rechte und Pflichten regelt die Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung bestimmt auch, ob Fraktionen Ratsmitglieder, die keiner Fraktion angehören, als Hospitan-ten aufnehmen können. Bei der Feststellung der Mindeststärke einer Fraktion zählen Hospi-tanten nicht mit.“
Mit dem Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung vom 17.05.199410 wurde eine Differenzie-
rung der Fraktionsmindeststärken in Abhängigkeit von der Gesamtsitzzahl der Vertretung einge-
führt (ursprünglich in § 30 c Abs. 1 GO NW, nach der Neubekanntmachung vom 14.07. 199411 in
§ 56 Abs. 1 GO NRW).
„(1) Fraktionen sind freiwillige Vereinigungen von Mitgliedern des Rates und einer Bezirks-vertretung. Eine Fraktion muß aus mindestens zwei Personen bestehen, in einem Rat mit mehr als 57 Mitgliedern aus mindestens drei und in einem Rat mit mehr als 81 Mitgliedern aus mindestens vier Personen.
Diese Differenzierung wurde mit dem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung (GO-
Reformgesetz) vom 09.10.200712 dahingehend geändert, dass nunmehr für die Mindeststärke an
den Status als kreisfreie oder kreisangehörige Stadt angeknüpft wird. Außerdem wurde in § 56
Abs. 1 S. 1 GO NRW eine Legaldefinition des Begriffs der Fraktion eingeführt sowie gesetzliche An-
sprüche einer Gruppe bzw. eines einzelnen Ratsmitgliedes. das keiner Fraktion oder Gruppe im Rat
angehört (§ 56 Abs. 3 GO NRW). Die folgende Betrachtung beschränkt sich auf die Legaldefinition
in § 56 Abs. 1 GO NRW: 13
„(1) Fraktionen sind freiwillige Vereinigungen von Ratsmitgliedern oder von Mitgliedern einer Bezirksvertretung, die sich auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Überein-stimmung zu möglichst gleichgerichtetem Wirken zusammengeschlossen haben. Im Rat einer kreisangehörigen Gemeinde muss eine Fraktion aus mindestens zwei Mitgliedern, im Rat einer kreisfreien Stadt aus mindestens drei Mitgliedern, in einer Bezirksvertretung aus
10 Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung vom 17.05.1994 (GVBl. NRW 1994, 270). 11 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) in der Fassung der Bekanntmachung
vom 14.07.1994 (GVBl. NRW 1994, 666). 12 Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung (GO-Reformgesetz) vom 09.10.2007 (GVBl. NRW
S. 380). 13 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) i.d.F. der Bekanntmachung vom 14.07.
1994 (GVBl. NRW, S. 666), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.12.2013 (GVBl. NRW S. 878).
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mindestens zwei Mitgliedern bestehen. Satz 1 gilt für Gruppen ohne Fraktionsstatus im Rat oder einer Bezirksvertretung entsprechend. Eine Gruppe im Rat oder in einer Bezirksvertre-tung besteht aus mindestens zwei Mitgliedern.“
Eine entsprechende Regelung enthält § 40 Abs. 1 KrO NRW für den Kreistag, wobei allerdings die
Mindestgröße davon abhängig ist, ob der Kreistag über mehr als 59 Kreistagsmitglieder verfügt.
Nach § 16 a Abs. 1 LVerbO NRW muss eine Fraktion in der Landschaftsversammlung aus mindes-
tens vier Personen bestehen. Anders als bei den Fraktionen im Rat und im Kreistag verlangt das
Gesetz hier nicht ausdrücklich eine grundsätzliche politische Übereinstimmung zu möglichst
gleichgerichtetem Wirken. Allerdings ist auch hier anerkannt, dass ein Grundkonsens im Sinne ei-
ner in wesentlicher Hinsicht übereinstimmenden politischen Überzeugung als konstitutives Ele-
ment der Fraktionsbildung erforderlich ist.14 Für die Fraktionen in der Verbandsversammlung des
Regionalverbandes Ruhr (RVR) gelten die gleichen Anforderungen wie bei Fraktionen in den Ge-
meinden (§ 11 Abs. 6 S. 1 RVRG i.V.m. § 56 Abs. 1 GO NRW). Eine Fraktion besteht dort aus mindes-
tens zwei stimmberechtigten Mitgliedern der Verbandsversammlung (§ 11 Abs. 6 S. 2 RVRG)
II. Bildung von Fraktionen
1. Fraktionsvertrag
Die Bildung von Fraktionen erfolgt nach allgemeinem Verständnis durch einen Fraktionsvertrag.15
Dies gilt auch, soweit die Geschäftsordnung des Rates eine Erklärung (Anzeige o.Ä.) gegenüber
dem Ratsvorsitzenden vorsieht. Diese stellt nur die zum Wirksamwerden des Fraktionsvertrages
erforderliche Kundgabe seines Abschlusses nach außen dar.16 Nach herrschendem Verständnis
handelt es sich hierbei um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG, denn die Frak-
tionen sind als Organteile der Vertretungskörperschaft zu qualifizieren, sodass der Fraktionsbil-
dung ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zugrunde liegt. 17
14 Bätge, Recht der kommunalen Fraktionen (SGK-Schriftenreihe Bd. 33), S. 10. 15 Lange, Kommunalrecht, Kap. 6 Rn. 28. 16 Lange, Kommunalrecht, Kap. 6 Fn. 28; abweichend Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56 Anm. 5: Anzeige-
pflicht dient nicht nur dazu, den Status der Fraktion nach außen hin zu manifestieren. 17 In diesem Sinne OVG NRW, Beschl. v. 21.11.1988 – 15 B 2380/88, NJW 1989, 1105, 1105 f.; OVG NRW,
Beschl. v. 20.07.1992 – 15 B 1643/92; NVwZ 1993, 399, 399; OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.03.1993 – 10 M 338/93, NVwZ 1994, 506, 506; ebenso Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO, § 56 Anm. I 2; Suerbaum, in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. 1, § 22 Rn. 8; Lange, Kommunalrecht, Kap. 6 Rn. 25 m.w.N.
Seite 6 von 30 Die Gegenansicht des BayVGH,18 der ebenso wie einige Zivilgerichte19 Fraktionen als nichtrechtsfä-
hige Vereine des bürgerlichen Rechts qualifiziert,20 beruht im Wesentlichen darauf, dass die Innen-
rechtsbeziehungen der Fraktion im Bayerischen Kommunalrecht nicht geregelt sind, und ist daher
auf das Landesrecht NRW nicht übertragbar. Im Übrigen spricht dagegen, dass sich die Betroffenen
gerade in ihrer öffentlich-rechtlichen Funktion als Mandatsträger zu einer Fraktion zusammen-
schließen. Die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der Vertretungskörperschaft ist aber unzweifelhaft
öffentlich-rechtlicher Natur.21
Auch wenn die Fraktionsbildung danach auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
erfolgt, unterliegt dieser mangels Außenwirkung nicht der Schriftform nach § 57 VwVfG.22 Daher ist
auch ein mündlicher oder konkludenter Vertragsschluss ausreichend, z.B. durch übereinstimmende
Willenserklärungen während der konstituierenden Sitzung einer Fraktion.23
2. Fraktionsstatut
Nach § 56 Abs. 2 S. 3 GO NRW sind die Fraktionen verpflichtet, sich ein Statut zu geben, in dem das
Abstimmungsverfahren, die Aufnahme und der Ausschluss aus der Fraktion geregelt werden. Die
Statutgebung ist jedoch kein konstitutives Merkmal für das Entstehen der Fraktion, da das Unter-
lassen gesetzlich nicht sanktioniert ist. Daher führen auch „Fehler“ des Statuts weder zur Ein-
schränkung der Finanzierung noch zum Verlust der Fraktionsrechte überhaupt.24 Insbesondere ist
eine „Aberkennung des Fraktionsstatus“ wegen der Legaldefinition des § 56 Abs. 1 GO NRW nicht
vorgesehen und auch rechtlich nicht möglich.25
18 BayVGH, Urt. v. 09.03.1988 – 4 B 8603226, NJW 1988, 2754, 2756; BayVGH, Urt. v. 15.07.1992 – 4 B 91. 3106,
NVwZ-RR 1993, 503; ebenso VG Münster, Urt. v. 12.04.1977 – 2 K 1640/76, in: Rehn/v.Mutius, Rspr. Nr. 7 zu § 30 II GO NW.
19 OLG München, Urt. v. 22.06.1988 - 21 U 2954/88, NJW 1989, 910, 911; OLG Schleswig, Urt. v. 03.05.1995 – 15 U 16/94, NVwZ-RR 1996, 103, 104; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.07.2003 – 4 W 32/03, NJW-RR 2004, 619, 620; offen gelassen von SächsOVG, Beschl. v. 02.06.2009 – 4 B 287/09, KommJur 2010, 101.
20 Zustimmend Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Art. 33 Rn. 8; nur referierend Held/Winkel/Wansleben, KVerf, KrO § 40 Erl. 1.
21 Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO, § 56 Anm. I 2; Rothe, Die Fraktion in den kommunalen Vertre-tungskörperschaften, S. 6 f.; Suerbaum in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. 1, § 22 Rn. 8.
22 Lange, Kommunalrecht, Kap. 6 Rn. 28 unter Hinweis auf Kopp/Ramsauer, VwVfG (15. Aufl. 2014), § 54 Rn. 40 f.
23 Lange, Kommunalrecht, Kap. 6 Rn. 28; Schumacher, Bbg KomVerf, § 32 Erl. 4.6. 24 Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1. 25 Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1.
Seite 7 von 30 3. Wirksamkeitsvoraussetzungen
Rechtliche Wirksamkeit entfaltet der Zusammenschluss von mehreren Ratsmitgliedern nur, wenn
er die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW (bzw. § 40 Abs. 1 S. 1 KrO NRW für Mitglieder
des Kreistags) erfüllt. Es muss sich um
• einen freiwilligen Zusammenschluss
• auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung
• zu möglichst gleichgerichtetem Wirken
handeln. Voraussetzung ist also – neben der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses – ein objektives
Element (die Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung) und ein subjektives Element
(der Zweck zu möglichst gleichgerichtetem Wirken).
III. Bedeutung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 GO NRW
Die jetzige Fassung des § 56 Abs. 1 GO NRW geht auf den Gesetzentwurf der Landesregierung NRW
vom 14.03.2007 (LT-Drs. 14/3979) zurück, mit dem u.a. der Begriff der Fraktion definiert wurde. Die
Begründung lautet:
„Das Gesetz enthält bisher keine Definition, was eine Fraktion inhaltlich ausmacht. Für die Zukunft ist es schon deshalb erforderlich, eine Legaldefinition zu geben, weil die Gruppe ohne Fraktionsstatus in § 56 GO einen gesetzlichen Anspruch auf finanzielle Zuwendungen erhalten soll (Absatz 3). ... Um zu vermeiden, dass sich Ratsmitglieder oder Mitglieder einer Bezirksvertretung lediglich aus finanziellen Erwägungen zusammen schließen können, ist es erforderlich, auch die Gruppe ohne Fraktionsstatus im Rat oder einer Bezirksvertretung inhaltlich zu definieren. Denn andernfalls könnte einem solchen Missbrauch nur schwer begegnet werden (...). Fraktion wie Gruppe definieren sich inhaltlich über die grundsätzli-che politische Übereinstimmung ihrer Mitglieder.“26
Dies entsprach der Rechtsprechung des OVG NRW zum Fraktions- und Gruppenstatus, die das Ge-
richt bereits seit 2005 entwickelt hatte. Schon vor der Einführung des § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW bzw.
des § 40 Abs.1 S.1 KrO NRW verlangte das Gericht, dass sich die Mitglieder der Gruppe oder Frak-
tion auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung zu möglichst gleichgerichte-
26 LT-Ds. 14/3979, S. 142.
Seite 8 von 30 tem Wirken zusammengeschlossen haben müssen.27 Diese Anforderungen dienten vor allem der
Abgrenzung gegenüber solchen Zusammenschlüssen, die sich nur zusammengefunden haben, um
die finanziellen und rechtlichen Vorteile der Fraktionsstellung auszunutzen.28 Erforderlich ist daher
seit jeher anerkanntermaßen ein Grundkonsens, also eine in wesentlicher Hinsicht übereinstim-
mende politische Überzeugung.29
Die Anforderungen hierfür sind für Fraktionen und Gruppen – von der Anzahl der erforderlichen
Mitglieder abgesehen – identisch.30 Denn § 56 Abs. 1 S. 3 GO NRW nimmt für Gruppen auf die Le-
galdefinition in § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW Bezug. Ebenso sind die sachlichen Anforderungen für Frak-
tionen und Gruppen in Gemeinderäten nach § 56 Abs. 1 GO NRW identisch mit den Anforderungen
für Fraktionen und Gruppen in Kreistagen nach § 40 Abs. 1 KrO NRW.31 Daher gelten die nachfol-
genden Ausführungen bzgl. Fraktionen in Gemeinderäten auch für Gruppen in Gemeinderäten
sowie Fraktionen und Gruppen in Kreistagen, soweit nicht ausdrücklich auf Abweichungen verwie-
sen wird.
1. Keine Anerkennung erforderlich
Aus der Legaldefinition des § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW ergibt sich, dass für die Eigenschaft als Fraktion
kein konstitutiver anerkennender Akt der Vertretung bzw. der kommunalen Körperschaft erforder-
lich ist.32 Zwar ist die Gemeinde bzw. der Kreis durch das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwal-
tung (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet, nur tatsächlichen Fraktionen die gesetzlich vorgesehenen
Rechte und Vergünstigungen zu gewähren. In diesem Zusammenhang hat die Körperschaft bzw.
der Hauptverwaltungsbeamte den Fraktionsstatus zu überprüfen.33 Eine förmliche Anerkennung
ist aber aufgrund der Legaldefinition des § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW weder vorgesehen noch mög-
27 OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NVwZ-RR 2005, 497, 498.
28 OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NVwZ-RR 2005, 497, 498; ebenso OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 – 15 B 788/08, NWVBl. 2009, 28 (zum Gruppenstatus); Suerbaum in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. 1, § 22 Rn. 5; Kleerbaum/ Palmen, GO NRW, § 56 Anm. II 1 b.
29 Vgl. vor der Entwicklung in der Rspr. auch bereits Bick, Die Ratsfraktion, C IV 2 a), S. 83 f. 30 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 – 15 B 788/08, NWVBl. 2009, 28; ebenso Rehn/Cronauge/v.
Lennep/Knirsch, GO § 56 Anm. II 1. 31 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447 (Gemeinderat); OVG NRW Beschl.
vom 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NVwZ-RR 2005, 497 (Kreistag). 32 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 33 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; näher unten S. 24.
Seite 9 von 30 lich.34 Als organisationsinterne Maßnahme ist mangels Außenwirkung auch ein feststellender Ver-
waltungsakt gemäß § 35 S. 1 VwVfG NRW ausgeschlossen. Wird der Fraktionsstatus zu Unrecht in
Frage gestellt oder negiert, bleibt nur die Möglichkeit eines Organstreitverfahrens (sog. Kommu-
nalverfassungsstreitverfahren).35
2. Grundsätzliche politische Übereinstimmung
Nach § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW muss der Zusammenschluss auf der Grundlage grundsätzlich politi-
scher Übereinstimmung erfolgen. Dieses Merkmal wurde vom OVG NRW bereits vor der Gesetzes-
änderung entwickelt36 und vom BVerfG in Bezug auf die Gleichheitsrechte der Ratsmitglieder gebil-
ligt.37 Insoweit entspricht der Begriff der Fraktion im Kommunalverfassungsrecht dem des Parla-
mentsrechts, der seit jeher eine politische Homogenität voraussetzt.38 Auch wenn es sich bei den
kommunalen Vertretungen nicht um Parlamente i.S.d. Gewaltenteilungslehre, sondern um Verwal-
tungsorgane handelt,39 spricht nichts gegen eine dem Parlamentsrecht entlehnte Begriffsbildung
auch im Kommunalverfassungsrecht, da sich die Bündelungs-, Koordinierungs- und Organisations-
funktionen von Fraktionen in Parlamenten und kommunalen Vertretungskörperschaften gleichen.40
Die inhaltliche Komponente war aus Sicht des Gesetzgebers erforderlich, um zu vermeiden, dass
sich Mitglieder der Vertretung lediglich aus finanziellen Erwägungen zu einer Fraktion zusammen-
schließen.41 Dass ein politischer Grundkonsens zu den Wesensmerkmalen einer Fraktion gehört,
wird schließlich dadurch bestätigt, dass eine Abweichung in zentralen Fragen, auf die sich der poli-
tische Konsens bezieht, zu den Gründen gehört, die einen Fraktionsausschluss rechtfertigen. 42
34 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 35 Dazu unten S. 25. 36 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213. 37 BVerfG, Beschl. v. 16.03.2005 – 2 BvR 315/05, NVwZ-RR 2005, 494; ebenso schon BVerwG, Urt. v. 27.03.
1992 – BVerwG z C 20.91, NVwZ 1993, 375, 376. 38 Vgl. z.B. Ipsen, Erwerb und Verlust des Fraktionsstatus im Deutschen Bundestag, NVwZ 2006, 176, 177;
Görlitz, Voraussetzungen und Grenzen des Rechts auf Fraktionsbildung im Deutschen Bundestag, DÖV 2009, 261, 263.
39 BVerfG, Beschl. v. 21.06.1988 – 2 BvR 975/83, BVerfGE 78, 344, 348. 40 BVerfG, Beschl. v. 16.03.2005 – 2 BvR 315/05, NVwZ-RR 2005, 494; ebenso Suerbaum, in: HKWP, Bd. 1, § 22
Rn. 5; Meyer, Recht der Ratsfraktionen, Anm. 3.3, S. 54. 41 Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56 Anm. I. 42 Vgl. hierzu z.B. HessVGH, Beschl. v. 05.01.1998 – 8 TG 3361/97, NVwZ 1999, 1369, 1370; OVG Saarland,
Beschl. v. 20.04.2012 – 2 B 105/12 mit Anm. Wüstenbecker RÜ 2012, 396, 397.
Seite 10 von 30 a) Gesamtbetrachtung
Ob die grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht, muss im Rahmen einer Gesamtbe-
trachtung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden, in die verschiedene typische Indizien
eingestellt werden können. Die materielle Beweislast für die grundsätzliche politische Überein-
stimmung liegt bei der (angeblichen) Fraktion.43 Zwar wurde früher teilweise die Auffassung vertre-
ten, die übereinstimmende Grundanschauung werde durch den Zusammenschluss per se indiziert
und sei nur bei deutlichen Hinweisen in Missbrauchsfällen zu überprüfen.44 Insbesondere vor dem
Hintergrund des freien Mandats dürften die Anforderungen an die politische Übereinstimmung
nicht zu hoch angesetzt werden. Selbst Homogenisierungsversuche lägen im Interesse der Ge-
meindevertretung, da hierdurch zum einen die Bündelung von Einzelmeinungen solcher Ratsmit-
glieder ermöglicht werde, die ohne Fraktionszusammenschluss im politischen Meinungsbild kaum
zur Geltung kämen.45 Zudem trage jeder Fraktionszusammenschluss zu einer weiteren Konzentra-
tion der Entscheidungsfindung bei. Diese Auffassung dürfte angesichts der nunmehr geänderten
Gesetzeslage und der Entwicklung der Rechtsprechung überholt sein. Es muss daher objektiv
nachgewiesen sein, dass eine grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht. 46
aa) Unterschiedliche Anforderungen
Dabei nimmt die Rechtsprechung im Wesentlichen eine Unterteilung in drei Fallgruppen vor, die
Konsequenzen für die Anforderungen an die Zahl und Eindeutigkeit der Indizien hat. Denn anders
als nach § 10 Abs. 1 S. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GeschO BT) können
sich zu Fraktionen kommunaler Vertretungskörperschaften nicht nur Mandatsträger zusammen-
schließen, die derselben Partei angehören (oder solchen Parteien, die aufgrund gleichgerichteter
politischer Ziele nicht miteinander im Wettbewerb stehen), sondern auch Mitglieder verschiedener
Parteien oder auch parteilose Mandatsträger, die sich zur Erreichung bestimmter kommunalpoliti-
43 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13,
NWVBl. 2013, 447; OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213; Meyer, Recht der Ratsfraktionen, Anm. 3.3, S. 53 f.
44 Bick, Die Ratsfraktion, C VI 2 a), S. 83. 45 Bick, Die Ratsfraktion, C VI 2 a), S. 83; dafür, dass die Bildung von Fraktionen primär dem Interesse der
Gemeinde an einer effektiven und effizienten Aufgabenwahrnehmung der Gemeindevertretung diene, vgl. auch Lange, Kommunalrecht, Kap.6 Rn. 221.
46 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447; OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213.
Seite 11 von 30 scher Ziele zusammenschließen.47 Dass sich Mitglieder verschiedener Parteien zu Fraktionen zu-
sammenschließen können, ist Ausfluss des freien Mandats der Ratsmitglieder (§ 43 Abs. 1 GO
NRW). 48 Sie sind in ihrer Tätigkeit ausschließlich dem Gesetz und ihrer freien, nur durch die Rück-
sicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung verpflichtet und an Aufträge auch des
Wählers nicht gebunden. Im Übrigen spricht für einen parteiübergreifenden Zusammenschluss der
Umstand, dass im Rat der Gemeinde örtliche Angelegenheiten zu entscheiden sind und daher loka-
le Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, welche die Bedeutung der Parteien und Wählergruppen
relativieren.49
Deshalb ist es unzulässig, in der Hauptsatzung oder in der Geschäftsordnung des Rates vorzu-
schreiben, dass sich nur Ratsmitglieder derselben Partei oder Wählergruppe zu einer Fraktion zu-
sammenschließen dürfen.50 Vielmehr kann sich jedes Ratsmitglied jederzeit mit anderen Ratsmit-
gliedern zu einer Fraktion zusammenschließen, auch wenn sie nicht derselben Partei oder Wähler-
gruppe angehören. Die Bildung einer Fraktion ist daher auch für solche Gruppierungen möglich,
die sich erst nach der Wahl zusammengefunden haben.51 Entscheidend für die von § 56 Abs. 1 S. 1
GO NRW geforderte Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung ist allerdings die
konkrete Zusammensetzung der Fraktion.
(1) Politisch extrem heterogene Zusammensetzung
Bei politisch extrem heterogener Zusammensetzung der Fraktion besteht ein besonderer Anlass
festzustellen, ob die erforderliche grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht, oder ob
lediglich ein formaler Zusammenschluss zur Erlangung finanzieller Vorteile oder einer stärkeren
Rechtsposition für die Verfolgung der uneinheitlichen politischen Ziele der einzelnen Mitglieder
47 Ebenso Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO § 56 Anm. II 1; Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl.
1; ebenso KrO § 40 Erl. 2; Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56 Anm. II 2. 48 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213; OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 –
15 B 1139/14; Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1; ebenso BVerfG, Urt. v. 16.07.1991 – 2 BvE 1/91, BVerfGE 84, 304 zum freien Mandat von Abgeordneten des Bundestages nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG.
49 In diesem Sinne Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 36 a Erl. 3; Lange, Kommunalrecht, Kap. 6 Rn. 32.
50 Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1, Bick, Die Ratsfraktion, C IV 2 g), S. 90.
51 VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14; Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1.
Seite 12 von 30 vorliegt.52 Als politisch heterogen wurden beispielsweise Parteien vom linken und rechten Rand
des Parteienspektrums eingeordnet.53 Zwar kommt es angesichts des freien Mandats nicht zwin-
gend auf die politischen Überzeugungen der Parteien oder Gruppierungen an, denen die Ratsmit-
glieder angehören. Diese können aber jedenfalls dann zugrunde gelegt werden, wenn sich die
gewählten Mitglieder nach der Wahl nicht erkennbar von „ihrem“ Wahlvorschlagsträger distanziert
und einer abweichenden politischen Richtung zugewandt haben. 54
(2) Verschiedene Parteien des gleichen Spektrums
Bei Mitgliedern aus verschiedenen Parteien, die politisch dem gleichen Spektrum entstammen,
besteht ebenfalls Anlass festzustellen, ob die erforderliche grundsätzliche politische Übereinstim-
mung besteht oder ob der Zusammenschluss aus finanziellen Aspekten erfolgt. Die Anforderungen
an die Indizien sind aber insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Verlust individueller
politischer Gestaltungsoptionen, d.h. von Teilen der Autonomie des Einzelmitglieds hier weniger
stark auswirkt, weniger streng als bei extrem heterogener Zusammensetzung.55 Die grundsätzliche
politische Übereinstimmung wurde z.B. bejaht bei zwei Parteien aus dem rechten Spektrum56 und
einem Zusammenschluss von Mandatsträgern des bürgerlichen Spektrums, die sich unter Berück-
sichtigung ihrer Wahlprogramme in vielen Fragen übereinstimmend als sozial-liberal präsentier-
ten.57
(3) Fraktionen der Parteien
Bei Fraktionen, die sich aus Mitgliedern der gleichen Partei zusammensetzen, ergibt sich die politi-
sche Übereinstimmung bereits aus dem Parteizusammenschluss bzw. dem mitgliedschaftlich or-
ganisierten Zusammenschluss der Wahlberechtigten zum Zweck gemeinsamer Wahlvorschläge
52 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/14; VG
Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14; Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56 Anm. II 1 b, Meyer, Recht der Ratsfraktionen, Anm. 3.3, S. 53.
53 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213; VG Köln, Beschl. v. 14.12.2004 – 4 L 3236/04 (kein politischer Grundkonsens zwischen Mandatsträgern der PDS und der NPD).
54 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14.
55 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v.29.10.2014, – 1 K 4415/14 56 VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 57 OVG NRW, Beschl. vom 12.12.2014 – 15 B 1139/14.
Seite 13 von 30 gem. § 15 Abs. 1 S. 2 KWahlG.58 Weiterer Indizien bedarf es in diesem Fall regelmäßig nicht. Beson-
derheiten gelten hier nur, wenn die gemeinsame Parteizugehörigkeit erst nach der Wahl durch
Parteiübertritt begründet worden ist.59 Auch hier kann Anlass bestehen, die erst kurze Zeit beste-
hende grundsätzliche politische Übereinstimmung zu hinterfragen. Allerdings besteht auch hier
keine Verpflichtung, bei der Fraktionsbildung alle Ratsmitglieder zu berücksichtigen, die derselben
Partei angehören. Aus der Parteizugehörigkeit ergibt sich kein Recht auf Fraktionsmitgliedschaft. 60
Ebenso wenig kann eine Partei von ihren in die Vertretungskörperschaft gewählten Mitgliedern
einen Beitritt zu einer bestimmten Fraktion verlangen.61 Auch dies ist Ausdruck des freien Mandats
und der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses zu einer Fraktion.
bb) Indizien
Die Frage, ob eine grundsätzliche politische Übereinstimmung vorhanden ist, beurteilt sich nach
dem Statut des Zusammenschlusses und ggf. seiner tatsächlichen Anwendung sowie den Bekun-
dungen der Mitglieder des Zusammenschlusses über die grundsätzliche politische Übereinstim-
mung, soweit sich diese Erklärungen als glaubhaft erweisen.62 Zusammenfassend muss sich aus
den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls der zuverlässige Schluss ergeben, dass der Zu-
sammenschluss nachhaltig auf das gleichgerichtete Zusammenwirken ausgerichtet ist. 63
Auf die politischen Überzeugungen der Parteien, denen die einzelnen Mitglieder angehören,
kommt es aufgrund des Grundsatzes des freien Mandats zwar nicht zwingend an. Sie können den-
noch im Regelfall als Indiz herangezogen werden, wenn sich die gewählten Mitglieder nach der
Wahl nicht erkennbar von den Programmen der jeweiligen Partei distanziert haben.64
58 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl.
2013, 447; OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 – 15 B 788/08, NWVBl. 2009, 28. 59 OVG NRW, Beschl. vom 24.06.2014 – 15 B 725/14. 60 Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56 Anm. II 2; a.A. VG Hannover, Beschl. v. 21.03.1997 – 9 B 1291/97, NVwZ-
RR 1997, 580. 61 Lange, Kommunalrecht, Kap. 6, II, 2. 62 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213; OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 –
15 B 788/08, NWVBl. 2009, 28; OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447; OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; Meyer, Recht der Ratsfraktionen, Anm. 3.3, S. 53; Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56, Anm. II 1b.
63 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 64 Vgl. OVG NRW, Beschl. vom 12.12.2014, – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urteil vom 29.10.14, – 1 K 4415/14.
Seite 14 von 30 Zur Feststellung der politischen Auffassung der einzelnen Ratsmitglieder können auch von diesen
veröffentlichte Publikationen oder die Mitarbeit in Organisationen bewertet werden.65
Wesentliches Indiz für die grundsätzliche politische Übereinstimmung kann ein gemeinsames Pro-
gramm für die weitere Zusammenarbeit sein. Dabei dürfte ein solches Programm ein umso deutli-
cheres Indiz sein, je konkreter die kommunalpolitischen Ziele benannt und ausgestaltet sind. Aller-
dings muss das Fraktionsprogramm nicht alle denkbaren Sachgebiete abdecken, da § 56 Abs. 1 S. 1
GO NRW lediglich eine „grundsätzliche“ politische Übereinstimmung verlangt.66 Insbesondere bei
kleineren Gruppierungen ist es durchaus üblich und zulässig, sich in der politischen Arbeit auf be-
stimmte Gebiete, in denen die Mitglieder über die nötige Sachkunde verfügen, zu konzentrieren.67
In Einzelfragen dürfen die Meinungen voneinander abweichen.68 Daher ist es irrelevant, wenn die
Mitglieder gelegentlich unterschiedliche politische Ansätze verfolgen.
Kein Indiz gegen eine grundsätzliche politische Übereinstimmung ist es auch, dass gerade kleinere,
demselben Spektrum zuzuordnende Parteien einen intensiven, um Abgrenzung und Profilierung
bemühten und den direkten Konkurrenten unter Umständen auch hart angehenden Wahlkampf
geführt haben oder zuvor Sondierungsgespräche bezüglich einer möglichen Zusammenarbeit
auch mit anderen Mitgliedern des Kreistags oder anderen Parteien geführt haben.69 Denn für die
Frage der grundsätzlichen politischen Übereinstimmung kommt es auf den Zeitpunkt des Zusam-
menschlusses an und nicht auf frühere Willensbekundungen.
Der Zusammenschluss muss daher objektiv von einer grundsätzlichen politischen Übereinstim-
mung geprägt sein. Die für die Feststellung erforderlichen Indizien sind umso strenger, je hetero-
gener der Zusammenschluss ist. Hieran hat sich durch die neuere Rspr. nichts geändert. 70 In Fällen
politisch extrem heterogener Zusammensetzung besteht nach der Rspr. des OVG weiterhin beson-
derer Anlass festzustellen, ob die erforderliche politische Übereinstimmung besteht oder ob ledig-
lich ein formaler Zusammenschluss zur Erlangung finanzieller Vorteile oder einer stärkeren Rechts- 65 Bick, Die Ratsfraktion, C IV 2 a), S. 83. 66 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 –15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 67 Vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 14.05.2008 – 1 L 625/08. 68 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 –15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 69 Vgl.VG Düsseldorf, Urteil vom 29.10.2014, – 1 K 4415/14. 70 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 –15 B 1139/14.
Seite 15 von 30 position zur Verfolgung der uneinheitlichen individuellen politischen Ziele der einzelnen Mitglie-
der vorliegt. 71
3. Zusammenschluss zum Zweck gleichgerichteten Wirkens
§ 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW verlangt des Weiteren, dass der Zusammenschluss zum Zweck möglichst
gleichgerichteten Wirkens erfolgt sein muss. Wie sich aus der Präposition „zu“ ergibt, muss das
gleichgerichtete Wirken – anders als die grundsätzliche politische Übereinstimmung – im Zeit-
punkt des Zusammenschlusses nicht bereits vorliegen. Es handelt sich dabei vielmehr um den
(subjektiven) Zweck, der dem Zusammenschluss zugrunde liegt. Der Zusammenschluss muss aller-
dings bereits erfolgt sein.72 In zeitlicher Hinsicht ist das Recht zur Bildung von Fraktionen hierbei in
keiner Weise begrenzt. Es besteht während der gesamte Wahlzeit des Rates. 73 Fraktionen können
sich im Laufe der gesamten Wahlperiode bilden oder umbilden. 74 Deshalb ist es unzulässig, beim
Zweck möglichst gleichgerichteten Wirkens auf den Zeitpunkt der Wahl abzustellen.75
a) Beweislast
Dennoch gilt, dass die materielle Beweislast für diese Zweckbestimmung bei der Fraktion oder
Gruppe liegt, die sich auf den Status beruft. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung muss daher auch
die Zweckbestimmung anhand von Indizien festgestellt werden.76 Zusammenfassend muss sich
aus den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls der zuverlässige Schluss ergeben, dass der
Zusammenschluss nachhaltig auf das gleichgerichtete Zusammenwirken ausgerichtet ist. 77
b) Unterschiedliche Anforderungen
Wie bereits bei der Frage der grundsätzlichen politischen Übereinstimmung gilt auch hier, dass die
Anforderungen an die Indizien umso höher sind, je heterogener die Zusammensetzung der Frak-
71 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 –15 B 1139/14, nrwe Rn. 14. 72 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 –15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. vom 19.06.2013 – 15 B 279/13,
NWVBl. 2013, 447; ebenso Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO § 56 Anm. II 1. 73 Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO § 56 Anm. II 1. 74 Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 56 Anm. 5. 75 Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1. 76 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 – 15 B 788/08, NWVBl.
2009, 28. 77 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; ebenso Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl.1;
Lange, Kommunalrecht, Kap. 6, Rn. 36.
Seite 16 von 30 tion ist. Indizien für das gleichgerichtete Wirken lassen sich vor allen Dingen aus der praktischen
Umsetzung der Zweckbestimmung, also einem tatsächlichen, bereits umgesetzten gleichgerichte-
tem Wirken entnehmen.
Dies gilt nicht nur bei heterogener Zusammensetzung des Zusammenschlusses. Auch bei Mitglie-
dern aus Parteien, die politisch dem gleichen Spektrum entstammen, besteht Anlass festzustellen,
ob der Zweck zu möglichst gleichgerichtetem Wirken besteht. 78
Die Anforderungen an die Indizien sind aber insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Ver-
lust individueller politischer Gestaltungsoptionen, d.h. von Teilen der Autonomie des Einzelmit-
glieds sich hier geringer auswirkt – ebenso wie beim Merkmal der grundsätzlichen politischen
Übereinstimmung – weniger streng als bei extrem heterogener Zusammensetzung.79 Lediglich bei
Fraktionen, die aus Mitgliedern derselben Partei bestehen ist das Zusammenwirken zu möglichst
gleichgerichtetem Wirken ohne weiteres anzunehmen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Mitglie-
der erst nach der Wahl in die gleiche Partei eingetreten sind.80
c) Indizien
Ob der Zweck zu möglichst gleichgerichtetem Wirken verfolgt werden soll, bemisst sich allgemein
nach den Vereinbarungen im Rahmen des Zusammenschlusses und ggf. ihrer tatsächlichen An-
wendung, sowie den Bekundungen der Mitglieder des Zusammenschlusses, soweit sich die Erklä-
rungen als glaubhaft erweisen.81 Zudem gilt, dass insbesondere, wenn der Zusammenschluss be-
reits länger besteht, die Zweckbestimmung praktischen Ausdruck gefunden haben muss. Ist dies
nicht der Fall, ist der Schluss naheliegend, dass die ursprüngliche Zweckbestimmung nur vorge-
schoben war.82 Auch dürfen die tatsächlichen Bekundungen der Beteiligten keine Anhaltspunkte
ergeben, an der Ernsthaftigkeit der erklärten Absicht zu zweifeln. 83
78 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 79 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14, VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014, – 1 K 4415/14 80 OVG NRW, Beschl. v. 24.06.2014 – 15 B 725/14. 81 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14 m.w.N., Bätge, Recht der kommunalen Fraktion, 2.1.2. 82 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13,
NWVBl. 2013, 447. 83 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14.
Seite 17 von 30 Wichtigstes Indiz für den Zweck gleichgerichteten Wirkens ist das Statut oder die Geschäftsord-
nung der Fraktion, in der die interne Willensbildung geregelt wird. Der Wesenskern einer Fraktion
ist es nämlich, dass die Mitglieder auf die Ausübung eines Teils ihrer politischen Gestaltungsrechte
zu Gunsten einer Bündelung durch die Fraktion verzichten. 84 Nach § 56 Abs. 2 S. 1 GO NRW wirken
Fraktionen bei der Willensbildung in der Vertretung mit. Aufgabe der Fraktion ist es, ggf. abwei-
chende Meinungen ihrer Mitglieder zu einem mehrheitlich für richtig gehaltenen Standpunkt zu-
sammenzuführen.85 Es findet daher in der Fraktion eine Vorprägung der Willensbildung und Ent-
scheidungsfindung im Plenum statt, indem vor der Debatte und Abstimmung fraktionsintern Wil-
lensblöcke gebildet werden, die im Plenum möglichst geschlossen zur Geltung gebracht werden.86
Durch die Vorwegbildung klarer Mehrheiten soll die Zusammenarbeit im Rat erleichtert und da-
durch eine zügige Bewältigung der Aufgaben ermöglicht werden.87 Daher muss im Ergebnis auch
eine interne Willensbildung der Fraktion stattfinden. Im Regelfall erfordert die Bündelungswirkung
der Fraktion, dass fraktionsinterne Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip gefällt werden.88
Bei Fraktionen (oder Gruppen) aus nur zwei Mitgliedern ergibt sich das Problem, dass eine Ab-
stimmung nach dem Mehrheitsprinzip eine einstimmige Entscheidung beider Mitglieder erfordert.
Entscheidungen gegen den Willen eines Mitglieds können daher nicht getroffen werden, eine Ver-
änderung der Situation des Mitglieds im Verhältnis zu seiner vorherigen Stellung als einzelnes Mit-
glied der Vertretungskörperschaft findet daher bzgl. des Stimmrechts nicht statt. In der Recht-
sprechung wurde diese spezielle Thematik bisher nicht angesprochen. Es ist jedoch davon auszu-
gehen, dass in einer solchen Konstellation von der Einführung der Mehrheitsentscheidung keine
oder nur sehr geringe Indizwirkung ausgeht. Denn die Fraktionsbildung ist Ausfluss des freien
Mandats, das jedem Mitglied einer Fraktion in gleicher Weise zusteht, unabhängig von der Größe
des Zusammenschluss. Das Problem lässt sich bei einer Zwei-Personen-Konstellation jedoch nicht
lösen, weil andere Abstimmungsmodi zu den gleichen Ergebnissen führen. Zwei-Personen-Frak-
84 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 85 Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO § 56 Anm. I 3. 86 OVG NRW, Beschl. vom 12.12.2014 – 15 B 1139/14; OVG NRW, Beschl. vom 24.01.2005 – 15 B 2713/04,
NWVBl. 2005, 213; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 87 OVG NRW, Urt. v. 14.01.1975 – 3 A 551/73, Kottenberg/Rehn, Rechtsprechung, § 30 Nr. 4; Lange, Kom-
munalrecht, Kap. 6, Rn. 22; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Kap. 9, Rn. 420, ähnlich Suerbaum, in: Mann/Püttner, HKWP, Bd. 1, § 22 Rn.3.
88 OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213.
Seite 18 von 30 tionen sind daher gehalten, ihre Zusammenarbeit in anderen Bereichen besonders deutlich her-
auszustellen.
Das tatsächliche Abstimmungsverhalten allein ist dagegen nur ein schwaches Indiz. Denn es
kommt durchaus vor, dass Mitglieder verschiedener Fraktionen parallel einheitlich abstimmen,
ohne dass hier von einer Zusammenarbeit auszugehen wäre.89 Etwas anderes gilt dann, wenn sich
das Abstimmungsverhalten auf eine gleichgerichtete Strategie zurückführen lässt. 90
Eine Regelung im Statut, die eine Fraktionsdisziplin oder gar einen (unzulässigen) Fraktionszwang,
vorsieht, ist deshalb nicht zwingend erforderlich, da der Grundsatz des freien Mandats unabhängig
davon gilt. Das Fehlen einer solchen Regelung kann aber aus dem Gesamtzusammenhang heraus
so zu interpretieren sein, dass jedwedes von der Mehrheitsmeinung der Fraktion abweichende
Debatten- und Abstimmungsverhalten ein mit der Fraktionsbildung vereinbares Verhalten sein
soll, was dann ein deutliches negatives Indiz bzgl. des gemeinsamen Wirkens darstellt.91
Zumindest sollte sich dem Statut entnehmen lassen, dass die Beschlüsse der Fraktion für die Mit-
glieder insoweit verbindlich sind, dass sie im Rat die Gesamtlinie der Fraktion vertreten und die
Mitglieder in Angelegenheiten von wesentlicher politischer Bedeutung in erhöhtem Maße gehal-
ten sind, dem Mehrheitsbeschluss der Fraktion zu folgen.92
Weitere Indizien für ein gleichgerichtetes Wirken können gemeinsames Abstimmungsverhalten,
gemeinsame Anträge und Anfragen, sowie regelmäßige Fraktionssitzungen sein. Auch sonstige
gemeinsame Aktivitäten wie das Betreiben einer gemeinsamen Website, das Stellen von Anfragen,
gemeinsame Ortsbesichtigungen und vergleichbare gemeinsam geplante Tätigkeiten kommen in
Betracht.93 Insbesondere die gemeinsame Entsendung von Mitgliedern in Ausschüsse – so denn
89 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447 90 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 91 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213. 92 Vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014, – 1 K 4415/14. 93 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14.
Seite 19 von 30 möglich – spricht für ein gleichgerichtetes Wirken, denn dies erscheint nur vor dem Hintergrund
einer tatsächlich angestrebten Zusammenarbeit sinnvoll.94
Indiz gegen ein gemeinsames Wirken kann es im Gesamtzusammenhang sein, wenn die Möglich-
keit des Ausschlusses eines Mitglieds aus der Fraktion nicht besteht.95 Zwar sieht § 56 Abs. 2 S. 3 GO
NRW eine solche Regelung ausdrücklich vor, jedoch berechtigen Fehler im Statut nicht dazu, den
Fraktionsstatus in Zweifel zu ziehen. 96 Allerdings muss die Geschäftsordnung bzw. das Statut des
Zusammenschlusses ein Regelwerk bieten, das die interne Willensbildung der Fraktion wirklich
steuert und nicht nur einen organisatorischen Rahmen um die einzelnen Mitglieder herum legt,
innerhalb dessen diese unverändert weiter wie einzelne Ratsmitglieder autonom ihre Meinung
bilden und nach außen vertreten. Nur dann ist der Zweck des gleichgerichteten Wirkens belegt.
Darüber hinaus sollte aus dem Statut erkennbar sein, dass die Fraktion tatsächlich Bündelungs-
und Koordinierungsaufgaben wahrnimmt. Dies kann zum Beispiel durch die Bestellung eines Frak-
tionsgeschäftsführers und die Verpflichtung zur Teilnahme an den Sitzungen des Rates und regel-
mäßigen Fraktionssitzungen erfolgen.97
Der Zweck gemeinsamen Zusammenwirkens liegt dagegen eindeutig nicht vor, wenn aus dem
Statut eine ggf. rechtswidrige Verteilung der Fraktionspauschale hervorgeht. Dies ist der Fall, wenn
diese nicht zur finanziellen Abdeckung der sächlichen und personellen Aufwendungen für die Ge-
schäftsführung der Fraktion in Verfolgung ihrer Koordinationsaufgaben dient, sondern als rechts-
widrige Erhöhung der dem einzelnen Mitglied zustehenden und nur von ihm zu verwaltenden
Aufwandsentschädigung eingesetzt wird.98
Der Zweck gleichgerichteten Wirkens liegt ebenso wenig vor, wenn der rein finanzielle Zweck des
Zusammenschlusses sogar aus dem Statut oder der Namensgebung (z.B. „technische Fraktion“)
eindeutig hervorgeht.99
94 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 95 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NWVBl. 2005, 213. 96 Vgl. Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 56 Erl. 1. 97 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014, – 1 K 4415/14. 98 Vgl. Suerbaum in Mann/Püttner, HKWP, Bd. 1 § 22 Rn. 5; Bätge, Recht der kommunalen Fraktionen, S.10 99 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447; OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15
B 2713/14; zustimmend Rehn/Cronauge/v.Lennep/Knirsch, GO I, § 56 Anm. II 1.
Seite 20 von 30 d) Zeitpunkt des Zusammenschlusses
Für die Anforderungen an den Nachweis des Zwecks kommt es nach der Rspr. entscheidend auf
den Zeitpunkt des Zusammenschlusses an.
aa) Länger zurückliegender Zusammenschluss
Liegt der Zusammenschluss bereits länger zurück, muss das gleichgerichtete Wirken auch bereits
praktischen Ausdruck gefunden haben. Ein Nachweis ist nach einem bereits verstrichenen Zeit-
raum im Regelfall auch einfacher zu führen. Hierbei muss sich aus dem Gesamtverhalten des Zu-
sammenschlusses ein gleichgerichtetes Wirken ergeben. Vereinzelte gemeinschaftliche Aktionen
genügen nicht. Es müssen vielmehr Ansätze erkennbar sein, dass das Programm, das man sich
selbst gegeben hat, auch im Rahmen der Möglichkeiten umgesetzt wird.100 Bei einem längeren
Bestehen der (vermeintlichen) Fraktion ist die Absicht möglichst gleichgerichteten Wirkens nur
dann als glaubhaft anzusehen, wenn sich der Zweck des Zusammenschlusses nicht nur aus einer
politischen Absichtserklärung ergibt, sondern er darüber hinaus auch sichtbaren –praktischen –
Ausdruck gefunden hat.101
bb) Vor kurzem erfolgter Zusammenschluss
Problematisch stellt sich der Nachweis des Zwecks gleichgerichteten Wirkens insbesondere dann
dar, wenn der Zusammenschluss erst seit kurzem besteht. Zwar muss, wie bereits dargestellt, das
gleichgerichtete Zusammenwirken im Zeitpunkt des Zusammenschlusses noch nicht verwirklicht
sein. Aufgrund der Verteilung der materiellen Beweislast müssen aber Indizien hierfür vorliegen,
die vor allen Dingen aus dem faktischen Zusammenwirken gezogen werden können. Allein die
Schaffung des Rahmengerüsts durch ein entsprechendes Statut oder eine Geschäftsordnung ge-
nügt dabei genauso wenig wie vereinzelte gemeinschaftliche Aktionen.
In der Vergangenheit wurden daher Anträge im Eilverfahren auf Feststellung der Fraktionseigen-
schaft, die erst kurze Zeit nach dem Zusammenschluss erhoben wurden, mehrfach abgewiesen.
100 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 20.06.2008 – 15 B 788/08, NWVBl. 2009, 28; OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15
B 279/13, NWVBl. 2013, 447. 101 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 19.06.2013 – 15 B 279/13, NWVBl. 2013, 447; OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15
B 1139/14.
Seite 21 von 30 So hat das VG Minden mit Beschluss vom 17.06.2014 einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz
zwei Wochen nach Fraktionsgründung abgewiesen. 102 Mit Beschluss vom 25.08.2014 wies dasselbe
Gericht einen Antrag einen Monat nach Zusammenschluss ab, nachdem eine Sitzung des Kreista-
ges stattgefunden hatte, in der die Antragsteller zwei Anträge gestellt hatten. 103
Andererseits hat nunmehr das OVG NRW in seinem Beschluss vom 12.12.2014 ausgeführt, dass bei
noch nicht übermäßig langer Bestehenszeit bzw. insbesondere bei wenigen bisher durchgeführten
Sitzungen keine übertrieben hohen Anforderungen an das gleichgerichtete Zusammenwirken
gestellt werden dürfen.104 Es komme vor allen Dingen darauf an, dass die (angebliche) Fraktion die
bisher bestehenden Möglichkeiten zum Zusammenwirken ausgenutzt hat.
Im konkreten Fall genügte es dem OVG nach einem halben Jahr und zwei Kreistagssitzungen, dass
die (Fraktions-)Mitglieder bei der Ausschussbesetzung zusammengewirkt hatten, weil sie daneben
weitere Aktivitäten entfaltet hatten, indem sie gemeinsame Anschreiben und Anfragen an den
Landrat sandten, Anschreiben an die Bezirksregierung verfassten, regelmäßig zusammenkom-
mende Arbeitskreise errichteten, die sich mit kommunalpolitischen Themen befassten und zahlrei-
che Fraktionssitzungen durchgeführt hatten.
Ähnlich hat das VG Düsseldorf in einem Fall entschieden, in denen seit Gründung der Fraktion erst
vier Ratssitzungen stattgefunden hatten. 105 Schon vor diesem Hintergrund könnten keine über-
triebenen Erwartungen an die von der Klägerin zu verlangenden Aktivitäten gestellt werden. Auch
sei zu berücksichtigen, dass die Fraktion die bislang nicht als solche behandelt wurde und deshalb
die (nur) Fraktionen zustehenden Befugnisse nicht ausüben konnte, vergleichsweise geringe Mög-
lichkeiten hatte, ihre politischen Ziele anzugehen.106
Insbesondere wenn bisher wenige Sitzungen der Vertretung stattgefunden haben, in denen die
Fraktion mangels „Anerkennung“ möglicherweise zusätzlich in ihren Möglichkeiten eingeschränkt
102 VG Minden, Beschl. v. 17.06.2014 – 2 L 457/14. 103 VG Minden, Beschl. v. 25.08.2014 – 2 L 585/14. 104 Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14. 105 VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 106 VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14.
Seite 22 von 30 war, ihr Zusammenwirken zu demonstrieren, bietet sich vor allem im Rahmen der vorbereitenden
Arbeit außerhalb des Rates die Möglichkeit, ausreichend Indizien für ein Zusammenwirken zu
schaffen. Allerdings ist zu beachten, dass es in dem Beschluss des OVG vom 12.12.2014 um Frakti-
onsmitglieder ging, die nach Einschätzung des OVG dem gleichen politischen Spektrum angehör-
ten, so dass die Anforderungen an die Indizien ohnehin nicht ganz so hoch waren. 107
Wo genau die Grenze insbesondere bezüglich der Zeitdauer zu ziehen ist, an der die Ausschöpfung
des überhaupt möglichen Zusammenwirkens die Marginalität überschreitet und ausreichend aus-
sagekräftig wird, ist schwierig zu definieren, da es immer auf die Würdigung aller Umstände des
Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ankommt. Dabei kommt es auch wesentlich da-
rauf an, ob zwei Parteien als heterogen oder dem gleichen Spektrum zugehörig eingestuft werden.
In jedem Fall sollten durch Ausschöpfung aller Möglichkeiten einer Zusammenarbeit außerhalb der
Vertretung ausreichende Indizien für ein gleichgerichtetes Wirken gesetzt werden. Insgesamt kann
der neueren Rspr. des OVG NRW allerdings die Tendenz entnommen werden, dass bei der Überprü-
fung der Wirksamkeit von Fraktionsbildungen die Auswirkungen der Entscheidung auf das freie
Mandat der betroffenen Ratsmitglieder (§ 43 Abs. 1 GO NRW) stärker zu berücksichtigen sind. Dies
betrifft vor allem den von § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW geforderten Zweck zu möglichst gleichgerichte-
tem Wirken. Die Anforderungen an die objektive Voraussetzung einer grundsätzlich politischen
Übereinstimmung hat das OVG (bislang) nicht relativiert. Aber auch hier ist stets eine Gesamtschau
der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Je stärker die tatsächlichen Indizien für eine politische
Übereinstimmung sind, umso politisch heterogener kann der Zusammenschluss sein. Im Hinblick
auf den Grundsatz des freien Mandats dürften sich aus dem gleichgerichteten Wirken ohnehin
Rückschlüsse auf die grundsätzliche politische Übereinstimmung ergeben. Entscheidend ist, dass
sich die Absicht, eine Fraktion zu bilden, nach außen manifestiert hat. Dies ist umso einfacher fest-
zustellen, je intensiver auch die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit außerhalb der Vertretungen
genutzt werden
107 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14.
Seite 23 von 30 IV. Rechtsprechung in anderen Bundesländern
Die gesetzlichen Regelungen der verschiedenen Bundesländer zum Fraktionsstatus in Kreistagen
und Gemeinderäten sind unterschiedlich ausgestaltet. In vielen Ländern sind Fraktionen, abgese-
hen von der Mindestzahl der Mitglieder nicht gesetzlich definiert; eine Differenzierung zwischen
Gruppen und Fraktionen fehlt teilweise ganz. Eine gesetzliche Definition der Fraktion – vergleich-
bar der Regelung in NRW – findet sich nur im Saarland108 und in Sachsen-Anhalt. 109
Dennoch unterscheidet sich die Rechtsprechung in den anderen Bundesländern, so sie denn über-
haupt vorhanden ist, im Ergebnis nicht von der vom OVG NRW entwickelten Linie. Im Gegenteil
stützen sich die Verwaltungsgerichte der anderen Länder sogar meist auf die grundlegende Ent-
scheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW von 2005110 ohne abweichende oder ergänzende
(Definitions-)Ansätze zu entwickeln. Dies bestätigt die obige Feststellung, dass die in § 56 Abs. 1
S. 1 GO NRW festgelegten Voraussetzungen der allgemeinen parlamentarischen Praxis entspre-
chen, wie sie durch die politische Realität von Fraktionen in Deutschland seit der Bildung entspre-
chender Vereinigungen in der Frankfurter Nationalversammlung geprägt wird. 111
Landesspezifische Besonderheiten ergeben sich daher nicht. Die vom OVG NRW getroffenen Aus-
sagen lassen sich daher uneingeschränkt auf alle Bundesländer übertragen.
108 § 30 Abs. 5 Kommunalselbstverwaltungsgesetz (KSVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 27.06.1997 (ABl.,
S. 682), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.05.2014 (ABl. S. 172): „Gemeinderatsmitglieder, die derselben Partei oder politischen Gruppierung mit im wesentlichen gleicher politischen Zielsetzung angehören, könne sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen.“ Ebenso § 157 Abs. 4 KSVG für Mitglieder des Kreistages.
109 § 44 Kommunalverfassungsgesetz (KVG LSA) v. 17.06.2014 (GVBl. LSA, S. 288): „Ehrenamtliche Mitglieder der Vertretung, die derselben Partei, politischen Vereinigung oder politischen Gruppierung angehören, können sich zu einer Fraktion zusammenschließen.“
110 Vgl. VG Dresden, Urt. v. 29.01.2009 – 7 K 1388/06; OVG Sachsen, Beschl. v. 06.05.2009 – 4 A 116/09; ohne Zitat, aber mit vergleichbarem Ergebnis OVG Lüneburg, Urt. v. 16.03.2005 – 10 LC 139/03, NdsVBl. 2005, 233.
111 Vgl. dazu schon OVG NRW, Beschl. v. 24.01.2005 – 15 B 2713/04, NVwZ-RR 2005, 497.
Seite 24 von 30 C. Rechtsschutz
I. Möglichkeiten der Gemeinde
Wird ein Zusammenschluss zu Unrecht als Fraktion behandelt oder wird die Fraktionseigenschaft
durch den Rat (bzw. Kreistag) zu Unrecht negiert, hat der Hauptverwaltungsbeamte einen etwa-
igen darauf beruhenden Beschluss der Vertretung nach § 54 Abs. 2 S. 1 GO NRW bzw. § 39 Abs. 2
S. 1 KrO NRW zu beanstanden (z.B. Beschlüsse zur Ausschussbesetzung nach §§ 50 Abs. 3, 58 GO
NRW bzw. §§ 35 Abs. 3, 41 KrO NRW). Der Hauptverwaltungsbeamte hat hierbei keinen Entschei-
dungsspielraum, wie sich aus der Formulierung „hat“ ergibt.112
Die Beanstandung ist an keine Frist gebunden und hat aufschiebende Wirkung (§ 54 Abs. 2 S. 2 GO
NRW, § 39 Abs. 2 S. 3 KrO NRW). Verbleibt die Vertretung bei ihrem Beschluss, so hat der Hauptver-
waltungsbeamte unverzüglich die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Die aufschie-
bende Wirkung bleibt bestehen. Das Vorgehen der Aufsichtsbehörde richtet sich nach §§ 119 ff.
GO NRW bzw. § 57 KrO NRW. Rechtswidrige Beschlüsse der Vertretungskörperschaft können bean-
standet und nach nochmaliger Beratung aufgehoben werden (§ 122 Abs. 1 GO NRW). Dasselbe gilt
für rechtswidrige Anordnungen des Hauptverwaltungsbeamten (§ 122 Abs. 2 GO NRW). Sonstige
Verstößen gegen das geltende Recht unterliegen der Anordnungsbefugnis und der Ersatzvornah-
me durch die Aufsichtsbehörde (§ 123 GO NRW).
Organe der Gemeinde oder des Kreises haben jedoch keinen Anspruch auf aufsichtsbehördliches
Einschreiten; 113 ebenso wenig der beanstandende Bürgermeister, wenn die Aufsichtsbehörde sei-
ne Auffassung nicht teilt. 114
112 Held/Winkel/Wansleben, KVerf, GO § 54 Erl. 2.3; Rehn/Cronauge/v. Lennep/Knirsch, GO § 54 Anm. III 1. 113 OVG NRW, Beschl. v. 19.07.2006 – 15 B 1214/06, DVBl. 2007, 454. 114 Vgl. VG Saarlouis, Urt. v. 23.11.1987 – 1 K 221/87, NVwZ 1988, 864, 865 m.w.N.
Seite 25 von 30 II. Rechtsschutz der (angeblichen) Fraktion
Der Zusammenschluss, dessen Fraktionseigenschaft negiert oder in Frage gestellt wird, hat die
Möglichkeit, im Organstreitverfahren (sog. Kommunalverfassungsstreitverfahren) im Wege der
Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) die gerichtliche Feststellung des Fraktionsstatus zu errei-
chen. 115 Es ist allgemein anerkannt, dass Streitigkeiten, die aus dem kommunalen Organisations-
recht folgen und den organschaftlichen Funktionsablauf bestimmende Befugnisse und Pflichten
bestimmter Organe oder Organteile untereinander betreffen, Gegenstand eines verwaltungsge-
richtlichen Verfahrens sein können.116 Mit der kommunalverfassungsrechtlichen Feststellungsklage
kann insbesondere auch die rechtliche Existenz eines Organs (hier der Fraktion) als Voraussetzung
konkret bestehender Befugnisse geklärt werden.117 Das erforderliche Feststellungsinteresse folgt
u.a. aus einer Weigerung des Rates oder des Bürgermeisters, den Zusammenschluss als Fraktion
„anzuerkennen „und die hieraus resultierende Vorenthaltung von Rechten und Zuwendungen.118
Die (angebliche) Fraktion ist gemäß § 61 Nr. 2 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als
Vereinigung beteiligungsfähig, auch wenn ihre Existenz gerade bestritten wird. Es ist allgemein
anerkannt, dass die Vereinigung im Streit um die Feststellung der Fraktionseigenschaft als beteili-
gungsfähig zu behandeln ist.119 Die Klage ist begründet, wenn der Zusammenschluss die Voraus-
setzungen des § 56 Abs. 1 GO NRW bzw. des § 40 Abs. 1 KrO NRW erfüllt. 120
Zulässig ist es auch, die Fraktionseigenschaft inzident im Rahmen einer Leistungsklage z.B. auf frak-
tionsabhängige finanzielle Zuwendungen zu klären (z.B. nach § 56 Abs. 3 GO NRW). Allerdings ist
die Feststellungsklage rechtsschutzintensiver, da die unmittelbare Feststellung (anders als die nur
inzidente Prüfung) in Rechtskraft erwächst (§ 121 VwGO).
115 Zum Kommunalverfassungsstreitverfahren vgl. allgemein Wüstenbecker, Kommunalrecht NRW
(11. Aufl. 2014), Rn. 466 ff. 116 Vgl. e.g. OVG NRW, Urt. v. 05.02.2002 – 15 A 2604/99, NWVBl. 2002, 381. 117 VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14; VG Dresden, Urt. v. 20.01.2009 – 7 K 1388/06. 118 VG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2014 – 1 K 4415/14. 119 Vgl. nur Kopp/Schenke VwGO, § 61 Rn. 3. 120 Vgl. nur Kopp/Schenke VwGO, § 61 Rn. 3.
Seite 26 von 30 Zur Sicherung der Fraktionsrechte kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine einstweilige
Anordnung (§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO) ergehen, wonach die Gemeinde bzw. der Kreis verpflichtet
wird, den Zusammenschluss vorläufig so zu behandeln, als ob ihm Fraktionsstatus zukommt.121
Besondere vom Hauptsacheverfahren abweichende Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehen nicht.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 1 u. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Der Anordnungsanspruch folgt unmittelbar aus den kommunalrechtlichen Regelungen über den
Fraktionsstatus (§ 56 Abs. 1 GO NRW, § 40 Abs. 1 KrO NRW), wenn die gesetzlichen Voraussetzun-
gen erfüllt sind. Der Anordnungsgrund besteht, wenn es den Antragstellern nicht zuzumuten ist,
das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Dies ist regelmäßig zu bejahen, da die Antragsteller ohne
den Erlass der einstweiligen Anordnung in erheblicher Weise an der Ausübung der ihnen zuste-
henden, für die Willensbildung der Vertretung wesentlichen Mitwirkungsbefugnisse gehindert
wären.122 Weitere Nachteile ergeben sich aus dem Umstand, dass den Betroffenen die finanziellen
Zuwendungen für Fraktionen vorenthalten werden.123 Soweit man in der vorläufigen Zuerkennung
des Fraktionsstatus eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache sehen sollte124, ist diese aus
den vorgenannten Gründen ebenfalls ausnahmsweise gerechtfertigt. 125 Im Übrigen handelt es sich
ohnehin nicht um eine Vorwegnahme der Hauptsache im eigentlichen Sinne, sofern lediglich eine
vorläufige, bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung wirkende und somit gerade nicht die
Hauptsacheentscheidung vorwegnehmende Anordnung.126
121 OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2014 – 1 L 1555/14. 122 OVG NRW, a.a.O.; VG Düsseldorf, a.a.O. 123 OVG NRW, a.a.O. 124 So z.B. VG Minden, Beschl. v. 26.03.2013 – 2 L 27/13. 125 Im Ergebnis ebenso OVG NRW, Beschl. v. 12.12.2014 – 15 B 1139/14, ohne die Frage ausdrücklich zu pro-
blematisieren. 126 VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2014 – 1 L 1555/14 unter Hinweis auf Kopp/Schenke VwGO (20. Aufl. 2014),
§ 123 Rn. 14 m.w.N.
Seite 27 von 30 D. Zusammenfassung
I. Gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 GO NRW sind Fraktionen freiwillige Vereinigungen von Ratsmitgliedern
(oder von Mitgliedern einer Bezirksvertretung), die sich auf der Grundlage grundsätzlicher politi-
scher Übereinstimmung zu möglichst gleichgerichtetem Wirken zusammengeschlossen haben.
Dasselbe gilt nach § 40 Abs. 1 S. 1 KrO NRW für die Mitglieder des Kreistages.
II. Aus der gesetzlichen Legaldefinition folgt, dass es für die Entstehung einer Fraktion keines kon-
stitutiven, anerkennenden Aktes der Gemeinde (bzw. des Kreises) oder des (Ober-)Bürgermeisters
(bzw. Landrats) bedarf. Die Fraktion entsteht vielmehr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 56
Abs. 1 GO NRW bzw. des § 40 Abs. 1 KrO NRW unmittelbar kraft Gesetzes.
III. Gemeinden und Kreise sind aufgrund des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20
Abs. 3 GG) verpflichtet, nur solchen Zusammenschlüssen die diesen nach den einschlägigen kom-
munalrechtlichen Regelungen zustehenden Rechte und Vergünstigungen zu gewähren, bei denen
es sich tatsächlich um eine Fraktion (oder Gruppe) handelt.
IV. Das Bestehen einer Fraktion muss, um die mit dem Fraktionsstatus verbundenen Rechte in An-
spruch nehmen zu können, positiv feststehen. Hierbei tragen diejenigen die materielle Beweislast
(Feststellungslast), die sich auf das Bestehen der Fraktion berufen.
1. Die Fraktion entsteht nicht schon mit der bloßen – wenn auch bereits durch einen Fraktionsver-
trag bzw. ein Statut rechtlich verfestigten – Absicht, eine Fraktion zu bilden. Aus dem gesetzlichen
Erfordernis, dass sich die Mitglieder zusammengeschlossen „haben“ müssen, folgt, dass der Zu-
sammenschluss bereits verwirklicht sein muss.
2. Der Zusammenschluss muss auf der Grundlage grundsätzlich politischer Übereinstimmung er-
folgen. Ob dies der Fall ist, muss im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzel-
falls positiv festgestellt werden.
a) In Fällen politisch extrem heterogener Zusammensetzung besteht besonderer Anlass festzustel-
len, ob die erforderliche grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht oder ob lediglich ein
Seite 28 von 30 formaler Zusammenschluss zur Erlangung finanzieller Vorteile oder einer stärkeren Rechtsposition
für die Verfolgung der uneinheitlichen individuellen politischen Ziele der einzelnen Mitglieder vor-
liegt.
b) Dasselbe gilt bei Mitgliedern, die verschiedenen Parteien des gleichen politischen Spektrums
angehören. Allerdings sind die Anforderungen an die Indizien für eine grundsätzliche politische
Übereinstimmung weniger streng als bei extrem heterogener Zusammensetzung.
c) Bei Zusammenschlüssen, die sich aus Mitgliedern derselben Partei oder Wählergemeinschaft
zusammensetzen, ergibt sich die grundsätzliche politische Übereinstimmung bereits aus dem Par-
teizusammenschluss bzw. dem gemeinsamen Wahlvorschlag.
d) Die Frage, ob eine grundsätzliche politische Übereinstimmung vorhanden ist, beurteilt sich nach
dem Statut des Zusammenschlusses und ggf. seiner tatsächlichen Anwendung sowie den Bekun-
dungen der Mitglieder des Zusammenschlusses, soweit sich diese Erklärungen als glaubhaft erwei-
sen.
e) Wesentliches Indiz für die grundsätzliche politische Übereinstimmung ist ein gemeinsames Pro-
gramm für die weitere Zusammenarbeit. Dabei dürfte ein solches Programm ein umso deutlicheres
Indiz sein, je konkreter die kommunalpolitischen Ziele benannt und ausgestaltet sind.
3. Neben der grundsätzlichen politischen Übereinstimmung fordert das Gesetz, dass der Zusam-
menschluss zu möglichst gleichgerichtetem Wirken erfolgt ist.
a) Aus der finalen Präposition „zu“ folgt, dass die Fraktionseigenschaft nicht davon abhängt, dass
ein gleichgerichtetes Wirken auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung be-
reits vorliegt; allerdings muss dieser Zweck dem Zusammenschluss zugrunde liegen.
b) Wie bereits bei der Frage der grundsätzlichen politischen Übereinstimmung gilt auch hier, dass
die Anforderungen an die Indizien höher sind, je heterogener die Zusammensetzung der Fraktion
ist.
Seite 29 von 30 c) Wichtigstes Indiz für den Zweck gleichgerichteten Wirkens ist das Statut oder die Geschäftsord-
nung der Fraktion, in der insbesondere die Regeln der internen Willensbildung aufzustellen sind.
Darüber hinaus sollte aus dem Statut erkennbar sein, dass die Fraktion tatsächlich Bündelungs-
und Koordinierungsaufgaben wahrnimmt.
d) Das Abstimmungsverhalten allein ist nur ein schwaches Indiz. Entscheidend ist vielmehr, ob die
Mitglieder in der täglichen Praxis gemeinsam agieren, z.B. gemeinsame Anträge, gemeinsames
Auftreten nach außen (z.B. in Publikationen oder Info-Veranstaltungen), gemeinsame Entsendung
von Mitgliedern in Ausschüsse.
V. Rechtsschutz
1. Wird ein Zusammenschluss zu Unrecht als Fraktion behandelt oder wird die Fraktionseigen-
schaft durch den Rat (bzw. Kreistag) zu Unrecht negiert, hat der Hauptverwaltungsbeamte einen
etwaigen Beschluss nach § 54 Abs. 2 S. 1 GO NRW bzw. § 39 Abs. 2 S. 1 KrO NRW zu beanstanden.
Die Beanstandung hat aufschiebende Wirkung. Verbleibt die Vertretung bei ihrem Beschluss, so
hat der Hauptverwaltungsbeamte unverzüglich die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuho-
len. Die aufschiebende Wirkung bleibt bestehen. Das Vorgehen der Aufsichtsbehörde richtet sich
nach §§ 119 ff. GO NRW bzw. § 57 KrO NRW.
2. Der Zusammenschluss, dessen Fraktionseigenschaft in Frage gestellt wird, hat die Möglichkeit,
im Organstreitverfahren (sog. Kommunalverfassungsstreitverfahren) im Wege der Feststellungs-
klage (§ 43 Abs. 1 VwGO) die gerichtliche Feststellung des Fraktionsstatus zu erreichen. Zur Siche-
rung der Fraktionsrechte kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine einstweilige Anordnung
(§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO) ergehen, wonach der Gegner verpflichtet wird, den Zusammenschluss
vorläufig so zu behandeln, als ob ihm Fraktionsstatus zukommt.