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Einsamkeit trotz sozialer Integration: Wie sich Einsamkeit in Netzwerken ausbreitet
Öffentlicher Vortrag im Rahmen des Habilitationsverfahrens an der Freien Universität Berlin27.5.2010
Dr. Sonia Lippke
1
Netzwerke und Ansteckungen
Soziale Netzwerke determinieren Ausbreitung von z.B.
• Glück bzw. Glücklichsein und Wohlbefinden
• Finanzmarktpaniken
• (Infektions-)Krankheiten
• Übergewicht
2
• Übergewicht
• Rauchverhalten, Drogenkonsum
• Gewalt und Selbstmorde
• Einsamkeit
Christakis & Fowler (2009)
Glück und Einsamkeit
Befunde
• 10.000 $ höheres Jahreseinkommen � 2% glücklicher
vs.
• Glücklicher Freund � 15% glücklicher
• Glücklicher Freund eines Freundes � 10% glücklicher• Glücklicher Freund eines Freundes � 10% glücklicher
• Glücklicher Freund eines Freundes eines Freundes � 6% glücklicher
3Christakis & Fowler (2009)
Überblick
• Was ist Einsamkeit?
• Was „bewirkt“ Einsamkeit?
• Was macht einsam? Wie breitet sich Einsamkeit aus?• Was macht einsam? Wie breitet sich Einsamkeit aus?
• Status Quo und Ausblick
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Subjektiv und aversiveremotionaler Zustand, der im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von unerfüllten intimen und sozialen Bedürfnissen steht
Was ist Einsamkeit? –Definition und Abgrenzung
Eingeschränktes Wohlbefinden
sozialen Bedürfnissen steht Peplau & Perlman (1982)
Einsamkeit mangelnde Netzwerk-einbindung
zu wenig soziale
Unterstützung
Alleine-sein
Golden et al. (2009) 5
Abgrenzung
Einsamkeit (Loneliness)
subjektiv
objektiv
Luanaighy & Lawlorz (2008)
Soziale Isolation
Alleinesein(Aloneness,
Solitude )
Fördert Kreativität,
Selbst-Regulation,
Konzentration und Lernen
objektiv
Schlechte soziale Integration ohne
subjektive Beurteilung
Hawkley, Thisted & Cacioppo (2009) 6
Einsamkeit: Anzahl sozialer Kontakte wenigerbedeutend als Qualität der Kontakte (k=235; N=39.394)
-0,15
-0,05
0,05
Quantität Qualität
d
r+=.11
Pinquart & Sörensen (2001, 2003)
-0,75
-0,65
-0,55
-0,45
-0,35
-0,25
d
7
Messung von Einsamkeit
-Beispiele-
„Wie oft haben Sie sich einsam gefühlt?“Center for Epidemiological Studies Depression Scale (CES-D)
„Wie oft fühlen Sie sich unglücklich, alleine zu sein?“
„Wie oft fühlen Sie sich so, als würde Sie niemand richtig verstehen?“
„Wie oft warten Sie darauf, dass jemand sich bei Ihnen meldet?“
UCLA Loneliness Scale
8
Was „bewirkt“ Einsamkeit? –Gesundheitliche Auswirkungen von Einsamkeit
Einsamkeit Krankheit
9
Partnerschaftliche Beziehung und Mortalitätsrisiko
Hochzeit Verwitwung
Männer
Frauen
Zusammenleben mit Ehepartner günstig für körperliche und psychische Gesundheit, insbesondere für …Männer im mittleren und höheren Erwachsenenalter und …bei hoher Paarqualität bzw. wenn glücklich verheiratet
Christakis & Fowler (2009); Dykstra & Fokkema (2007)
Zeit
10
Meta-analytischer Zusammenhang zwischen Geschlecht und Einsamkeit (k=91; N=73.213)
-in Beziehungen fühlen sich Frauen einsamer als Männer-
0,1
0,15
0,2
d
Pinquart & Sörensen (2003)
-0,2
-0,15
-0,1
-0,05
0
0,05
nur Verheiratete Singles
d
11
Zusammenhänge zwischen körperlicher Gesundheit und Einsamkeit –
Meta-Analytische Befunde (k=101; N=59.821)
0
0,25
0,5
-0,75
-0,5
-0,25
0
subjektive Gesundheit objektive Gesundheit d
Pinquart & Sörensen (2003) 12
Auswirkungen von Einsamkeit auf…
…psychische Gesundheit
• Kognitive
…körperliche Gesundheit
• Morbidität und • Kognitive Beeinträchtigungen
• Affektive Störungen
• Suizidale Gedanken und Verhaltensweisen
• Morbidität und
• Mortalität
• Reduzierte Immunreaktionen
• Anomale Stressreaktionen
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Luanaighy & Lawlorz (2008)
Einsamkeit und Gesundheit: Mechanismen
kardio-
Einsamkeit
„Risikomechanismen“
Gesundheits-zustand
Kortisol
Schlaf-störung
kardio-vaskuläre
Aktivierung
Risiko-verhalten
Cacioppo et al. (2002)14
Was macht einsam? Wie breitet sich Einsamkeit aus?
- Theorien zur Erklärung, wie Einsamkeit entsteht
15
Vererbbarkeit von Einsamkeit
• Evolutionäre Theorie (Cacioppo et al., 2006)
• Überlebensvorteil von Menschen,
– die soziale Verbindungen aufbauen
Vererbbarkeit nachgewiesen bei
• Kindern
• Erwachsenen
aufbauen
– kommunizieren
– gemeinsam arbeiten und
– teilen können
Cacioppo & Hawkley (2009)Luanaighy & Lawlorz (2008) 16
Vulnerabilitäts-Stress-Modell der Einsamkeitvon Perlman & Peplau (1998)
Prädisponie-rende
Auslö-
Anti-zipierteBezieh-
(Nicht-)Über-
einstim-Kogni-tionen
Wahr-nehm-
Verhalten
(Reak-
17
rendeFaktoren: PersonellKulturell
Auslö-sende Bedin-gungen
Bezieh-ungen
Tatsächliche
Bezieh-ungen
einstim-mungvon
Wunsch und
Realität
tionenund
Attribu-tionen
nehm-ungvon
Einsamkeit
(Reak-tionen
und Bewäl-tigung)
Rückkopplungs-Modell der Einsamkeitvon Cacioppo & Hawkley (2009)
Prädisponie-rende
Auslö-
Anti-zipierteBezieh-
(Nicht-)Über-
einstim-Kogni-tionen
Wahr-nehm-
Verhalten
(Reak-
18
rendeFaktoren: PersonellKulturell
Auslö-sende Bedin-gungen
Bezieh-ungen
Tatsächliche
Bezieh-ungen
einstim-mungvon
Wunsch und
Realität
tionenund
Attribu-tionen
nehm-ungvon
Einsamkeit
(Reak-tionen
und Bewäl-tigung)
Nutzen von Einsamkeit
• Warnzeichen, dass die Verbindungen zu anderen Menschen schwächer/ zu schwach werdenschwach werden
• Motivierende Funktion: Verbindungen zu reparieren und aufrechtzuerhalten
Cacioppo & Hawkley (2009)
19
Menschen, die sich einsam fühlen…
• …sind nicht öfter alleine als…
• …sind gleichermaßen fähig, sich sozial einzubinden wie…
Menschen, die sich verbunden fühlenfühlen
20Cacioppo & Patrick (2008), S. 13f
Probleme entstehen dann, wenn aufgrund des Einsamkeitsgefühls die sozialen Fähigkeiten nicht (ausreichend) eingesetzt werden:„Teufelskreis“
Ursprüngliche Kohorte (1948;
n=5209)
Methode: Framingham Heart Study
• Welle 1 1971-75
• Welle 2 1979-82
• Welle 3 1984-87
• Welle 4 1987-90
EhepartnerGeschwister
FreundeKollegen
Kohorte 1 (Kinder und Ehepartner der Kinder;
1971; n=5124)Kohorte 3
(Enkelkinder; 2002;
n=4095)
Kohorte 2 (1994; n=508)
• Welle 5 1991-95
• Welle 6 1996-98
• Welle 7 1998-2001
• Welle 8 2005-07
KollegenNachbarn
21
Untersuchungsteilnehmer in den USA
22
Untersuchungsteilnehmer in MA
23
Verbindungen von Geschwistern
24
Verbindungen von Freunden
25
Einsamkeit: in „Ballungsräumen“ und an den Randgebieten
Einsamkeit an
Tagen/Woche
Rot=GeschwisterSchwarz=Freunde,
Partner
Cacioppo, Fowler & Christakis (2009)
Tagen/Woche
gelb=0gelb=0--1 (nicht einsam)1 (nicht einsam)grün=2 (neutral)grün=2 (neutral)blau=3+ (einsam)blau=3+ (einsam)
26
Einsamkeit: in „Ballungsräumen“ und an den Randgebieten
Einsamkeit an
Tagen/Woche
Rot=GeschwisterSchwarz=Freunde,
Partner
Cacioppo, Fowler & Christakis (2009)
Tagen/Woche
gelb=0gelb=0--1 (nicht einsam)1 (nicht einsam)grün=2 (neutral)grün=2 (neutral)blau=3+ (einsam)blau=3+ (einsam)
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Eingebundenheit: Clusterbildungin „Ballungsräumen“ und eher zentral
Einsamkeit an
Tagen/Woche
Rot=GeschwisterSchwarz=Freunde,
Partner
Cacioppo, Fowler & Christakis (2009)
Tagen/Woche
gelb=0gelb=0--1 (nicht einsam)1 (nicht einsam)grün=2 (neutral)grün=2 (neutral)blau=3+ (einsam)blau=3+ (einsam)
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Mögliche Gründe für Clusterbildung
Homophilie(Selektionseffekte)
Umweltfaktoren(Selektionseffekte) (Expositionseffekte)
Einfluss
(Induktion) 29
Einsamkeit: „Dritter-Grad-Einfluss“
52%
25%
15%
Relativer Anstieg der
Wahrschein-lichkeit,
Welle 5Welle 6Welle 7
15%
Cacioppo et al. (2009)
Soziale Distanz (Freund/ Freund des Freundes usw.)
lichkeit, einsam zu
werden, wenn
Mitmensch einsam
wird
30
Ansteckung über drei Grade
• Imitation
• Modelllernen
• Subjektive Norm
31
Gründe für drei Grade – und nicht mehr
32
Netzwerk InstabilitätIntrinsischer Zerfall
Christakis & Fowler (2010)
Längsschnittlicher Zusammenhang von Freunden und Einsamkeit
Bisherige Einsamkeit
Spätere Einsamkeit
0,26 Tage/Woche mehr einsam
-0,04 -0,01
Bisherige Anzahl
Freunde
Bisherige Anzahl
Familienm.
Spätere Anzahl
Freunde
Spätere Anzahl
Familienm.
-0,04 Tage weniger einsam(~-10%)
-0,01 weniger Freunde (~-8% Freunde)
Cacioppo et al. (2009)
„Alleine-sein“
„Alleine-sein“
33
Einfluss auf Einsamkeit: Je dichter (geographisch und emotional),
desto stärker der Einfluss
Freund (< 1 Mile entfernt)Freund (< 5 Mile entfernt)
Freund (< 25 Mile entfernt)Wechselseitiger Freund (< 1M)
Cacioppo et al. (2009)34
Wechselseitiger Freund (< 1M)Ehepartner
GeschwisterDirekter Nachbar
Nachbar im Wohnblock
Anstieg in Tagen mit Einsamkeit (pro Tag, in dem sich Mitmensch einsam fühlt)
Einsamkeit: in „Ballungsräumen“ und an den Randgebieten
Einsamkeit an
Tagen/Woche
Rot=GeschwisterSchwarz=Freunde,
Partner
Cacioppo, Fowler & Christakis (2009)
Tagen/Woche
gelb=0gelb=0--1 (nicht einsam)1 (nicht einsam)grün=2 (neutral)grün=2 (neutral)blau=3+ (einsam)blau=3+ (einsam)
35
Einsamere Menschen…
• …sind eher an den Randgebieten des Netzwerkes
• …haben dort eher weniger Freunde
• …die wenigen sozialen Kontakte
– sind „gefährdet“ abzubrechen
36
– sind „gefährdet“ abzubrechen
– werden „infiziert“ mit demEinsamkeitsgefühl
• …gefährden damit anscheinend das gesamte soziale Netzwerk und damit die Ausbreitung von „Gutem“
Raucher-Gruppierungen 1971 bis 2003: Raucherwerden isoliert(er) – Zusammenhang mit Einsamkeit
Raucher-Raten
Zentralität innerhalb des Netzwerkes (nur Überlebende)
40-49-jährige
Nicht-Raucher
37Christakis & Fowler (2008)
Welle
Welle
40-49-jährige
Alle Raucher
Status Quo und Ausblick
• Einsamkeit als individueller Faktor
• Einsamkeit in Netzwerken
• Bedeutung von Einsamkeit bei der Ausbreitung von verschiedenen Phänomenen in Netzwerken?verschiedenen Phänomenen in Netzwerken?
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Netzwerkansätze
– Vorbeugen von Kontaktabbruch durch präventiven Maßnahmen auf Seiten der Freunde, Nachbarn und Familie
– V.a. Familie nutzen, da Ausbreitung von verschiedenen Variablen über Familie erfolgt (z.B. Alkoholkonsum, Variablen über Familie erfolgt (z.B. Alkoholkonsum, Gewichtszunahme, Glück) jedoch Einsamkeit nicht �Einsamkeit gefährdet nur Wahl-Beziehungen
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Ausblick
• Prävention und Therapie durch Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, der Sozialen Unterstützung und der Bewältigung von Verlustsituationen – auch unter Nutzung Neuer Medien
• Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels und Neuer Medien bisher unklar � werden geographische Distanzen weniger bisher unklar � werden geographische Distanzen weniger wichtig?
• Gefahr eines Schereneffektes: Gut vernetzte Menschen werden durch Neue Medien besser vernetzt, wenig vernetzte Menschen werden weiter abgekoppelt
• Menschen müssen in die Lage versetzt werden,
– Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen/ zu halten
– und sich nicht von Einsamkeit anstecken zu lassen40