Post on 22-Nov-2014
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Der elektronische Rechtsverkehr – rechtliche Grundlagen
und tatsächliche Herausforderungen
Dr. Wolfram Viefhues
Mitglied des Vorstands des Deutschen EDV-Gerichtstages wolfram.viefhues@ag-oberhausen.nrw.de
Teil 1: Rechtliche Grundlagen
• Gesetz zur Förderung des elektronischen
Rechtsverkehrs mit den Gerichten
vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786)
• In Arbeit:
Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte im
Strafverfahren – Vorreiter für alle Verfahren !
• E-Government-Gesetz für die öffentliche Verwaltung
vom 25. Juli 2013 (BGBl I S. 2749)
Was ändert sich wann?
• Am 17. Oktober 2013 ist die Beweisregel für Scan-Produkte in Kraft getreten.
• Ab 1. Juli 2014 gilt die Beweisregel für De-Mail-Nachrichten und die maschinelle
Papier- und Faxbeglaubigung.
• Am 1. Januar 2016 wird das elektronisches Anwaltspostfach eingeführt
• Das Schutzschriftenregister wird 1.1.2016 eingeführt und ab 1.1.2017 Pflicht.
• Ab 1. Januar 2018 müssen alle Gerichte elektronischer Dokumente
entgegennehmen, aber: Länder können bis Ende 2019 herausoptieren.
• Ab 1.1.2018 Zustellung an Anwälte und Behörden gegen elektronisches
Empfangsbekenntnis möglich.
• Ab 1. Januar 2022 (Termin kann durch Länder-VO vorverlegt werden!) ist die
elektronische Einreichung für Anwälte und Behörden verpflichtend.
Elektronische Unterschrift (§ 130a ZPO)
• Elektronische Schriftsätze können mit qeS oder
über einen sicheren Übermittlungsweg
eingereicht werden:
• DE-Mail mit sicherer Anmeldung oder aus dem
besonderen elektronischen Anwalts- oder
Behördenpostfach („beA“).
• Auf dem sicheren Übermittlungsweg müssen
Dokumente nur einfach signiert werden
(= Name unter dem Text)
Elektronische Formulare (§ 130c ZPO)
• ab Juli 2014 können elektronische Formulare eingeführt werden
• Die Angaben sind in strukturierter „maschinenlesbarer“ Form an die
Gerichte zu übermitteln (Daten statt Fließtext!)
– Z.B. Kostenfestsetzungsantrag
• Die Formulare sind im Internet zur Nutzung bereitzustellen;
• Kein Zwang zur Nutzung elektronischer Formulare
• Authentifizierung – soweit erforderlich - soll auch mit dem
elektronischen Personalausweis möglich werden
• Hinweis auf e-government-Gesetz, Normenscreening, Reduzierung
der Schriftformerfordernisse
Anwaltspostfach (§ 31a BRAO)
• Besonderes elektronisches Anwaltspostfach („beA“)
– Technische Infrastruktur wird aufgebaut von der
Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)
– Vorbild: Infrastruktur der BNotK.
• Adressen werden nach Durchführung eines ID-Verfahrens bei
der örtlichen RA-Kammer vergeben
• Verpflichtend ab 1.1.2016
• Elektronische Kommunikation zwischen Anwalts- und
Gerichtspostfach via beA ist sichere Übermittlung iSd § 130a
ZPO – keine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich!
Nutzungspflicht für Anwälte (§ 130d ZPO)
• Anwälte, Behörden und juristische Personen des öff. Rechts
werden in gerichtlichen Verfahren (aber nicht in
Patent/Markenverfahren) ab 1.1.2022 verpflichtet, Schriftsätze
nur noch elektronisch einzureichen. Eine Klage oder Berufung
auf Papier ist dann formwidrig.
• Länder können Beginn der Pflicht durch Verordnung auf 1.
Januar 2020 vorverlegen.
• Nur bei technischem Ausfall der sicheren Übermittlungswege ist
Papiereinreichung zulässig. Anwalt oder Behörde muss
Unmöglichkeit glaubhaft machen.
Elektronische Zustellung (§ 174 ZPO)
• Elektronische Dokumente werden verschlüsselt über einen
sicheren Übermittlungsweg (an besonderes elektronisches
Anwalts – oder Behördenpostfach) zugestellt
• Rechtsanwälte und Behörden müssen ab 1. Januar 2018
elektronisch erreichbar sein.
• Gerichte können auch danach noch per Papier oder Fax
zustellen
• Elektronische Zustellung wird durch elektronisches
Empfangsbekenntnis als strukturierten Datensatz
nachgewiesen.
– Willensgesteuert beim Anwalt
– Automatisch auswertbar beim Empfänger
Teil 2: tatsächliche Herausforderungen
• Welche Auswirkungen hat der elektronische
Rechtsverkehr (ERV) auf die Justiz?
• Was wollen wir eigentlich erreichen?
• Wo sind die Risiken?
Auswirkungen
• Einbindung im automationsunterstütze Abläufe
• Zukünftig: die vollständige elektronische Akte
• Nachhaltige Veränderung unserer Arbeitsabläufe
• ERV ist mehr als reine Technik, sondern vor allem
Organisationsänderung!
• ERV ist auch Veränderungen in den Köpfen!
• ERV ist „Chefsache“!
Befürchtungen der Serviceeinheit (SE)
• Elektronische Dokumente müssen wir für
die Beteiligte, die nicht am elektronischen
Rechtsverkehr teilnehmen, selbst
ausdrucken
• wir werden zur „Druckstrasse der
Anwaltschaft“
• Das macht viel zusätzliche Arbeit
• Das kostet viel Geld
Die Lösung
• Gedruckt wird nicht am Arbeitsplatz der
Servicekraft, gedruckt wird an zentraler Stelle
• Voraussetzung: keine Unterschrift auf dem
Ausdruck erforderlich
• Zentraldruck schon jetzt möglich durch Wegfall der
Ausfertigung (§ 317 ZPO n.F. ab 1.1.2014)
• nur noch für die (eigene) Papierakte Ausdruck am
Arbeitsplatz
• Ausdruck entfällt bei elektronischer Aktenführung !!
Vorteile bei Zentraldruck • Keine Postbearbeitung in der Serviceeinheit mehr
erforderlich!
• keine Weitergabe zur Wachtmeisterei nötig!
• automatische Steuerung
• Elektronische Weiterleitung zur Druckstraße
• Kostenersparnis bei Zentraldruck
– Druckkosten
– Portokosten
• Für alle gerichtlichen Dokumente schon ab 1.7.2014 möglich durch Wegfall der Ausfertigung und automatische Beglaubigung
Behandlung eingehender Post
• Bisher: – Eingang des Schriftsatzes in der Poststelle
(Wachtmeisterei) • Eingangsstempel
• Sortierung nach Abteilungen
– Weitertransport zur Serviceeinheit • Aufwand / Arbeit
• Verzögerung
– manuelle Zuordnung zur Akte • Aufwand / Arbeit
• Verzögerung
Vorteile bei elektronischen Eingängen
• Keine Bearbeitung in der Poststelle
• automatische Weiterleitung an die zuständige Serviceeinheit (keine Verzögerung !)
• automatische Zuordnung zu elektronischen Akte (keine Verzögerung !)
• bei herkömmlicher Aktenführung automatischer Ausdruck für die Akte in der SE
• automatische Weiterleitung an den Gegner – elektronisch an Anwälte
– zentraler Ausdruck für andere Beteiligte
Eingehende Papierdokumente bei elektronischer Akte
• Befürchtungen der Serviceeinheit:
Wir müssen alle Papiereingänge einscannen!
• Einscannen erfolgt in zentralen Scanstellen
• vollautomatischer Vorgang
• Programm erkennt auch Informationen aus dem
Dokument wie z.B. Aktenzeichen
• damit wird automatische Zuordnung möglich
Elektronische Zustellung (§ 174 ZPO)
• Elektronische Dokumente werden verschlüsselt über einen
sicheren Übermittlungsweg („beA“) zugestellt
• Auch Behörden müssen ab 1. Januar 2018 elektronisch
erreichbar sein.
• Gerichte können noch per Papier oder Fax zustellen
• Elektronische Zustellung wird durch elektronisches
Empfangsbekenntnis als strukturierten Datensatz
nachgewiesen.
– Willensgesteuert beim Anwalt
– Automatisch auswertbar beim Empfänger
elektronische Zustellung an Anwälte
• Elektronische Zustellung wird im Justiz-Fachsystem
ausgelöst
– zuzustellende elektronische Dokumente werden vorbereitet
– Zustellung über beA wird angestoßen
• automatische Rückmeldung der elektronischen
Zustellung über beA
• automatische Registrierung im Justiz-Fachsystem
(Fristen, Nachfolgearbeiten)
• Zusammenfassende Übersicht über alle
Zustellvorgänge
Die elektronische Akte
• e-Akte wird derzeit vielfach noch als Erschwernis in
der Alltagsarbeit gesehen
• Nutzen und Chancen der e-Akte
– Die Akte ist nie weg!
– Die Akte bleibt immer verfügbar!
– Parallele Aktenbearbeitung möglich!
– Kein Zeitverlust!
Aktenbearbeitung durch Richter, Staatsanwalt, Rechtspfleger
• Aufgabe: die inhaltliche Auswertung der Akte
– Zusammenstellung des Sachverhaltes
– Aufbereitung der rechtlichen Fragen
– Formulierung der Entscheidung
• Das ist Arbeit mit dem Kopf!
• Nicht automatisierbar!
– kein „Entscheidungsautomat“ !!
• Aber: Unterstützung durch IT-Technik möglich
Beispiel Votum
• Sachverhaltsaufbereitung nach bestimmten
Strukturen
– Nach Zeitablauf (chronologisch)
– Differenzierung nach Beteiligtenrolle
(Klägervortrag, Beklagtenvortrag, Zivilprozess)
– Differenzierung nach beteiligten Personen
(Täter, Zeugen)
– Differenzierung nach Sachverhaltskomplexen
Differenzierung nach Sachverhaltskomplexen
• Beispiel Verkehrsunfall: Unfallhergang,
Haftungsquote, Schadenspositionen
• Beispiel Bauprozess: einzelne Mängelpositionen
• Beispiel Zugewinn: Vermögenspositionen
• Beispiel Strafverfahren: einzelne Tatkomplexe
Mögliche Unterstützung durch IT (1)
• Unterstützung bei der Sachverhaltsaufbereitung
– Kopieren aus der Akte in das Votum
• durch Markierung des Kurztexts
– Verlinkung auf den Originalschriftsatz
- ein Klick zeigt sofort den Originaltext an
– Verbindung mit Stellungnahme des Gegners
• Stichworte und Kurztext im Votum
• Ein Klick führt zum Originaltext
Mögliche Unterstützung durch IT (2)
• Unterstützung bei der rechtlichen
Aufarbeitung
– Strukturierung z.B. nach
• Zulässigkeit des Antrags
• Anspruchsgrundlage - z.B. Vertrag
– Zustandekommen des Vertrages
– Mängelrüge
» Erklärung wirksam
» Erklärung zugegangen usw. usw.
Weitere Potentiale
• Zulieferung von elektronischen Akten
– Polizei – Staatsanwaltschaft – Gericht
– Gericht – Vollstreckungsorgan
– Bußgeldbehörde - Gerichte
• Gemeinsam mit den jeweiligen Kommunikations-
partnern durchgängige elektronisch unterstützte
Informations- und Arbeitsabläufe erarbeiten
Fazit
• In den Gerichten, Behörden und Anwaltskanzleien stehen gewaltige Veränderungen an
– Entwicklungsaufwand für Programme
– Technik in den Gerichten
– Organisation
– Personal – nicht nur Schulungen, sondern alle Beteiligten müssen wir „mitnehmen“, überzeugen und begeistern
• Wir haben echte Herausforderungen zu bewältigen
• Vieles ist sicherlich noch Zukunftsmusik
• Es ist noch ein langer Weg zu gehen!
• Aber: Wer nicht losgeht, bleibt stehen!
Veränderungen als Chance nutzen
„Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt,
der andere packt sie an und handelt.“
Dante Alighieri, Dichter und Philosoph * 1265 † 1321
Große Aufgaben mit Veränderungen und
Umwälzungen bieten aber auch eine Chance, unsere
Geschäftsabläufe und Arbeitsprozesse den
geänderten technischen Möglichkeiten anzupassen